Tennis:Wenn nach dem Match beide Spieler weinen

Juan Martin del Potro, Novak Djokovic

Echte Freunde: Novak Djokovic und Juan Martin del Potro (rechts)

(Foto: AP)

Novak Djokovic verliert überraschend gegen Juan Martin del Potro. Hinterher beweist er Größe, als er die Leistung seines Gegners würdigt, der einst mit Depressionen kämpfte.

Von Matthias Schmid

Das Match fand ein ziemlich unwürdiges Ende. Mit einem öden Netzroller verwandelte Juan Martin del Potro seinen Matchball gegen Novak Djokovic. Eigentlich hätte der Argentinier für seinen größten Sieg seit Jahren einen anderen letzten Punkt verdient gehabt, als dass seine Vorhand am Netz hängen bleibt und von dort ins Feld seines Gegners plumpst wie bei einem Hobbyspieler.

Doch del Potro erlebte diesen letzten Ballwechsel ohnehin im Trance, in einem Zustand irgendwo zwischen Verwirrung und Freude. Auf dem Weg zum Netz, um die Glückwünsche von Djokovic entgegenzunehmen, schaute er drein, als hätte er das Spiel verloren, er starrte ins Nirgendwo und entledigte sich seines Stirnbandes. Erst als sein Gegner ihn herzlich in den Arm genommen und ein paar Worte zugeflüstert hatte, begann del Potro zu weinen, er begann langsam zu kapieren, was ihm da gerade in der ersten Runde des olympischen Tennisturniers gelungen war: ein triumphaler Sieg gegen den dominierenden Spieler der Gegenwart, gegen den Weltranglistenersten Novak Djokovic. "Ich hätte nie erwartet, dass ich Novak schlagen könnte. Es war eine unglaubliche Nacht für mich", bekannte del Potro.

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

7:6 (7:4) und 7:6 (7:2) lautete am Ende das nackte Resultat einer hochklassigen Partie, deren Verlauf so niemand erwartet hatte. Djokovic hatte vor Rio das Masters-Turnier in Toronto gewonnen, er hatte sich gut erholt gezeigt nach seiner überraschenden Niederlage gegen den Amerikaner Sam Querrey in der dritten Runde von Wimbledon. Dass er gegen del Potro verlieren könnte, der nach zahlreichen Verletzungen und persönlichen Krisen in der Weltrangliste auf Rang 141 zurückgefallen ist, hatte sich niemand vorstellen könnten. Del Potro nicht, Djokovic nicht und auch nicht Boris Becker, Djokovic' Trainer.

Der Deutsche blickte nach der Niederlange auf der Tribüne so traurig drein, als müsste er einer Beerdigung beiwohnen. Für den Serben musste sich das in diesem Moment, unmittelbar nach der Partie, auch so angefühlt haben. "Ich bin sehr traurig und enttäuscht", gab der 29-Jährige zu. Er hätte das eigentlich gar nicht extra betonen müssen. Sein Gesicht erzählte mehr als Tausend Worte. Seine Augen waren errötet und geschwollen, er weinte, als er den großen Centre-Court unter dem Applaus des Publikums verließ. "Es ist ohne Zweifel eine meiner härtesten Niederlagen in meinem Leben und meiner Karriere", fügte Djokovic zu. "Es ist nicht leicht damit umzugehen, vor allem, wenn die Wunden noch so frisch sind."

Djokovic wird die Niederlage noch länger nachhängen

Diese Niederlage gegen del Potro wird Djokovic vermutlich länger nachhängen als die Niederlage in Wimbledon. Djokovic ist in seiner Heimat ein Nationalheld, er liebt es für Serbien zu spielen und sein Land weltweit repräsentieren zu können. "Es ist nicht das erste oder das letzte Mal, dass ich ein Match verlieren werde, aber bei Olympia fühlt sich das komplett anders an", gab Djokovic zu. Er wollte unbedingt die Goldmedaille gewinnen. Für das Land, für seine Fans und für sich. In dieser Reihenfolge.

Del Potro kämpfte mit Depressionen

Wenn es für Djokovic einen leisen Trost gab, dann war das wahrscheinlich der Name jenes Spielers, der ihn bezwungen hatte: Juan Martin del Potro. "Ich bin froh, dass es gegen einen guten Freund passiert ist, der so gekämpft hat in den vergangenen Jahren", sagte Djokovic.

Del Potro ist in der Tat glücklich, überhaupt wieder Tennis spielen zu können. Er versucht gerade, Anschluss zu finden an die Weltspitze. Seit er 2009 bei den US Open gegen Roger Federer überraschend den ersten Grand-Slam-Titel gewonnen hat, ist seine Karriere ein großer Leidensweg. Es gibt natürlich den einen oder anderen Höhepunkt, wie etwa das Halbfinale vor vier Jahren bei Olympia in London, als er erst in einem denkwürdigen Match in Wimbledon mit 17:19 im fünften Satz das Nachsehen hatte. Oder das Halbfinale ein Jahr später in Wimbledon, als er Djokovic in fünf knappe Sätz zwang. Doch viel häufiger als große Siege beschäftigte del Potro die Gesundheit. Er musste sich dreimal am Handgelenk operieren lassen, er haderte, er kämpfte gegen Depressionen.

Zu Beginn des Jahres war er noch die Nummer 581 gewesen, nun hat er sich zumindest auf Platz 141 verbessert. Schon in Wimbledon deutete er mit seinem Sieg gegen Stan Wawrinka an, dass er wieder zu seiner alten Form zurückfinden könnte. Gegen Djokovic verblüffte er vor allem mit seiner Vorhand, 29 direkte Punkte glückten dem Argentinier in der Partie - ein unfassbarer Wert. Er scheuchte den Serben von einer Ecke in die andere, vor und zurück. Fast alles gelang ihm. "Ich wollte meine Vorhand so hart wie möglich schlagen", sagte del Potro hinterher. Das Publikum raunte, Djokovic staunte.

Auch die Williams-Schwestern verlieren überraschend

"Er kam in den entscheidenen Momenten mit außergewöhnlichem Tennis zurück", lobte er seinen Gegner und fügte anerkennend hinzu: "Er war der bessere Spieler." Novak Djokovic zeigte in der Niederlage wieder seine wahre Größe. Es war nicht die einzige Überraschung an diesem Tag. Serena und Venus Williams verloren ihre Erstundenpartie im Doppel gegen Lucie Safarova und Barbora Strycova ais Tschechien mit 3:6 und 4:6. Für die beiden Schwestern war es die erste Niederlage überhaupt bei Olympischen Spielen, dreimal hatten sie zuvor Gold für die USA gewonnen. Venus war geschwächt von einer Viruserkrankung in die Partie gegangen.

Novak Djokovic war dagegen fit; als er am Ende in die Katakomben trottete, winkte er noch einmal ins Publikum. Die Zuschauer applaudierten. "Solch eine Atmosphäre habe ich nur wenige Male erlebt", sagte er. "Es hat sich angefühlt, als ob ich in meinem Land wäre, als wäre ich Brasilianer. Schade nur, dass ich es nicht in den dritten Satz geschafft habe."

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