3. Liga:Der Unterschätzte

Torjubel Uenal Tosun 8 (Tuerkguecue Muenchen), Tuerkguecue Ataspor Muenchen vs. Borussia Dortmund II, 26.09.2021 DFB re

Ünal Tosun

(Foto: Ulrich Gamel/imago images/kolbert-press)

Einst Straßenfußballer, hat sich Ünal Tosun bei Türkgücü spät zum Profi entwickelt. Er ist dort inzwischen der dienstälteste Spieler. "Ich bin ein Mann geworden", sagt er selbst

Von Christoph Leischwitz

Manchmal sei es auch gut, unterschätzt zu werden, sagt Ünal Tosun. Auch wenn dieser Satz gar nicht so recht zum aufstrebenden Fußballverein Türkgücü München passen mag: In der aktuellen Lage, in der sich die Mannschaft befindet, könnte das schon bald einmal passieren. Am Samstag zum Beispiel gastiert der Drittligist beim Traditionsklub Eintracht Braunschweig (14 Uhr), der in der Tabelle nicht weniger als elf Plätze vor den Münchnern steht. Und vielleicht sei es ja an der Zeit, sagt der 29-jährige Mittelfeldspieler, mal etwas demütiger an die Aufgaben heranzugehen, "als Außenseiter ins Spiel gehen, um die Basics reinzubringen". Kampf, Einsatz, solche Dinge also.

Auf den ersten Blick mag Ünal Tosun vielleicht gar nicht so richtig zu Türkgücü passen, dem Klub, der so schnell wie möglich von der Landesliga in die zweite Bundesliga will. Er galt ja selbst immer als Außenseiter unter oftmals prominenten Zugängen. Doch er ist nach dreieinhalb Jahren immer noch da. Und damit der dienstälteste Türkgücü-Spieler und der einzige, der zumindest seit der Bayernliga dabei ist. Es kann also auch in einem Klub, in dem jedes Jahr Dutzende Spieler kamen und gingen, etwa Beständigkeit geben. "Dass er technisch schon immer gut war, steht außer Frage. Aber er hat immer den Konkurrenzkampf angenommen", sagt Co-Trainer Alper Kayabunar, 35. Er und Michael Hofmann sind die einzigen beiden sportlich Verantwortlichen, die länger dabei sind als Tosun. Kayabunar findet auch, dass Tosun auf jedem Level den Konkurrenzkampf angenommen hat. Da hat sich also einer weiterentwickelt mit Mitte zwanzig.

Auch aktuell ist die Konkurrenz groß, doch auch unter Peter Hyballa spielt er regelmäßig: "Er hat eine Pferdelunge", schwärmt der aktuelle Trainer, "er will immer Bälle in die Tiefe haben und spielt gute Bälle in die Tiefe." Mit einem Augenzwinkern merkt er noch an: "Es hapert noch am Toreschießen." Früher, beim FC Pipinsried oder beim FC Unterföhring, hat Tosun deutlich offensiver gespielt, deshalb liest sich die Torbeteiligungsstatistik jetzt natürlich vergleichsweise harmlos. Das ist aber vielleicht auch nur ein Grund mehr, warum er oft unterschätzt wurde.

Ünal Tosun kann aber auch klar benennen, warum er erst mit Türkgücü Fußballprofi wurde. "Ich bin da sehr selbstkritisch: Ich hatte immer das Talent, aber ich hatte früher nicht die Einstellung, die ich jetzt habe", erkennt er selbst. Bei der SpVgg Unterhaching und bei Jahn Regensburg II konnte er sich nicht durchsetzen. Den wichtigsten Entwicklungsschritt hat ihm kein Trainer beigebracht. "Ich bin reifer geworden, habe geheiratet, habe mehr Verantwortung, ich bin ein Mann geworden", sagt er.

Im Straßenfußball geht es eigentlich um nichts. Oder um sehr viel. "Es geht immer um die Ehre."

Es gibt noch einen anderen Grund, der Tosun bisher von einer höherklassigen Karriere abgehalten hat: seine Herkunft. Er ist nämlich ein Münchner Kindl und sehr heimatverbunden. "Ich bin nie raus aus Bayern. Natürlich, wenn du Deutschtürke bist, dann kommen Berater, die dich in die Türkei lotsen wollen." Einmal hatte er sogar schon einen Vertrag unterschrieben, bei einem Drittligisten in Izmir. "Aber wenn du hier geboren und aufgewachsen bist... ich habe mich extrem schwergetan, ich war da nicht so glücklich." Also löste er den Vertrag nach wenigen Wochen wieder auf - und ging zum FC Pipinsried. Als Münchner mit Migrationshintergrund könne er sich freilich auch gut mit dem Verein Türkgücü identifizieren. Aber vor allem, weil es eben ein Münchner Klub ist. "Der Name hat internationales Flair, aber es ist im Grunde genommen eine normale Mannschaft", sagt er, "es ist für mich natürlich optimal, wenn du da Profifußball spielen kannst, wo du aufgewachsen bist." Tosun ist Straßenfußballer, als solcher gehörte er auch einer Weile den legendären Harras Bulls an, dem erfolgreichsten Team des Sozialprojekts "buntkicktgut". Aber nicht als Migrant, sondern als Laimer, der einfach gerne Fußball spielt. Und ja, ein bisschen Street-Credibility habe er sich als Profi bewahrt: "Im Straßenfußball geht's eigentlich um nix, in Wirklichkeit aber um sehr viel: Es geht immer um die Ehre. Ich mag's überhaupt nicht zu verlieren."

Aktuell darf man das, worin Türkgücü gerade steckt, wohl eine Krise nennen. "Das letzte Spiel war erschreckend", sagt Tosun über das 1:2 gegen Viktoria Köln vor der Länderspielpause. Kaum Zweikämpfe gewonnen, "wir haben uns auch nicht an den Plan gehalten", sagt er. Er glaubt nicht, dass es an den schlechten Trainingsbedingungen liege. Bekanntlich steht Türkgücü nur eine Bezirkssportanlage zur Verfügung. Er kenne es ja nicht anders, sagt Tosun. Er ist fest überzeugt, dass sie die Trendwende schaffen können, und er sagt den Satz, der sein Fußballerleben zusammenfasst: "Ich denke, ich wurde oft unterschätzt." Er schmunzelt. Womöglich ist er der richtige Spielertyp für die kommenden Aufgaben.

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