Tischtennis:Nächste Chance dank Hachimaki

Timo Boll, Han Ying sowie das Mixed-Doppel: Die deutschen Spieler qualifizieren sich bei den European Games in Minsk für Olympia.

Von Ulrich Hartmann, Minsk/München

Seit einigen Jahren schon trägt Timo Boll beim Tischtennis ein selbstgebundenes Stirnband. So ein Hachimaki gilt in Japan als Glücksbringer und Energiequelle, und wenn er auch diesen Gedanken dabei hatte, dann hat das Stirnband seinen Zweck erfüllt. Boll hat am Mittwoch bei den European Games in Minsk nicht nur die Goldmedaille im Einzel gewonnen, durch einen 4:2-Sieg gegen den Dänen Jonathan Groth. Vor allem hat er sich für die Olympischen Spiele in 13 Monaten in Tokio qualifiziert, Grundlage dafür war sein 4:1-Sieg im Halbfinale gegen den Kroaten Tomislav Pucar. Vor vier Jahren in Rio war Boll Fahnenträger. Im olympischen Individualwettbewerb hat Deutschlands historisch bester Tischtennisspieler, der in seiner Karriere so ziemlich alles gewonnen hat, bei fünf Versuchen allerdings nie auch nur das Halbfinale erreicht. Nun bekommt er eine neue Chance.

Es wären Bolls sechsten Spiele - man muss bei ihm mittlerweile den Konjunktiv bemühen, denn alle mittelfristigen Pläne des 38 Jahre alten Profis können zunehmend durch Verletzungen gestört werden. Probleme mit dem Rücken hat Boll schon lange, sein Knie wird seit einer Operation 2015 ab und zu dick - und dann und wann wacht er auch mit Schmerzen in der Schulter auf. Boll spielt seit 23 Jahren auf Hochleistungsniveau. Diese Zeit hat Spuren hinterlassen an einem Körper, von dem Boll selbst lakonisch als "Kadaver" spricht.

2019 European Games - Table Tennis - Mixed Doubles

Aufstrebendes Mixed: Petrissa Solja und Patrick Franziska bestätigen in Minsk mit dem Sieg bei den European Games ihre Form.

(Foto: VALENTYN OGIRENKO/REUTERS)

"Tokio 2020 könnten meine letzten Spiele sein", hat Boll neulich gesagt - aber dann lachend hinzugefügt: "Allerdings wäre 2032 in Düsseldorf auch ein guter Anlass aufzuhören." Die Rhein-Ruhr-Region erwägt eine Bewerbung. Und Düsseldorf ist seit 2006 Wahlheimat des Odenwälders, seither spielt er für Borussia Düsseldorf in der Bundesliga, zudem unterhält der Deutsche Tischtennis-Bund dort sein Leistungszentrum. 2032 wäre Boll 51, er sagt zwar immer wieder, er könne sich ein Leben ohne Tischtennis nicht so richtig vorstellen - aber bis zum Gehtnichtmehr wolle er seine Laufbahn auch nicht ausreizen.

Während sich in Minsk in der Düsseldorferin Han Ying und dem von Petrissa Solja und Patrick Franziska gebildeten Mixed weitere deutsche Athleten für Olympia qualifiziert haben, hofft der im Achtelfinale ausgeschiedene Dimitrij Ovtcharov nun auf den Mannschaftswettbewerb, der am Donnerstag beginnt. Gewinnt das Männerteam mit Boll, Ovtcharov und Franziska bei dort Gold, dann wären sie als Mannschaft und zugleich mit zwei Einzelspielern für Tokio 2020 qualifiziert. Das Gleiche gilt für die Frauen, die mit Solja, Ying und Nina Mittelham spielen.

Kanu-Medaillen

Kanu-Olympiasieger Max Hoff (Essen) hat gemeinsam mit Jacob Schopf (Berlin) die Goldmedaille bei den Europaspielen gewonnen. Im Zweier-Kajak setzte sich das Duo über 1000 Meter durch und hat sich damit zugleich den Titel als Europameister gesichert. Kurz zuvor hatte der dreimalige Canadier-Olympiasieger Sebastian Brendel (Potsdam) Bronze geholt. Dem Titelverteidiger fehlten im Einer-Finale über die 1000 m im Ziel 1,325 Sekunden auf den polnischen Sieger Tomasz Kaczor. Der Saisonhöhepunkt der Kanuten sind die Weltmeisterschaften in Szeged/Ungarn vom 21. bis 25. August. sid

Neben der Männermannschaft sowie Boll und Ovtcharov im Einzel wären bei Olympia in Tokio auch Solja und Franziska im gemischten Doppel Medaillenanwärter. Das Mixed ist zum ersten Mal im olympischen Programm. Bei der Weltmeisterschaft kürzlich in Budapest gewannen Solja und Franziska gemeinsam Bronze. Das Endspiel in Minsk gewannen sie nun gegen das rumänische Duo Bernadette Szocs/Ovidiu Ionescu in vier Sätzen und nicht mal 15 Minuten Netto-Spielzeit. Das deutsche Tischtennis entwickelt mit der 25-jährigen Solja und Franziska, 27, momentan so etwas wie ein Traumpaar.

Und Deutschlands Top-Einzelspielerin Han Ying gewann nun in Minsk immerhin Silber: Sie unterlag erst im Finale der Portugiesin Yu Fu mit 2:4.

Galionsfiguren des hiesigen Tischtennis bleiben Boll und Ovtcharov, aber für beide werden die kommenden 13 Monate eine Herausforderung zwischen Formanstieg und Maßhalten. Beide haben zwei wechselhafte Jahre mit Höchstleistungen und schmerzhaften Verletzungen hinter sich. Ovtcharov war 2012 der bislang letzte Deutsche, der eine olympische Einzelmedaille gewann. Zuvor war dies nur dem heutigen Bundestrainer Jörg Roßkopf gelungen. Zusammen mit Steffen Fetzner hatte Roßkopf 1992 auch olympisches Silber im Doppel gewonnen, doch das Doppel war 2004 letztmals olympisch. Im kommenden Jahr werden in Tokio bei Männern und Frauen jeweils Mannschafts- und Einzel-Medaillen ausgespielt sowie das Mixed. Petrissa Solja und Patrick Franziska könnten im Erfolgsfall also Tischtennis-Geschichte schreiben.

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