Schwimmen:Wunde auf, Wunde zu

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Die Spiele in London waren für die deutschen Schwimmer ein Desaster. Paul Biedermann und Marco Koch haben aus den Niederlagen gelernt. In Rio sind sie wieder Medaillenkandidaten.

Von Saskia Aleythe

Als Marco Koch auf den Startblock trat, war Olympia für Paul Biedermann schon fast gelaufen. Der Europameister und Weltrekordhalter war 2012 voller Euphorie nach London gekommen, doch schnell bohrte sich Enttäuschung tief in sein Herz: Über 400 Meter Freistil schied er im Vorlauf aus. "Die Spiele begannen katastrophal", sagt Biedermann noch heute. Und sie wurden auch nicht besser. Ein Schleier der Trübseligkeit legte sich über das Team, kein deutscher Schwimmer, keine deutsche Schwimmerin gewann eine Medaille, und in dieser Phase, als bei mancher Teamkollegin schon die Tränen kullerten, sollte Marco Koch nun also seine Bestleistung zeigen? Er schied im Halbfinale über 200 Meter Brust als 13. aus. Das schmerzte.

Was man aus Niederlagen mitnimmt, ist oft wichtiger als die Niederlage selbst. Paul Biedermann hat Niederlagen erlebt, Marco Koch auch, beide haben sich berappelt und sind nun wieder Olympioniken. Franziska Hentke, Marco Koch, Paul Biedermann - es sind diese drei Namen, die für das Schwimm-Team 2016 stehen. Mit ihnen ist das deutsche Schwimmen in der Weltspitze vertreten, und wenn es diesmal anders läuft als in London, sollte jeder zumindest die Chance haben, um eine Medaille mitzuschwimmen. Doch einer von ihnen fehlte am Mittwoch im deutschen Haus, als die Schwimmer zum ersten Mal in Rio vor die Mikrofone traten: Marco Koch. Das ist schon eine Lehre aus 2012.

Das letzte Mal im olympischen Dorf: Paul Biedermann hält bis heute die Weltrekorde über 200 und 400 Meter Freistil. Nach den Spielen von Rio beendet er seine Karriere. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Vor vier Jahren war Marco Koch gerade dabei, sich einen Namen zu machen in seinem Sport: Bei der EM in Debrecen/ Ungarn schwamm er zu Silber, es war sein erster internationaler Erfolg - und das genau zur richtigen Zeit. Am Brustschwimmerhimmel schimmerte nun zart ein aufgehender Stern, umso motivierter flog er nach London.

Die ersten Tage liefen wunderbar. Ankommen, trainieren, zurechtfinden. "Doch dann sagte er schon, dass er sich nicht mehr so wohl fühlt", erinnert sich sein Trainer Alexander Kreisel. Die Stimmung im Team näherte sich Richtung Totengräber-Attitüde, was auch Marco Koch nicht kalt ließ. Außerdem vergingen einfach zu viele Tage, bis seine Bruststrecke endlich auf dem Programm stand: Einen richtigen Trainingsrhythmus gibt es da nicht. Sich auf den Höhepunkt zu konzentrieren, fällt so ungemein schwerer.

Die letzten vier Jahre waren "prägende Jahre", sagt Kreisel. Sie haben ausgetüftelt, was dem 26-Jährigen am ehesten gut tut, und entschieden, dass eine späte Anreise am besten ist. Erst am Samstag, drei Tage vor seinem Start, wird Koch in Rio landen. Es ist ein Ablaufplan, der sich bei Koch schon bei früheren Wettkämpfen bewährt hat. Und das ist nicht das einzige, was der 26-Jährige seit London über sich herausgefunden hat. Da war die Ernährungsumstellung, nachdem ein Allergietest eine Nahrungsmittelunverträglichkeit nachgewiesen hat. Seitdem nennt er sein Konzept "vegan mit Fleisch". Hypnose hat er auch schon getestet und für gut befunden, sein Trainer meint: "Was ihm nicht schadet, soll er ruhig ausprobieren." Dass die deutschen Schwimmer in Rio mit Tageslichtlampen experimentieren, um den Körper für die späten Finalläufe ab 22 Uhr vorzubereiten, kommt dem Forscher Koch entgegen. Auch steht ihnen spezielle Nachtwäsche zur Verfügung, die die Regeneration fördern soll. In Sachen Vorbereitung ist das deutsche Team schon mal ganz vorn dabei.

Ob Paul Biedermann bei seinen letzten Olympischen Spielen ganz vorn dabei sein wird? Es ist eine Frage, die sich Biedermann laut Biedermann gar nicht stellt. Von der brasilianischen Lässigkeit angesteckt schlenderte er am Mittwoch ins Deutsche Haus, "Rio ist toll", sagte er, "die Brasilianer juckt vieles nicht und diese Entspanntheit überträgt sich auch auf mich". Für ihn war das Abschneiden in London, als er über 200 Meter Freistil auch nur als Fünfter anschlug, lange eine "offene Wunde", die damals auch durch seine eigenen Erwartungen entstanden ist. "Ich habe mir zu viel Druck gemacht", sagt er heute, das will er in Rio unbedingt vermeiden, "die Erwartungen von London, auch von außen, gibt es hier nicht". Es ist seine letzte Chance, doch noch eine olympische Medaille zu holen, sonst hat er ja so ziemlich alles erreicht, was einen großen Schwimmer ausmacht: Weltrekorde, WM- und EM-Titel. Der 29-Jährige sagt trotzdem: "Mein Seelenfrieden in Rio hängt nicht von einer Medaille ab." Er will noch mal alles geben und nach 18 Jahren Schwimmen "einen guten Abschluss finden".

Biedermann ist nach London wieder aufgestanden, er hat wieder gewonnen, erst EM-Silber über 200 Meter Freistil und mit der Staffel, dann WM-Bronze im vergangenen Jahr. Als Nummer vier der Welt steht er in den Meldelisten, er zählt sozusagen zum erweiterten Favoritenkreis.

Marco Koch liegt sogar auf Rang zwei, er hat als aktueller Weltmeister über 200 Meter Brust die besten Chancen auf den ganz großen Erfolg. Und er weiß, was er dafür tun muss. "Wer in Rio eine Medaille will, muss Weltrekord schwimmen", sagt er. Der liegt bei 02:07,01 Minuten, Kochs Bestzeit bei 02:07,47.

Wenn Koch in Rio auf den Startblock steigt, wird Biedermann sein Einzel über 200 Meter Freistil schon absolviert haben. Diesmal wird Marco Koch damit umgehen können.

© SZ vom 04.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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