Süddeutsche Zeitung

5:1 für Leverkusen:Zum Weinen schön

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Bayer Leverkusen und Peter Bosz, zwei an sich selbst Gescheiterte, scheinen die Chance zum Neubeginn nutzen zu können.

Von Tobias Schächter, Mainz

Wird aus Peter Bosz nun etwa doch noch ein geläuterter Langweiler? Die zweite Halbzeit habe ihm fast noch besser gefallen als die erste, sagte der Trainer von Bayer 04 Leverkusen. Mit 4:1 hatte seine Mannschaft zur Pause beim FSV Mainz geführt und ein Spektakel geboten, wie man es in der Bundesliga in dieser Saison noch selten gesehen hatte. In der zweiten Hälfte erzielte Boszs Elf dann nur noch ein Tor und brachte den 5:1-Auswärtssieg seriös und ungefährdet über die Bühne. Bosz hat das auch deshalb gefallen, so erzählte er es später, weil er sich an eine ähnliche Führung einer seiner früheren Mannschaften erinnerte, die dann am Ende noch verspielt wurde. Bosz spielte auf seine Zeit bei Borussia Dortmund an, als der BVB unter dem Niederländer zur Pause 4:0 im Derby gegen Schalke führte und am Ende ein 4:4 stand.

Es ist ja eine der spannendsten Fragen dieser Bundesliga-Rückrunde, ob der Trainer Peter Bosz es bei seinem zweiten Anlauf in Deutschland schafft, seine offensive Spielidee ausgewogen mit defensiver Stabilität zu verbinden. Auf seiner ersten Station in der Bundesliga bei Borussia Dortmund wurde ihm das starre Festhalten am schönen Spiel ohne Kontersicherung zum Verhängnis. Auch in Mainz waren Muster dieser Konteranfälligkeit zu sehen, aber der FSV konnte aus den angebotenen Räumen keinen Profit schlagen. Besonders auffällig war eine Szene nach dem 3:1 durch Julian Brandt (36.), als die Leverkusener sich sofort nach dem Anstoß wieder mit sechs Mann auf die Mainzer stürzten, als müssten sie einen Rückstand aufholen. Doch nachdem ein Spieler überspielt war, mussten sie in der eigenen Hälfte plötzlich mit nur vier Mann gegen sechs Mainzer verteidigen - die Nullfünfer nahmen dieses leichtfertige Angebot zum Anschlusstreffer aber nicht an.

Sie war also trotz des schönen Resultats kurz ein Thema, diese fast kindliche Naivität, die Bosz in Dortmund letztlich den Job gekostet hat. Und hat diese in Mainz so brillant aufspielende Elf ein paar Tage zuvor bei Zweitligist Heidenheim nicht eine 1:0-Pausenführung verspielt und sich nach der Niederlage auf der schwäbischen Alb (1:2) frühzeitig aus dem DFB-Pokal verabschiedet? In Leverkusen hoffen sie, dass diese Pleite in Heidenheim ein einmaliger Ausrutscher bleibt, eine Laune des Spiels.

Julian Brandt blüht in der Zentrale auf - und will die Position auch in der Nationelelf übernehmen

Die bisherigen Liga-Spiele unter Bosz geben dazu auch Anlass, der Trainer hat das überragende Offensivpotenzial dieser Auswahl ohne Zweifel geweckt. Drei überzeugende Siege in der Liga in Serie haben die Leverkusener wieder an die Europapokalplätze herangeführt. Und mit der neuen 4-3-3-Grundordnung hat Bosz einen Weg gefunden, alle Offensivkönner von Bayer auf dem Platz zu haben. Vorne wirbeln Karim Bellarabi und Leon Bailey auf Außen, Kevin Volland ackert in der Mitte, und hinter den drei Stürmer führen die beiden neuen Achter Julian Brandt, 22, und Kai Havertz, 19, einen zum Weinen schönen, genial geradlinigen Fußball auf. Die beiden Nationalspieler spielten in Mainz so erhaben, wie es nur ganz außergewöhnliche Talente können. Vor allem Brandt wirkt durch die Versetzung von der Außenbahn ins Zentrum beseelt. In Mainz traf er zwei Mal und bereitete zwei weitere Treffer vor. Außen sei man gebunden, beschreibt Brandt sein neues Gefühl: "Jetzt kann ich wie ein Freigeist hin und her laufen und bin direkt im Zentrum, wo es gefährlich wird." Er habe immer gewusst, was in ihm stecke, so Brandt, auch wenn er es bisher zu selten ausgeschöpft habe.

Trainer Bosz sagt: "Für mich ist Julian kein Flügel-, sondern ein Zentrumspieler, denn guten Spielern muss man so oft wie möglich den Ball geben." Diese Erklärung klingt banal, hat aber für das Leverkusener Spiel spektakuläre Auswirkungen. Zwei so ballsichere und kreative Spieler wie Havertz und Brandt hinter drei so schnellen Stürmern stellen die gegnerische Defensive vor zu viele Rätsel. Die Mainzer versuchten mit frühem Pressing dagegenzuhalten, doch im Bolzplatzspektakel mit den Bayer-Könnern fehlte nach hinten Geschwindigkeit und nach vorne die Klasse, die Kontermöglichkeiten zu nutzen. Bayer war einfach besser.

Das Zusammenspiel zwischen Havertz und ihm funktioniere auch deshalb so gut, weil sich die beiden auch privat so gut verstünden, glaubt Brandt: "Das überträgt sich auf den Platz, wir haben oft dieselben Ideen." Havertz passte den Ball stilgerecht zurück und meinte: "Generell spielt Julian in der Rückrunde weltklasse. Ich bin sein Freund und will ihn nicht allzu hochjubeln, aber sein Weg geht immer weiter nach oben." Brandts Aufschwung in neuer Rolle könnte diesem auch in der Nationalmannschaft neue Möglichkeiten eröffnen, auch dort war er bislang als Außenbahnspieler verortet. Bundestrainer Joachim Löw werde sicher bemerkt haben, dass er nun zentraler spiele, meinte Brandt und fügte selbstbewusst hinzu: "Wenn gezielt ein Zehner gesucht werden sollte, glaube ich schon, dass ich die Qualitäten dazu hätte." Aber derzeit interessiere ihn nur Bayer, versicherte er.

Und in Leverkusen? Glauben sie wieder an sich. "Wir spielen viel mutiger, viel schneller, und lassen die Gegner viel mehr laufen", schwärmt Kai Havertz und hält auch das Erreichen der Champions-League-Plätze noch für möglich. Bayer Leverkusen und Peter Bosz verbindet, in der Vergangenheit an sich selbst gescheitert zu sein. Gemeinsam nun konstant Spektakel und Ergebnisse zu liefern, ist das Ziel. Nächsten Donnerstag in der Europa-League in Krasnodar könnte schon ein neues Heidenheim drohen. Julian Brandt aber sagt: "Wir gehen diesen Wettbewerb ganz seriös an. So etwas wie Heidenheim wollen wir nie wieder erleben."

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SZ vom 10.02.2019
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