Paul Biedermann:"Die Athleten werden vor den Kopf gestoßen"

Schwimm-WM - Beckenschwimmen

Erfogreicher Schwimmer: Paul Biedermann.

(Foto: dpa)

Weltrekordhalter Paul Biedermann kritisiert im SZ-Interview mit scharfen Worten die Nachwuchsförderung des Deutschen Schwimm-Verbandes und den Rauswurf seines Trainers an Heiligabend.

Von Claudio Catuogno

Es waren diese Bilder aus dem Sommer 2009, die den Schwimmer Paul Biedermann weltbekannt machten: Biedermann, wie er bei der WM in Rom zwei Goldmedaillen gewann, wie er Michael Phelps besiegte, den erfolgreichsten Olympioniken der Geschichte - und wie er danach Papst Benedikt XVI. eine Schirmmütze überreichte. In Rio beendete Biedermann 2016 seine Karriere. Zum Deutschen Schwimm-Verband, der ab kommendem Donnerstag in Berlin seine Deutschen Meisterschaften austrägt, hält der heute 30-Jährige inzwischen Distanz. Und zu den Konzepten, mit denen der Bundestrainer Henning Lambertz die deutschen Beckenschwimmer - nach zwei Olympischen Spielen ohne Medaille - zurück in die Weltspitze führen will, hat Biedermann eine klare Meinung.

"Ich würde nach wie vor sagen, dass wir tolle Athleten haben. Talente, die Persönlichkeit mitbringen und bereit sind, sehr, sehr hart zu arbeiten", sagte Biedermann im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Wochenendausgabe). Aber man muss es als Schwimmverband jetzt auch richtig angehen. Der Verband muss die Talente unterstützen und fördern, anstatt sie zu vergraulen." Der Bundestrainer versuche derzeit allerdings, "allen eine Doktrin aufzudrücken, von der nur er selbst überzeugt ist".

Biedermann kritisiert die Zentralisierung im Schwimmen

Biedermanns Kritik richtet sich vor allem gegen eine zu starke Zentralisierung im deutschen Sport. Im Zuge der umstrittenen Leistungssportreform, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit dem Bundesinnenministerium vereinbart hat, sollen in vielen Sportarten Stützpunkte geschlossen werden - dafür sollen die besten Athleten an anderen Stützpunkten zusammengezogen werden. Man verspricht sich davon neue Reize und eine bessere Betreuung. Biedermann widerspricht: "Jeder will doch seinen Sport professionell machen. Da kann auch die Familie ein wichtiger Baustein sein oder der Studienplatz. All das brauchen wir, um in Deutschland Spitzensport erfolgreich betreiben zu können." Aber jetzt müssten "offenbar neue Konzepte her", sagte Biedermann der SZ, "also wird das Argument gebracht, die Leute sollten mal aus ihren Komfortzonen raus. Komfortzonen! Das sagt man jungen Athleten, die mit ihrem Sport oft nicht mal Geld verdienen. Das ist doch ein Konstruktionsfehler: Eine Reform auf der Vermutung aufzubauen, jemand mache den Leistungssport wegen des Komforts."

Im Schwimmen wird das Konzept der Zentralisierung gegenwärtig allerdings besonders ernst genommen. So wurde kürzlich bekannt, dass die Brustschwimmerin Vanessa Grimberg auf ihre Stelle in der Bundeswehr-Sportfördergruppe verliert, weil sie nicht von Stuttgart an den Bundesstützpunkt nach Heidelberg wechseln will. "Das ist genau so ein Fall", kritisiert Biedermann diese Maßnahme des Bundestrainers Lambertz, "die Vanessa hat in Stuttgart versucht, sich ein so professionelles Umfeld wie möglich aufzubauen. Sie lebt für ihren Sport. Und jetzt wird sie dafür bestraft, dass sie mit viel Eigeninitiative alles für ihren Erfolg getan hat. Das ist doch Wahnsinn. So viele Schwimmer haben wir nicht, dass man die besten gleich so fallen lassen kann, wenn sie sich nicht unterordnen."

Paul Biedermann kritisiert auch weiterhin scharf, dass der DSV mit dem Verweis auf Umstrukturierungen kurz vor Jahresende 2016 den Vertrag des Trainers Frank Embacher am damaligen Bundesstützpunkt in Halle (Saale) nicht verlängert hat. "Er war von 2008 bis 2016 mein Trainer, wir haben in dieser Zeit bei den Männern 50 Prozent aller Medaillen für den DSV gewonnen. Und dann wird er einfach entlassen. Das ist für mich absolut unverständlich", sagte Biedermann der SZ. Den ehemaligen Schwimmer stört zum einen die Art und Weise der Trennung - Embacher fand die Kündigung an Heiligabend in seinem Briefkasten. Dazu Biedermann: "Das ist natürlich ein Unding. Aber das ist leider der Umgang, den man im Deutschen Schwimm-Verband immer schon so gelebt hat, und das bleibt wohl auch weiter so. Ich habe auch mit vielen ehemaligen Athleten gesprochen, die alle bereit wären, sich für das Schwimmen einzusetzen, aber sie werden alle vor den Kopf gestoßen. Der Verband schaltet auf stur und hat daran kein Interesse. Das finde ich sehr traurig."

Jenseits von Stilfragen findet Biedermann die Trennung von Embacher aber auch unklug. Der SZ sagte er: "Wie viel Wissen geht denn durch solche Maßnahmen verloren? Wir sind im deutschen Schwimmen wirklich nicht in der komfortablen Situation, dass wir es uns auch nur im Ansatz erlauben könnten, erfolgreiche Trainer mit all ihren Erfahrungen einfach gehen zu lassen."

Paul Biedermann hält weiter die Weltrekorde über 200 und 400 Meter Freistil. Außerdem hat er im Laufe seiner Karriere elf WM- und 21 EM-Medaillen gewonnen. Nur eine Olympiamedaille ist ein Traum geblieben. Im SZ-Interview erzählt Biedermann außerdem, wie schwer es ihm fiel, sein Olympia-Rennen von Rio nochmal bei Youtube anzusehen, wie er sich beruflich orientiert - und was ihm am Schwimmen am meisten fehlt.

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