4:0 im EM-Finale gegen Italien:Spanien schreibt Fußballgeschichte

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Europameister, Weltmeister, Europameister - das schaffte noch kein Nationalteam zuvor: In einem erstklassigen EM-Finale siegt Spanien 4:0 gegen Italien und gewinnt den dritten großen Titel in Serie.

Claudio Catuogno

Es war 23:36 Uhr in Kiew, die Spanier bildeten einen Kreis und hüpften ein paar Mal auf und ab. Dann schlenderten sie fast schon gelassen vom Feld. Keine ganz großen Gefühle. Eher ein Stolz, der von innen strahlt. Sie wissen ja inzwischen nur zu gut, wie sich das anfühlt: Europameister werden. In einem hochklassigen Finale besiegten sie Italien 4:0 - und das im wichtigsten Spiel, das eine spanische Nationalelf je gespielt hat.

Das wichtigste Spiel der spanischen Fußballgeschichte? "Na klar." Der Trainer Vicente del Bosque hatte vorher erst gar nicht den Versuch unternommen, die Bedeutung dieses Finales kleinzureden. Nie zuvor hat ein Europameister seinen Titel verteidigen können. Und erst recht hat nie zuvor eine Mannschaft drei große Turniere in Serie gewonnen: EM, WM, EM. Die Spanier hatten den Rasen also mit dem festen Vorsatz betreten, Geschichte zu schreiben an diesem Sommerabend in Kiew. Geschichte schreiben - eine arg strapazierte Floskel.

Kein Zweifel, dass sie diesmal den Kern der Darbietung traf. Nicht nur, weil sie jetzt seit vier Jahren das Maß aller Dinge sind im Weltfußball. Sondern auch, weil das dieser Weltfußball in den letzten Wochen zunehmend genervt in Frage gestellt hatte. Und so sagte Linksverteidiger Jordi Alba nach dem Finale: "Es ist wunderbar, den Titel zu verteidigen. Unglaublich, dass wir Geschichte geschrieben haben, ich kann es gar nicht fassen."

Denn in diesem Endspiel hatten Xavi Hernández, Andrés Iniesta, Cesc Fàbregas und die anderen schon nach 45 Minuten mit ausgeprägter Lässigkeit alle Debatten vom Feld genommen, die sie dort bisher begleitet hatten in Polen und der Ukraine. Ist ihr Tiki-taka-Ballgeschiebe die langweilige Zukunft des Fußballs? Ist ihr Spiel mit einem "falschen Neuner", also ohne nominelle Sturmspitze, die Fortsetzung dieser Langeweile mit zynischen Mitteln.

Alles erledigt! Die Spanier legten los mit ihrem auf Ballbesitz ausgerichteten Kurzpass-Spiel, und schnell war klar: Von wegen Selbstzweck! Von wegen zähe Fußballkost! Wenn man den Spaniern etwas vorwerfen wollte, dann höchstens, dass sie dieses Finale so früh entschieden, dass das Thema Spannung schon bald keine Rolle mehr spielte. "Ich bin stolz auf meine Mannschaft. Wir hatten viel Ballbesitz, das ist unser Spiel. Das haben wir zur Perfektion getrieben. Das ist das ganze Geheimnis", sagte Del Bosque.

EM-Schlusszeremonie in Kiew
:Zum Abschied ein Flaggentanz

Eine Pfeife, ein Kopfball und sogar ein Fallrückzieher: Bei der Abschlusszeremonie vor dem EM-Finale bieten die Tänzer aufwendige Figuren. Auch einen riesigen EM-Pokal können die Fans bestaunen - und den Turnierverlauf in einer Choreografie nacherleben. Traurig: Auch hier scheidet Deutschland im Halbfinale aus.

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Während sich die Italiener häufig mit langen Bällen behalfen, als müssten sie irgendwie bergauf spielen, näherten sich die Spanier dem gegnerischen Strafraum immer wieder mit einer Konsequenz, als wäre das Spielfeld ein bisschen abschüssig zu ihren Gunsten. Und in Xavi und Iniesta haben sie nun mal zwei Akteure in ihren Reihen, die vermeintlich stumpfen Küchenmesser-Fußball ohne Warnung in bedrohlichen Stilett-Fußball verwandeln können mit ihren Pässen.

4:0 - die spanischen Nationalspieler jubilieren mit dem EM-Pokal. Obenauf: Torwart Iker Casillas. (Foto: Getty Images)

Diese Blitz-Schärfung gelang zunächst Iniesta: Er bediente Fàbregas im Strafraum, und der "falsche Neuner" tat dort das, was auch echte Neuner gelegentlich beruflich tun: Er bediente mit Kraft und Geschick einen Nebenmann. Giorgio Chiellini konnte die Hereingabe nicht verhindern, David Silva köpfelte den Ball ins Netz - 1:0. Nach 14 Minuten. Da nahm der spanische Triumph bereits Gestalt an. Xavi schließlich bediente kurz vor der Pause Jordi Alba, den spanischen Linksverteidiger, der bereits einen visionären 60-Meter-Sprint hinter sich hatte, der dann noch mal Tempo aufnahm, als verfüge er über zwei Lungen und drei Herzen - und schließlich Gianluigi Buffon verlud zum 2:0 (41.).

Die Italiener waren vor dem Endspiel das einzige Team gewesen, das keine Sekunde in Rückstand gelegen hatte bei dieser EM. Nun wurden sie mit jenem Ergebnis in die Kabine geschickt, das sie im Halbfinale von Warschau den Deutschen nach 45 Minuten auch zugefügt hatten. Sie hatten ihre Chancen, keine Frage: Bevor Mario Balotelli zum Kopfball kommen konnte (27.), brachte Iker Casillas noch einen Handschuh an den Ball.

Später durch Weitschüsse von Antonio Cassano (33.) sowie abermals Balotelli (38.). Und nach der Pause stand der eingewechselte Antonio Di Natale zweimal kurz davor, Casillas zu bezwingen (46./51.). Es blieb indes bei den Versuchen. "Wir haben unser Bestes gegeben. Aber im Leben muss man manchmal akzeptieren, dass es eine Mannschaft gibt, die besser ist", sagte Buffon.

Vor allem hatten die Italiener an diesem Abend nämlich: Pech. Federico Balzaretti kam schon nach 21 Minuten für den verletzten Linksverteidiger Chiellini aufs Feld, dann Di Natale für Cassano zur Halbzeit, und schließlich wechselte Cesare Prandelli noch Thiago Motta ein für Riccardo Montolivo. In der 57. Minute. Vier Minuten später musste aber auch Motta verletzt vom Platz - die Italiener beendeten den Abend in Kiew zu zehnt. Spätestens da war die Sache erledigt.

Typisch Italien. Wenn schon leiden - dann richtig.

Die Pechsträhne konnte indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass Prandellis Überraschungself nie jenen furchterregenden Zugriff bekam auf dieses Finale, der sie im Halbfinale ausgezeichnet hatte. Andrea Pirlo, sozusagen der elegante Lamborghini unter den Mittelfeldmotoren dieser EM, brachten die Spanier ganz ohne Sonderbewacher zum Stottern, quasi mit der Kraft des Kollektivs.

Ein paar scharfe Ecken, dazu die Ruhe des alten Leitwolfs, das zeichnete Pirlo auch in diesem Spiel aus. Vor allem stand er aber relativ weit weg vom Geschehen, wenn die Spanier sich vor dem italienischen Strafraum in Stellung brachten. Die eingewechselten Fernando Torres (84.) und Juan Mata (88.) vollendeten dort das Werk. Aber da waren die Azzurri auch schon ziemlich müde.

© SZ vom 02.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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