Nominierung für Fußball-WM:Das Kader-Prozedere wirft Fragen auf

Austria v Germany - International Friendly

Unzufrieden in Klagenfurt: Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Löws potenzielle Streichkandidaten scheinen mit dem Druck der Kader-Nominierung überfordert zu sein. Dass die Nationalelf erst im letzten Moment aufs WM-Maß reduziert wird, ist unglücklich.

Kommentar von Philipp Selldorf

Im dritten Gruppenspiel der EM 2008 spielte Deutschland in Wien gegen Gastgeber Österreich. Eine Niederlage hätte das Turnierende für die Mannschaft des DFB bedeutet und wahrscheinlich auch das Ende der Bundestrainerkarriere von Joachim Löw. Das EM-Aus hätte man ihm mit äußerstem Wohlwollen womöglich verziehen - nicht aber ein Scheitern gegen Österreich. Während Österreichs Medien vor dem Anpfiff ein zweites Córdoba heraufbeschworen (in Erinnerung an den 3:2-Sieg bei der WM 1978), verzeichnete man im DFB-Lager einen erhöhten Nikotinkonsum beim Bundestrainer. Deutschland gewann dann 1:0, und DFB-Präsident Theo Zwanziger durfte führungsstark versichern: Unter keinen Umständen hätte er Löw entlassen - eine Aussage, die ihm dank der Vermeidung des größtmöglichen Störfalls niemand streitig machen konnte.

Jetzt hat die deutsche Nationalelf tatsächlich gegen Österreich verloren, und die beruhigende Nachricht für den DFB und für Zwanzigers Nachfolger Reinhard Grindel ist, dass niemand auf die Idee kommt, Löws Rücktritt zu fordern. Unter anderem liegt das am stark gestiegenen Renommee des österreichischen Fußballs. Gegen Österreich zu verlieren, ist aus Gründen von Prestige und Tradition immer noch peinlich, aber nicht mehr aus Prinzip unverzeihlich. Die ungute Nachricht für den DFB folgt allerdings sogleich: Dieses Spiel im Nachbarland endete nicht bloß in einer Niederlage - es hat auch so ausgesehen wie eine Niederlage.

Löws Mienenspiel zwischen Drama, Entsetzen und Verzweiflung

Der Chefdirigent am Seitenrand machte dazu die passenden Gesichter: Löws bewegtes Mienenspiel zwischen Drama, Entsetzen und Verzweiflung bestärkte die grundsätzlichen Bedenken beim deutschen Fernsehzuschauer: Diese deutsche Mannschaft will in Russland ihren Weltmeister-Titel verteidigen? Dass die arrivierten Größen Hummels, Boateng, Müller und Kroos dem Abend ferngeblieben waren, genügte nicht, um alle mulmigen Gefühle zu vertreiben.

Vor dem Treffen in Klagenfurt war der Eindruck entstanden, die Partie sei eine Veranstaltung des Technischen Überwachungsvereins zum Zweck des Nachweises über die Standfestigkeit von Torwart Manuel Neuer. Dieses Thema war erfreulich schnell erledigt, Neuers TÜV-Siegel steht nicht mehr in Zweifel, stattdessen rückte der andere Zweck des Testspiels in den Mittelpunkt - und zugleich ins Zwielicht: Es ging in Österreich ja auch um jene vier Unglücklichen, die das DFB-Camp am Montag verlassen müssen.

Die Leistungen der potenziellen Kandidaten und das teils erschreckend krause deutsche Mannschaftsspiel warfen die Frage auf, ob das übliche 23+4-Verfahren, den Kader erst im letzten Moment aufs gebotene Maß zu reduzieren, noch das richtige Prozedere ist. Sané, Brandt, Petersen oder Rudy schienen mit der Situation, sich beim Vorspielen unbedingt bewähren zu müssen, überfordert zu sein. Und bevor Löw in dieser sensiblen Sache, bei der es nicht nur um ein paar WM-Reservisten geht, in Klausur gehen durfte, musste er am Sonntag erst noch die Kanzlerin in Südtirol empfangen - keine geglückte Terminplanung.

Abgesehen von Neuers gelungener Rückkehr ins Tor war es also ein zwiespältiger Abend für Jogi Löw. Zwei Aspekte aber dürften ihn ein wenig beruhigen. Erstens: Marco Reus hat mitgespielt und sich nicht verletzt. Zweitens: Beim Turnier in Russland wird es definitiv kein Wiedersehen mit Österreich geben.

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