20. Spieltag der Bundesliga:Dortmund gewinnt den Sonntags-Slapstick

Bayer 04 Leverkusen v Borussia Dortmund - Bundesliga

Protagonist des Irrsinns: Robert Lewandowski (li.) gelang gegen Leverkusen das 3:2. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Was für ein kurioses Spiel in Leverkusen: Der BVB und Bayer liefern sich ein Klasse-Duell, das der Meister mit 3:2 für sich entscheidet. Damit ist die Borussia jetzt erster Bayern-Verfolger. Das Nürnberger Trainergespann Wiesinger/Reutershahn feiert beim 2:1 gegen Gladbach seinen ersten Sieg - doch es gibt Diskussionen.

Von Philipp Selldorf und Markus Schäflein

Es gab schrille und wütende Pfiffe, als das Spiel zwischen Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund beendet war, auf der Tribüne erhoben sich ehrbare Bürger und schüttelten die Fäuste, aber ihre Empörung dauerte nur ein paar Sekunden und beruhte ohnehin nur auf zielloser Enttäuschung. In Wahrheit hatte der Schiedsrichter Deniz Aytekin - der Mann, den die Leverkusener Fans so lautstark verwünschten - die anspruchsvolle Aufgabe als Moderator des Bundesliga-Spitzenspiels außerordentlich gut gelöst. Er stand damit den Spielern in nichts nach, die sich auf einem Niveau beharkten, das jeder Betrachter von der ersten bis zur 94. Minute in Staunen versetzt wurde: So viel Tempo, so viel Dramatik, so viel Klasse!

Am Ende hatte der BVB zwar 3:2 gewonnen und die Leverkusener ließen die Köpfe hängen, aber wie die Verlierer sollten sie sich nicht fühlen, wenn sie ihren Enkeln von diesem Abend erzählen. Und außer den Bayern, die nun einen noch größeren Vorsprung auf Platz zwei verwalten dürfen, gab es auch noch einen weiteren heimlichen Gewinner, nämlich die Vermarkter des Bundesligafußballs, die für diesen Abend Dankesschreiben aus der ganzen Welt erwarten dürfen.Zu spät kommen war bei dieser Veranstaltung eine Todsünde.

Die Eingewöhnungszeit dauerte circa 0,1 Sekunden, dann startete Leverkusen bereits in Hochgeschwindigkeit zur ersten raffinierten Attacke: Castro allein vor BVB-Torwart Langerak, der den grippekranken Weidenfeller vertrat, aber der Lupfer ging übers Ziel hinaus. Wie man´s besser macht, zeigte Reus auf der anderen Seite: Herrlich gespitzelter Pass von Lewandowski, Lupfer, 1:0. Und so hemmungslos stürmisch machten beide Seiten weiter: Eben hatte sich Castro noch über das metergroße Luftloch geärgert, das er bei seinem Schussversuch in den rheinischen Himmel getreten hatte, da zeigte Aytekin im Leverkusener Strafraum auf den Elfmeterpunkt. Leno hatte Lewandowski von den Beinen geholt und erhielt dafür - Lob für Aytekin! - lediglich die Gelbe Karte. Den Treffer durch Blaszczykowski konnte der Torwart allerdings nicht verhindern - 2:0 für Dortmund. Nach neun Minuten.

Die Gastgeber hörten trotzdem nicht auf Widerstand zu leisten, sie bekamen zur Belohnung auch ein paar Gelegenheiten, sahen sich aber einem BVB gegenüber, der Verteidigungstechnik - gegen den ballführenden Spieler ausschwärmen wie ein Hornissenschwarm - gnadenlos wirken ließ und selbst immer wieder extrem gefährlich angriff. Nach einer knappen halben Stunde verlor Bayer ein wenig den Mut, das Spiel beruhigte sich, aber es holte bloß Luft.

Die zweite Halbzeit: Leverkusens Trainerrat wechselt aus: Rolfes, der Kapitän, geht vom Platz, Sam kommt - gute Idee. Der kleine Flügelstürmer soll die Offensive verstärken und verliert damit auch keine Zeit. Kaum im Spiel, hat er schon gefährlich aufs Tor geschossen - Langerak wehrt sehenswert ab. Aber das war ja nur die Ouvertüre: Kurz darauf köpft Kießling aufs Tor, wieder wehrt Langerak ab, den Nachschuss nimmt Schürrle und da Langerak noch mit Aufstehen beschäftigt ist, nimmt Hummels seinen Platz im Tor ein und setzt die zur Abwehr die Brust ein wie der Ritter sein Schild.

Aber spätestens jetzt war klar, dass Leverkusen sich nicht in die Niederlage fügen wollte. Der Druck aufs Dortmunder Tor nahm gewalttätige Formen an, und in der 58. Minute gab es den verdienten Lohn. Castros Pass nahm Kießling aus schwindelerregender Höhe herunter, balancierte den Ball aufs Feinste um Pisczek herum und fand mit seinem Zuspiel den heranstürzenden Reinartz - 1:2. Und derselbe Mittelfeldabräumer Reinartz machte sich vier Minuten später erneut als Mittelstürmer verdient, als er einen Kopfball so genau ins Toreck setzte, dass ihn ein Íngenieur berechnet zu haben schien.

Rasender Jubel im Stadion, nur BVB-Trainer Jürgen Klopp stand regungslos in der Landschaft. Was sich aber gleich ändern sollte: Denn während Bayer noch mit Freuen beschäftigt war, der Ansager noch ekstatisch brüllend das Tor bekanntmachte, hatte der BVB bereits zurückgeschlagen: Lewandowski nutzte eine unachtsame Rückgabe von Wollscheid zum 3:2 aus, der darüber wohl noch Tage untröstlich sein wird: "Unerklärlich, das darf nicht passieren, das kann nicht sein", jammerte der Bayer-Verteidiger später vor dem Mikrofon.

Noch unheimlicher wirkte die Dortmunder Fähigkeit zum Gegenschlag, als Blaszczykowski wieder zum Elfmeter bereitstand - Boenisch hatte Lewandowski mit grobem Einsatz zu Fall gebracht. Diesmal aber blieb Leno Sieger, sogar festhalten konnte er den schwachen Schuss. Doch das war der letzte Grund zur Ausgelassenheit für die Leverkusener. Eine Reihe kniffliger Szenen gab es noch für den BVB, aber es reichte zum nicht unverdienten Sieg. "wir waren annähernd auf Augenhöhe", tröstete sich Bayer-Trainer Sascha Lewandowski.

(Text: Philipp Selldorf, Leverkusen)

Wichtiger Nürnberger Erfolg

Wer Michael Wiesinger an der Seitenlinie springen sah, ahnte das Ausmaß der Erleichterung, die dieser Sonntagnachmittag für den Übungsleiter und den ganzen 1. FC Nürnberg brachte. Mit dem 2:1 (2:0) gegen Mönchengladbach sicherten sie sich drei ganz wichtige Punkte zu einem heiklen Saisonzeitpunkt. Nach dem Spiel zog sich Wiesinger erst einmal in die Kabine zurück, ehe er etwas sagte. "Ich musste erstmal ein bisschen runterfahren", sagte er, "das waren viele Emotionen, gerade am Schluss, das war wieder ein Wechselbad."

1. FC Nuernberg v VfL Borussia Moenchengladbach - Bundesliga

Endlich wieder jubeln: Javier Pinola vom 1. FC Nürnberg feiert mit den Fans in der Kurve.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Nur einen Zähler aus zwei Bundesliga-Spielen hatte das neue Trainergespann mit Wiesinger und Armin Reutershahn ja bis dahin geholt. Und am Samstag hatte die Konkurrenz aus dem Tabellenkeller beeindruckend gepunktet. Der einst beruhigende Abstand der Nürnberger auf den Abstiegs-Relegationsplatz drohte im Falle einer Niederlage gegen Mönchengladbach auf fünf Pünktchen zu schrumpfen. Und die drei Neuen, die der Club kurz vor Ende der Transferfrist dazugeholt hatte, wirkten zunächst noch nicht mit. Mu Kanazaki und Berkay Dabanli nahmen auf der Bank Platz, Muhammed Ildiz sah wie angekündigt noch zu. Sie waren ja auch geholt worden, um dem bestehenden Personal Druck zu machen; diesmal erhielt Alexander Esswein die Denkpause mit Ansage.

Angesichts der schwierigen Ausgangslage tat den Nürnbergern ein frühes Tor gut. Das dachte sich wohl auch Mike Frantz, der diesmal auf der linken Seite begann; nach vier Minuten dribbelte er in den Strafraum und flog aus ungeklärter Ursache hin, Simons verwandelte den von Schiedsrichter Florian Meyer erteilten Elfmeter (4.). "Ich glaub', dass man den Elfmeter nicht pfeifen muss", erklärte Franz. "Also ich hätte ihn nicht gepfiffen." Wiesinger sagte: "Solche Entscheidungen mussten wir auch schon hinnehmen, diesmal war es Glück für uns." Wie praktisch: Nun durfte sich der Club zurückziehen.

Bei einem Flachschuss von Patrick Herrmann klärte Hiroshi Kiyotake auf der Torlinie (8.). Ansonsten sprang für die Borussia wenig heraus gegen die defensivstarken Nürnberger; stattdessen unterlief Thorben Marx nach einer halben Stunde ein Fehlpass, Kiyotake setzte Pekhart ein, und der Tscheche erzielte mit einem Schuss ins entfernte Toreck das 2:0. Für die Borussia kam Herrmann noch einmal zum Schuss, diesmal klärte Club-Torwart Raphael Schäfer. Angreifer Luuk de Jong vergab noch eine große Chance (43.), dann war Pause, und die Gladbacher sinnierten, was die vergangene Dreiviertelstunde eigentlich sollte.

In der zweiten Hälfte zeigte sich die Borussia gewillt, gegen die Ungerechtigkeit des Weltenlaufs anzukämpfen. Herrmann, der die linke Abwehrseite der Nürnberger mit seiner Schnelligkeit regelmäßig vor Probleme stellte, erzielte auf Zuspiel von de Jong den Anschlusstreffer (58.). Nur sechs Minuten später vergab er nach einem Pass des eingewechselten Peniel Mlapa den Ausgleich.

Danach spielten die Nürnberger wieder mit. Doch die eingewechselten Offensivkräfte Sebastian Polter und Robert Mak vergaben ihre Gelegenheiten zum vorentscheidenden 3:1. Die Gäste hingegen kamen zu keinen guten Möglichkeiten mehr - und kassierten ihre erste Niederlage seit dem zwölften Spieltag. Ihr Trainer Lucien Favre war bedient: "Das ist unglaublich. Wenn man einen Penalty gibt, muss man absolut sicher sein. Das sollte auch in Deutschland gelten", klagte er. "Unsere Spieler haben danach überhastet gespielt, weil sie in Rückstand waren und wussten: Das ist Unrecht."

(Text: Markus Schäflein, Nürnberg)

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