Reaktionen auf Özils Rücktritt:"Und schon bist du wieder der Türke"

Serap Güler

Die CDU-Politikerin Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, sagt der SZ, sie könne beide Positionen nachempfinden.

(Foto: Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, Jakob Studnar)
  • Es geht um den Rückhalt für Autokraten und um Integration: Nach dem Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft reagieren Politiker und Verbände sehr unterschiedlich.
  • Die türkische Gemeinde fordert personelle Konsequenzen auch beim DFB.
  • Kanzlerin Merkel würdigt über eine Sprecherin die fußballerischen Leistungen Özils.
  • Bundesjustizministerin Barley nennt Özils Schritt ein "Alarmzeichen" in Sachen Rassismus. Mehrere Unionspolitiker werfen dem Fußballer hingegen Naivität im Umgang mit Autokraten vor.
  • Klare Rückendeckung erhält "Bruder Özil" von türkischen Regierungsmitgliedern.

Politiker und Verbände reagieren unterschiedlich auf den Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft.

Aus Opposition und Zivilgesellschaft kommt deutliche Kritik am Deutschen Fußball-Bund (DFB). Grünen-Chef Robert Habeck sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wie der DFB sich mit Grindel noch mal als weltoffen und lautstark gegen Rassismus präsentieren will, ist fraglich."

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir sagte der Berliner Zeitung: "Es ist fatal, wenn junge Deutschtürken jetzt den Eindruck bekommen, sie hätten keinen Platz in der deutschen Nationalelf." Zu Özils Foto mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sagte er im Deutschlandfunk: "Für mich war das Foto falsch und es ist nach wie vor falsch."

Die Türkische Gemeinde Deutschlands fordert als Konsequenz den Rücktritt der gesamten DFB-Führung, "damit ein echter Neuanfang für die deutsche Nationalmannschaft denkbar ist", sagte der Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu der Heilbronner Stimme.

Özil hatte sich am Sonntag nach wochenlangem Schweigen zu seinem umstrittenen Treffen mit Erdoğan geäußert. Mit Rassismus-Vorwürfen gegen Verbandschef Reinhard Grindel und andere DFB-Funktionäre zog sich Özil aus der deutschen Nationalmannschaft zurück. In seiner mehrteiligen Stellungnahme schrieb der gebürtige Gelsenkirchener mit türkischen Wurzeln unter anderem: "In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren."

Die Bundesregierung würdigte die Leistungen Özils. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schätze den zurückgetretenen Fußball-Nationalspieler sehr, sagte eine Regierungssprecherin in Berlin. Er sei eine "toller Fußballspieler", der Großartiges für die deutsche Nationalmannschaft geleistet habe. Jetzt habe er eine Entscheidung getroffen, "die zu respektieren ist". Das Verhalten des Deutschen Fußball-Bunds im Fall Özil wollte die Sprecherin nicht kommentieren. Der DFB handele autonom und werde sich sicher mit der Aufarbeitung der gesamten Weltmeisterschaft beschäftigen. Zugleich wies die Sprecherin darauf hin, dass sich der DFB sich mit zahlreichen Projekten für Integration engagiere.

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) schrieb auf Twitter, es sei "ein Alarmzeichen, wenn sich ein großer, deutscher Fußballer wie Mesut Özil in seinem Land wegen Rassismus nicht mehr gewollt und vom DFB nicht repräsentiert fühlt."

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich weniger überzeugt von der Aussagekraft des Falles für Deutschland. Er glaube nicht, "dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland". Einen Hauptschuldigen sieht er in der Affäre nicht. "Ich glaube, alle Beteiligten in der Causa sollten einmal in sich gehen."

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, reagierte nur teilweise verständnisvoll. "Bei allem Verständnis für die familiären Wurzeln müssen sich Spieler der Fußballnationalmannschaft Kritik gefallen lassen, wenn Sie sich für Wahlkampfzwecke hergeben", twitterte die CDU-Politikerin. Zugleich dürfe "diese berechtigte Kritik nicht in eine pauschale Abwertung" von Spielern mit Migrationshintergrund umschlagen, schrieb Widmann-Mauz.

Die CDU-Politikerin Serap Güler, Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, sagte der SZ, sie könne beide Positionen nachempfinden. Es sei ein Fehler von Özil gewesen, sich mit Erdoğan fotografieren zu lassen. "Um Verbundenheit mit der Heimat seiner Eltern zu zeigen, muss man nicht jemanden mit einem Foto ehren, der den Rechtsstaat mit Füßen tritt", sagte Güler. Zugleich bestätige der Umgang mit Özil das ohnehin schon herrschende Gefühl: "Du musst nur einen Fehler machen, und schon bist du wieder der Türke."

Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach verteidigte DFB-Präsident Grindel gegen Özils Kritik. Der Rassismus-Vorwurf sei unverständlich, sagte Bosbach im Inforadio vom rbb. Er kenne DFB-Präsident Reinhard Grindel seit Langem, dieser sei kein Rassist. Özil versuche, "aufgrund der massiven Kritikwegen seines Treffens (...) und der Huldigung für Erdoğan, sich als Opfer des DFB darzustellen - oder der gesellschaftlichen Verhältnissein Deutschland. Das ist doch wirklich grober Unfug."

Deutliche Unterstützung erhielt Özil hingegen von türkischen Regierungspolitikern. Sportminister Mehmet Kasapoğlu schrieb am Sonntagabend auf Twitter: "Wir unterstützen die ehrenhafte Haltung unseres Bruders Mesut Özil von Herzen."

Der türkische Justizminister Abdulhamit Gül gratulierte Özil, weil dieser mit seinem Rücktritt das "schönste Tor gegen den faschistischen Virus geschossen" habe.

Der Sprecher des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, İbrahim Kalın, begrüßte Özils Aussage, dass er den türkischen Präsidenten wieder treffen würde. Weiter schrieb er auf Twitter: "Aber stellen Sie sich vor, welchem Druck Herr Mesut in diesem Prozess ausgesetzt war. Wo sind Höflichkeit, Toleranz, Pluralismus geblieben ...?!"

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