Tour-Sieger Thomas:"Das letzte Mal, als ich geheult habe, war bei meiner Hochzeit"

Tour-Sieger Thomas: Geraint Thomas bei der Zieldurchfahrt in Espelette.

Geraint Thomas bei der Zieldurchfahrt in Espelette.

(Foto: Christophe Ena/AP)
  • Geraint Thomas wird beim abschließenden Zeitfahren Dritter und wird am morgigen Sonntag in Paris die Tour de France gewinnen.
  • Im Ziel wird er von seinen Gefühlen überwältigt - er sagt, bisher habe er noch nicht über einen Tour-Sieg nachgedacht.
  • Er ist der einzige Fahrer, der ohne eine Schwäche die Frankreich-Rundfahrt absolviert hat.

Von Johannes Knuth, Espelette

Geraint Thomas hätte durchaus leichtsinnig werden können in diesen vergangenen Tagen. Bis zuletzt war es so prächtig gelaufen für den Briten, da hätte er vorab ja schon mal ein paar Ratschläge einholen können, wie man so einen Gesamtsieg bei der Tour de France eigentlich ordnungsgemäß zelebriert. Wo diniert man in Paris, nach der Siegerehrung auf den Champs-Élysees? Welche heimische TV-Show eignet sich am besten, um den Ruhm zu mehren - "Strictly Come Dancing" oder doch lieber "The Jump", eine halsbrecherische Wintersport-Show, bei der sich Großbritanniens erster Tour-Sieger Bradley Wiggins ein Bein brach? Vielleicht würde es sogar für einen Aufstieg in den Ritterstand reichen, Sir Geraint Thomas, klingt doch schick.

Aber Thomas hat sich von all der Vorfreude in diesen Tagen nicht den Kopf verdrehen lassen. Das hatte der 32-Jährige nach der 19. Etappe am Freitagabend noch einmal glaubhaft vermittelt: "Ich bin noch immer in meiner Blase, da will ich in den letzten Tagen die Augen nicht vom Ball lassen." Und tatsächlich: Thomas bestritt auch die 20. Etappe, das Einzelzeitfahren am Samstag, so unaufgeregt, stress- und wetterresistent wie die 19 Etappen zuvor.

Er wurde Dritter in der Tageswertung, ein paar Sekunden hinter Sieger Tom Dumoulin und seinem Teamkollegen Christopher Froome. Das reichte locker, um das Gelbe Trikot zu verteidigen. Thomas wird es auch auf der zeremoniellen Schlussetappe am Sonntag nach Paris tragen, wo der Führende nicht mehr attackiert wird, so will es die Tradition. Geraint Thomas, 32, aus Cardiff wird der erste Waliser und der dritte Brite nach Wiggins und Froome sein, der die Tour de France gewinnt. "Ich kann das nicht in Worte fassen", sagte Thomas im Ziel. "Ich kann es noch nicht glauben. Es ist überwältigend. Bislang habe ich das gesamte Rennen nicht darüber nachgedacht, aber jetzt kann ich es sagen: Ich habe die Tour gewonnen, Mann!", meinte Thomas, dem immer wieder die Stimme stockte, ihm waren gerade die Tränen gekommen: "Das letzte Mal, als ich geheult habe, war bei meiner Hochzeit. Keine Ahnung, was gerade mit mir passiert ist."

Thomas wird fast vom Rad katapultiert wie ein Rodeoreiter

Die Prüfung am Samstag war noch mal knackig gewesen, drei Hügel und eine knapp ein Kilometer lange Schlussrampe verteilten sich auf 31 Kilometer zwischen Saint-Pée-Sur-Nivelle und Espelette. Thomas brachte recht komfortable zwei Minuten Puffer auf seine Verfolger mit, aber dahinter ging es eng zu. Dumoulin, der aktuelle Zeitfahr-Weltmeister, lag nur 19 Sekunden vor Primoz Roglic, dem ehemaligen Skispringer aus Slowenien, der ebenfalls ein begabter Zeitfahrer ist und bei dieser Tour überraschend stark über die Berge gekommen war. Er hatte am Freitag die letzte Etappe durch die Pyrenäen gewonnen, den entmachteten Titelverteidiger Christopher Froome sogar auf den vierten Platz im Klassement gestoßen.

Froome begann am Samstag dann so stark, als habe es seine Schwächephasen der letzten Tage nie gegeben. Er warf sich mit Risiko in die Abfahrten, bei der ersten Zwischenzeit hatte er Roglic im Klassement wieder überholt. Thomas rutschte derweil vor einer Rechtskurve das Hinterrad weg, er wurde fast vom Rad katapultiert wie ein Rodeoreiter, fing sich aber wieder. Und er war schnell: Bestzeit bei der ersten Zwischenmarke, 15 Sekunden vor Froome. So blieb es auch bei der zweiten Zwischenzeit; Roglic büßte jetzt immer mehr Zeit ein, seine starke Präsenz in den Bergen hatte wohl doch viel Kraft gekostet. Im Ziel überbot Dumoulin die zwischenzeitliche Bestzeit von Froome um eine mickrige Sekunde, Platz zwei für den Niederländer also im Gesamtklassement. Froome schnappte sich immerhin den dritten Gesamtrang von Roglic, der am Samstag allein 1:14 Minuten auf den viermaligen Tour-Champion verlor. Simon Geschke, Dumoulins Teamkollege im Team Sunweb, wurde als bester Deutscher 18.

Als Thomas dann als Letzer in Espelette eintraf, ohne das letzte Risiko einzugehen, breitete er erleichtert beide Arme aus. Seine Konkurrenten waren in den vergangenen Wochen gestürzt (Rigoberto Uran), schwer eingebrochen (Romain Bardet), von Defekten gebremst (Dumoulin) oder hinter ihm ins zweite Glied gerückt (Froome) - Thomas hatte nie wirklich eine Schwäche gezeigt, er fährt ohne einen Kratzer in der Bilanz nach Paris.

Der neue Herrscher wurde am Wochenende bei aller Wertschätzung auch mit Zweifeln empfangen, jenem Zweiklang also, der fast jeden Triumph bei der Tour in den vergangenen Jahren begleitet hat. Was er zu all den Vorwürfen und Affären in seinem Team Sky sagen könne, die schon Wiggins und Froomes Siege befleckt hatten? "Ich weiß, dass wir keine Regeln brechen und einfach nur hart arbeiten", antwortete Thomas, "ich weiß, dass mein Ergebnis den Test der Zeit überstehen wird." Dann zählte er die Stärke seiner Teamkollegen auf, die mentale Wehrhaftigkeit seiner Equipe, die harte Arbeit, das sei eigentlich schon alles. "Mehr kann ich dazu nicht sagen", fand Thomas.

Am Sonntag geht es dann also tatsächlich in Gelb nach Paris, spätestens dann wird die Blase platzen, mit der Thomas sich bis zuletzt umgeben hat. "Das", hatte er schon am Freitag vermutet, "wird ein ziemlich großer Schock".

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