Ski alpin:Schwindelig zur Pisteninspektion

Der alpine Ski-Weltcup steht mal wieder im Zeichen von Verletzungen und extremen Belastungen - und die schwere Kitzbühel-Woche hat gerade erst begonnen.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Der erste Trainingslauf auf der berüchtigten Streif lieferte auch in diesem Jahr ein vertrautes Bild: Viele Fahrer rangen mit der Schwerkraft, und manche hatten bereits das Nachsehen. Romed Baumann brach seine Fahrt gar freiwillig ab, die Kanten seiner Ski fanden so wenig Halt, dass der Österreicher einen Materialdefekt vermutete. Die Ski waren freilich in bestem Zustand, wie Baumann später feststellte - der Untergrund war schlicht zu eisig, wie so oft in Kitzbühel, wo sie das Schwere gerne noch schwerer machen. So ein "Eislaufplatz", fand Baumann jedenfalls, "hat mit Skifahren nichts zu tun".

Andere hatten weniger Glück: Kjetil Jansrud, einer der besten Schnellfahrer der Welt, verlor die Balance, er griff mit der Hand ins Eis - zwei Knochen in der Hand brachen, Jansrud wird am Wochenende wohl ausfallen. Der Norweger veröffentlichte später ein Bild von sich im Krankenbett, "Streif 1, Jansrud 0", schrieb er.

Im Januar herrscht im alpinen Weltcup seit jeher Vollbeschäftigung, jedes Wochenende steht jetzt ein Klassiker an, Adelboden, Wengen, Kitzbühel, Garmisch-Partenkirchen. Die Profis ächzen unter Belastungen und Verletzungen, dabei hat die schwerste Woche mit der Streif-Abfahrt am Samstag erst begonnen. Ein aktueller Auszug aus den Krankenakten: Thomas Dreßen, der Titelverteidiger aus Deutschland und diesmal Ehrengast, erlitt zuletzt Kreuzbandriss und Schulterluxation, Saisonaus. Andreas Sander und Marina Wallner: Kreuzbandrisse, Saisonaus. Die Österreicherinnen Anna Veith, Stefanie Brunner, Katharina Gallhuber, Christine Scheyer: ebenso. Der Schweizer Abfahrer Marc Gisin: Rippenbrüche, die seine Lunge quetschten, Karriere in Gefahr. Der Italiener Emanuele Buzzi: Schienbeinkopf-Bruch, erlitten im Auslauf der Wengen-Abfahrt, Saisonaus. "Fakt ist, dass die Verletzungsgefahr sicher nicht kleiner geworden ist", findet Felix Neureuther, zuletzt erst von Daumenbruch und Schleudertrauma genesen, "es reißen einfach zu viele Bänder im Knie." Das sagte er im vergangenen September, mitten in der Vorbereitung.

Ski World Cup Wengen - Men's Alpine Combined - Downhill

Hohe Flüge, harte Landungen: Kjetil Jansrud verletzte sich im Training in Kitzbühel.

(Foto: Denis Balibouse / Reuters)

Der alpine Skisport bewegte sich schon immer im roten Drehzahlbereich, es ist ein Spiel mit Kräften, für die die Fahrer nicht immer gemacht sind. Hinzu kommt, dass jede Verletzung anders ist, mal ist auch eine schlechte Trainingspiste schuld, mal ein Fahrfehler, es sind die üblichen Risiken und Nebenwirkungen. Aber ganz so einfach ist es in diesen Tagen dann auch wieder nicht.

Neulich, die Österreicherin Anna Veith war gerade verunfallt, setzte ihr Landsmann Marcel Hirscher eine bemerkenswerte Wortmeldung ab. Der beste Skirennfahrer der Gegenwart verwies nicht auf die immer schnelleren Ski oder immer fitteren Athleten; Hirscher sprach von vielen Rennen, Trainingsläufen, Pistenbesichtigungen, Pressekonferenzen, Siegerehrungen, noch mehr Rennen. An vielem sei er freilich selbst schuld, den ständigen Visiten bei den Siegerehrungen etwa, anderseits: Nach dem Riesenslalom in Adelboden habe er sich gedacht: "Bin ich froh, dass ich da gut runtergekommen bin." Oder nach den Dienstreisen nach Nordamerika: "Wir kommen am Dienstag heim und am Freitag ist Hangfahren in Val d'Isère. Du bist schwindlig wie Sau, kennst dich hinten und vorne nicht aus, wo du bist." Wenn sich dann die Krankenakten füllen, folgerte Hirscher, "darf sich keiner wundern. Wir werden schon richtig geschliffen."

Hirscher genießt freilich ein paar Vorzüge, einen Privatjet und ein Team, das ihm zuarbeitet. Aber dass das Problem nicht gerade kleiner wird, dafür muss man nur zu den Kollegen schalten, zu Jürgen Graller zum Beispiel.

Graller ist seit knapp zwei Jahren Cheftrainer der deutschen Frauen, davor war er lange im österreichischen Verband angestellt. "Die Industrie, der Trainer und der Athlet, wir alle bewegen uns im Grenzbereich", sagt Graller, das bringe das Leistungsprinzip nun mal mit sich. "Ich kann mich jetzt nicht vom Grenzbereich entfernen, damit es sicher ist." Aber: Bei den immer längeren Reisen und der Regeneration, "da laufen wir eher Gefahr". Die Frauen fuhren im Januar am Dienstag einen Slalom in Flachau, am Wochenende Abfahrten in St. Anton (die jedoch ausfielen), am folgenden Dienstag Riesenslalom am Kronplatz, am Wochenende drei Rennen in Cortina. Oder nach der WM, Ende Februar: Da geht es von der Schweiz über Russland und Tschechien zum Saisonfinale nach Andorra. "Das ist für den TV-Konsumenten ganz gut", findet Graller, für die Fahrerinnen weniger. Und für die Mehrfachleister sogar "extrem gefährlich", wie für Viktoria Rebensburg, die im Riesenslalom und in den schnellen Disziplinen antritt.

Skirennfahrer Thomas Dreßen

... und bei einer Gesprächsrunde nach seinem Kreuzbandriss im folgenden Winter, der eine Titelverteidigung 2019 unmöglich machte.

(Foto: Matthias Balk / dpa)

Ein Ansatz wäre, den kurvigeren Super-G, den auch viele Riesenslalomfahrer fahren, an den Wochenenden mit der Abfahrt zu tauschen, vom Sonntag auf den Samstag zu schieben - um die Techniker für die folgende Woche zu entlasten, sagt Graller. Ein anderer wäre, den Kalender zu entzerren, aber mit dem Entzerren hat der Weltverband Fis wiederum so seine Probleme: Je mehr Weltcups stattfinden, desto besser sind die TV-Quoten und Sponsorenzuflüsse, desto mehr neue Märkte lassen sich erschließen, von Beaver Creek bis Pyeongchang. Ja, man sei diesbezüglich am Limit, sagte Fis-Präsident Gianfranco Kasper vor zwei Jahren im Gespräch, aber er sage es immer wieder: "Es ist niemand gezwungen, teilzunehmen." Aha.

Viele Probleme sind also bekannt, viele Lösungsansätze übrigens auch. Der Kalender ist das eine, das andere sind alte Schutzsysteme, die mechanischen Skibindungen etwa, die oft nicht flexibel reagieren und viele Knieverletzungen verursachen. Manche Ausrüster tüfteln deshalb seit einer Weile an einem Art Airbag, der sich im Krisenfall um das Knie aufblasen soll; aber vom Konzept bis zur Marktreife braucht es viele Tests, viel Entwicklungsarbeit und natürlich: Geld. "Da kann man nur alle auffordern", hat Karlheinz Waibel einmal gesagt, der Wissenschafskoordinator im Deutschen Skiverband, er meinte: Hersteller, Verbände, die Fis. Aber in den Verbänden gibt es viele Komitees, Eitelkeiten und Konkurrenzdenken. Zuletzt trat der Österreicher Hannes Reichelt als Athletensprecher zurück; er habe keine Lust mehr, dass es viele Vorschläge bei Kongressen nicht mal auf die Tagesordnung schafften.

Am Mittwoch hatten die Fahrer in Kitzbühel immerhin einen Tag frei, am Sonntag findet noch der Slalom statt, am Dienstag der nächste in Schladming. Und dann geht's bald zur WM.

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