Olympia:Was Sie schon immer über Curling wissen wollten

Olympia: Ein einziges großes Rätsel: Die japanische Curlerin Chinami Yoshida betrachtet die Steine beim Match gegen die Schweiz.

Ein einziges großes Rätsel: Die japanische Curlerin Chinami Yoshida betrachtet die Steine beim Match gegen die Schweiz.

(Foto: AFP)

Alle vier Jahre taucht die Sportart aus der Versenkung auf, jedes Mal stellen sich Fragen: Wie glatt ist das Eis? Warum kommen fast alle Steine von einer schottischen Insel? Und was bringt eigentlich die Wischerei mit dem Besen?

Von Thomas Hummel

In Pyeongchang stehen Entscheidungen im Curling an, nach vier Jahren ist die Sportart wieder da. Stets verschwindet sie wie keine andere in Deutschland in der Versenkung, doch bei Olympia lassen sich viele Zuschauer faszinieren von diesem auf den ersten Blick meditativen Sport. Im Vergleich scheint hier alles langsam, stoisch, geerdet zu sein. Besser gesagt: geeist.

Zum Endspurt der Curling-Wettkämpfe bei den Winterspielen fünf Geheimnisse dieses außergewöhnlichen Sports.

Die Fläche: Entgegen dem Eindruck zum Beispiel am TV-Bildschirm ist das Eis der Curler keineswegs glatt. Stattdessen produzieren die Eismeister sogenannte Pebbles. Im Gangneung Curling Center betreten sie jeweils vor den Spielen und zur Halbzeit die vier Bahnen und sprühen mit einer Art Handdusche Wasser aufs Eis. Die Tropfen gefrieren auf der Eisbahn und bilden dann als Pebbles eine unruhige Oberfläche.

Der Spielstein ist unten nach innen gewölbt, hat einen kleinen Hohlschliff. Im Zusammenspiel mit den Pebbles ergibt sich eine äußerst kleine Auflagefläche des mächtigen Steins auf dem Eis. Deshalb ist Curlen weit schwieriger, als es aussieht. Und die Arbeit der Schrubber mit ihren Besen so wichtig, weil sie durch das Polieren der Pebbles noch einiges ausrichten können, während sich der Stein schon auf seiner Reise befindet.

Das Spielgerät: Alle Spielsteine in Pyeongchang haben eine lange Reise hinter sich: Luftlinie 8800 Kilometer. Für die Herstellung benötigt man speziellen Granit, und den gibt es fast nur auf der schottischen Insel Ailsa Craig.

Die kleine Insel war während der Reformation Zufluchtsort für Katholiken, inzwischen lebt kein Mensch mehr dort. Sie steht sogar zum Verkauf. Angeblich soll sie 1,5 Millionen Pfund kosten, doch seit Jahren will niemand so viel Geld bezahlen - trotz Curlingstein-Industrie. Die Firma Kays of Scotland nutzt den "Common Green"-Granit, um daraus den sehr stoßfesten Hauptkörper der Steine zu machen. Und den "Blue Hone"-Granit für die untere Gleitseite - er ist sehr massiv und wasserabweisend. Ein Curlingstein wiegt um die 20 Kilogramm und kostet bis zu 1300 Euro. Es flutscht ein schwerer Wert übers Eis bei Olympia.

Was passiert, wenn dennoch ein Stein bricht? Regel 2.a.c des Weltverbands besagt: Dann "nutzen die Teams den 'Spirit of Curling', um zu entscheiden, wohin die Steine gelegt werden sollen. In der Regel zählt das größere Stück."

Spielzüge: Da das Spiel in Schottland erfunden und durch Auswanderer vor allem nach Kanada exportiert wurde, ist die Curling-Sprache Englisch. Es gibt einen ganzen Stapel an Namen für Spielzüge oder Vorkommnisse, die erst einmal nur Curler verstehen. Beispiele:

Ein come around ist ein Stein, der eine Kurve macht und sich hinter einen gegnerischen Stein legt, sich dort sozusagen versteckt.

Mit einem draw raise stupst man mit seinem Spielstein einen eigenen Stein so gefühlvoll an, dass dieser vorteilhaft in die kreisrunde Zielfläche, das sogenannte Haus, rutscht.

Mit einem takeout rammt man einen gegnerischen Stein aus dem Spiel. Bei Weltklasse-Spielen sind auch double takeouts und triple takeouts zu sehen.

Durch einen wick spielt man praktisch über Bande mit einem gegnerischen Stein, um den eigenen ins Haus zu spielen.

Es gibt noch mehr Begriffe. Entscheidend ist oft, ob ein Team offensiv oder defensiv agiert, ob es den wichtigen letzten Stein spielen darf oder nicht. Davon hängt ab, ob die Curler eher dazu neigen, viele Steine aus dem Spielfeld herauszuschießen (defensiv) oder gefühlvoll viele Steine im Spiel zu lassen (offensiv), um sich die Möglichkeit vieler Punktgewinne offenzuhalten. Unter curlingbasics.com finden sich weitere Erklärungen zur Taktik und verschiedenen Spielzügen.

Das Zubehör: Da ist einmal der Besen. Mit einem handelsüblichen Kehrgerät kommt man im olympischen Turnier nicht weit. Der Besenstil ist aus leichtem Karbon, um den Wischkopf gab es erst 2016 derart hitzige Debatten, dass der Welt-Curling-Verband einen sogenannten Wisch-Gipfel einberief. Heraus kam ein 14-seitiges Regelwerk, in dem besonders aggressives Material verboten wurde.

Die Sportler drücken bei Bedarf ihr volles Gewicht auf den Schrubber, um möglichst durch Reibung Wärme zu erzeugen und damit die Pebbles schmelzen zu lassen. Dadurch ersteht ein dünner Wasserfilm, auf dem der Stein schneller und weiter gleiten kann. Auch die Richtung des Steins kann der Schrubber beeinflussen: Grundsätzlich läuft er durch das Wischen eher geradeaus, weil die Drehungen nicht so gut wirken können.

Curler tragen dazu besondere Schuhe: Eine Sohle ist immer glatt, damit sie über das Eis gleiten kann. Der andere Schuh hat eine raue Sohle, damit sich der Sportler abstoßen kann.

Curling in Deutschland: Zum ersten Mal, seit die Sportart 1998 wieder olympisch wurde, konnte sich diesmal kein deutsches Team qualifizieren. Das deutsche Curling erlebt schwere Zeiten, auch weil der Deutsche Olympische Sportbund in seiner neuen Spitzensportförderung professionelle Strukturen fordert. Doch Curling-Profis in Deutschland?

In den 17 Vereinen des Deutschen Curling Verbands (DCV) sind etwa 700 Sportler organisiert. Der bekannteste und beste war lange Uli Kapp, seit dem vergangenen Jahr Bundestrainer. Er sagte vor Olympia, sein Sport befinde sich in Deutschland in einem "Teufelskreis". Es fehle an Curlingbahnen im Land, und vielleicht bald weiter an Geld. Der DOSB ist der größte Sponsor der Curler, doch da sich diese nicht für Olympia qualifizierten, drohen weitere Kürzungen. Der neue Förderzyklus beginnt 2019, manche meinen schon, Curling könnte bald ganz untergehen im Land. Hoffnung verbreitet eine Einlassung von Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport beim DOSB. Er sagte kürzlich: "Wir haben sicherlich Verbände, die noch Zeit brauchen. Wir müssen uns überlegen, ob wir zum Beispiel in Curling investieren. Das ist die Sportart, die hier ganz früh angefangen hat und die ganze Zeit durchläuft."

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