Olympia:Warum die meisten der 387 russischen Athleten in Rio starten werden

Olympics Day 6 - Judo

Wladimir Putin feiert 2012 in London die Goldmedaille von Tagir Chaibulajew, der nun auch in Rio wieder dabei ist.

(Foto: Getty Images)

Nach der IOC-Entscheidung gegen einen Komplett-Ausschluss Russlands winken die Verbände reihenweise russische Sportler zu Olympia durch.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Die Judoka zählten zu den Verbänden mit der zügigsten Reaktion, das ist gewissermaßen Ehrensache bei einem solchen Ehrenpräsidenten. Am Montagmorgen verkündete der Judo-Weltverband IJF, dass alle russischen Athleten wie geplant in Rio teilnehmen dürfen. Dass gemäß Report der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) über systematisches Staatsdoping in Russland auch mindestens acht Positivproben russischer Judoka vertuscht worden sind, tangiert die IJF nicht. Sie hält ihre "globale Anti-Doping-Strategie" für ausreichend für eine geschlossene Zulassung.

"Es wurde jede Gelegenheit genutzt, die Athleten zu kontrollieren" teilte der von Marius Vizer gelenkte Verband mit, ein alter Freund seines IJF-Ehrenpräsidenten: Russlands Staatschef Wladimir Putin.

Seit Sonntagnachmittag dürfen sich Russlands Sport-Verantwortliche sicher sein, dass trotz des im Wada-Report des kanadischen Anwaltes Richard McLaren sorgfältig dokumentierten Staatsdoping-Systems sehr viele ihrer 387 nominierten Athleten in Rio starten dürfen; da entschied sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter der Leitung seines deutschen Präsidenten Thomas Bach gegen einen Komplett-Ausschluss des russischen Teams. Nur sämtliche irgendwann mal gesperrten russischen Athleten sind gebannt: Das war der Kniff, um Kronzeugin Julia Stepanowa fernzuhalten, ist aber sportrechtlich bedenklich (siehe Kasten).

In allen anderen Fällen sollen nun die internationalen Fachverbände prüfen, ob russische Sportler sauber sind, und sie im Zweifel zulassen. Dieses Abwälzen der Verantwortung ist aus mehreren Gründen schwierig. Eine seriöse Prüfung ist bis zum Spiele-Start am 5. August in vielen Fällen gar nicht möglich; es sagt auch nichts über Sauberkeit oder Nicht-Sauberkeit aus, wenn nun vereinzelte Negativtests auftauchen. Zudem ist erstaunlich, wer die Prüfung der Athleten vornimmt.

In vielen internationalen Föderationen hat sich Russland in den vergangenen Jahren einen erheblichen Einfluss aufgebaut. Eine kleine Auswahl: Den Weltverband der Fechter (FIE) führt der umstrittene und Kreml-nahe Oligarch Alischer Usmanow. Bei den Judoka der IJF arbeitet als Development Manager der Geschäftsmann Arkadij Rotenberg, ein sehr enger Freund Putins aus Petersburg. Im Weltverband der Ringer (Fila) sitzen in Michael Mamiaschwili und Natalia Jariguina gleich zwei russische Funktionäre, in der internationalen Schwimm-Föderation (Fina) ist es Wladimir Salnikow. So ließe sich das für viele der 28 Sommersport-Verbände durchdeklinieren. Zudem mischt Russland hinter den Kulissen bei der Besetzung vieler Ämter mit.

Die Verbände winken ihre Athleten nach Rio

Ein nicht unerheblicher Anteil an Fachverbands-Präsidenten verdankt seine Posten den Deals des kuwaitischen Scheichs Ahmad al-Sabah, der sowohl mit Bach als auch mit Putin ganz eng ist. Und in auffallend vielen Verbänden tauchen durch den russischen Staat kontrollierte Großkonzerne wie Gazprom, Rosneft oder die VTB-Bank als wichtige Sponsoren auf.

Da verwundert es nicht, wenn die Verbände ihre russischen Athleten nun reihenweise nach Rio durchwinken. Erst waren es die Tennisspieler, dann folgten die Judoka und die Bogenschützen, und im Laufe des Montags deutete sich dieselbe Entscheidung noch bei zahlreichen anderen Verbänden an. Bei den Schwimmern reduzierte sich die Zahl russischer Starter um sieben: Drei von ihnen tauchen im McLaren-Report auf, vier zog Russland zurück. Am Ende dürfte sich aber nahezu kein Verband zu einem kompletten Ausschluss der russischen Athleten durchringen, obwohl der Report von Anwalt McLaren für 20 Sportarten vertuschte Positivtests festhielt.

Eindeutig in diese Richtung positionierten sich bisher nur zwei Föderationen - und das auch schon vor der Veröffentlichung des Reports und dem Verzicht des IOC auf einen Kollektiv-Bann. Der eine ist der Leichtathletik-Weltverband, der über veränderte Wettbewerbsregeln nur zwei russische Athleten für Rio zuließ und dessen Vorgehen der Internationale Sportgerichtshof (Cas) vergangene Woche als korrekt einstufte. Nur wer sich einen signifikanten Zeitraum außerhalb von Russlands Systems aufhielt, darf demnach starten.

Der zweite Fall betrifft den Weltverband der Gewichtheber (IWF). Er beschloss vor gut zwei Wochen den Ausschluss Russlands (sowie Weißrusslands und Kasachstans) von Rio, weil unter den Nachtests von Peking und London 2008 und 2012 besonders viele Athleten aus diesen Ländern waren. Um dieses Verdikt auch in die Tat umzusetzen, braucht es allerdings einen sportrechtlichen Abschluss der einzelnen Fälle. Doch trotz des langen Vorlaufs der Nachtests hat das IOC das bisher nicht bewerkstelligt. "Entweder passiert das absichtlich oder das ist unprofessionell", rügt Christian Baumgartner, Mitglied der IWF-Exekutive und Chef der deutschen Heber. Das IOC gebe sich wie ein "Geheimniskrämer", das sei dem Verband "nicht angemessen".

Auch am Montag äußerte sich das IOC auf Anfrage nicht, ob es einen Abschluss der Fälle bis Rio garantiere. So deutet gerade alles darauf hin, dass es nur bei einem Verband einen Kollektiv-Ausschluss gibt. In einem Verband eines sportweiten Staatsdoping-Systems.

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