Nationalmannschaft:Die Grundsatzrede des Joachim Löw

  • Vor dem WM-Qualifikationsspiel in Nordirland nimmt Bundestrainer Joachim Löw Stellung zur Lage des deutschen Fußballs.
  • Löw findet das schwache Abschneiden der deutschen Teams im Europapokal "alarmierend".
  • Die DFB-Elf wird auf Dauer wohl nicht Erfolg haben, wenn die Vereine schwächeln.

Von Christopher Gerards, Belfast

Vielleicht war Joachim Löw überrascht von sich selbst, vielleicht wollte er seine Worte noch einfangen. Er wolle "heute nicht darauf eingehen", sagte Löw und meinte die Debatte zur Lage des deutschen Fußballs. Vielleicht werde er "zu einem anderen Zeitpunkt mal darüber sprechen", fügte er an.

Das klang wie eine freundliche Ankündigung - wer würde nicht gern die Gedanken des Bundestrainers zu dieser Causa hören? Andererseits war die Ankündigung gar nicht mehr nötig. Löw hatte ja gerade erst über den Zustand des deutschen Fußballs gesprochen, und zwar derart ausführlich, dass hinterher jeder wusste: Den Bundestrainer plagen schon auch ein paar ernste Sorgen.

Nach Lage der Dinge hat Joachim Löw, 57, am Mittwochnachmittag in Belfast zwei Pressekonferenzen in einer gehalten: Die eine handelte vom WM-Qualifikationsspiel an diesem Donnerstag (20.45 Uhr MESZ) in Nordirland, bei dem sich sein Team für das Turnier in Russland qualifizieren kann; es ging um die Aufstellung (Boateng könnte anfangen), um den Gegner (gute Defensive) und um die zu erwartende Stimmung im Windsor Park (wahrscheinlich super). In der anderen ging es um die Qualität der Bundesliga, die Krise der deutschen Klubs im Europapokal und die Talente aus Deutschland insgesamt. Es ging also um: die ganz großen Fragen.

"Da muss man sich Gedanken drüber machen"

Wie er das Niveau der deutschen Klubs sehe, hatte ein Reporter Löw gefragt, und der startete kraft des ihm verliehenen Amtes eine Grundsatzrede, die die Republik noch ein paar Wochen beschäftigen könnte. Sechs von sechs Spielen hatten die deutschen Klubs ja vergangene Woche in der Champions League und in der Europa League verloren. Dem FC Bayern gelang ein 0:3 in Paris, Hertha BSC vollbrachte es, in Östersund zu verlieren, einer Stadt, von der die Welt bislang nicht wusste, dass in ihr überhaupt Profifußball gespielt wird.

"Schon auch ein wenig alarmierend" findet der Bundestrainer dieses Abschneiden. Natürlich sei es noch zu früh, ein Fazit zu ziehen, der FC Bayern und Borussia Dortmund könnten ja weiterhin die nächste Runde erreichen. Aber, sagte Löw, "da muss man sich sicherlich Gedanken drüber machen".

"Das ist einfach falsch"

Er selbst und sein Team haben sich schon Gedanken gemacht, "nicht seit letzter Woche, sondern die letzten Jahre auch". Was Löw meinte: dass die Probleme im deutschen Klubfußball nicht erst in Östersund begannen. Es schien ihn ernsthaft zu stören, dass in den vergangenen Jahren teils darüber diskutiert wurde, ob die Bundesliga die beste Liga der Welt sei. "Wenn man jetzt mal ein bisschen zurückgeht in diesem Jahrhundert, dann muss sagen, dass wir in Deutschland ja nicht allzu viele Titel geholt haben", sagte er (der FC Bayern jeweils die Champions League, 2001 und 2013). Wohingegen spanische Klubs (Real Madrid, FC Barcelona) in den vergangenen vier Jahren vier Mal die Champions League gewannen - und drei Mal die Europa League (FC Sevilla).

Ähnlich verhalte es sich, was Talente angehe, fuhr Löw fort. "Wenn behauptet wird, in Deutschland gebe es die allerbesten Talente überhaupt, und es gebe nur in Deutschland Talente - dann ist das einfach fehl am Platze. Weil es nicht stimmt. Weil: In Frankreich oder in Spanien oder in England gibt es auch überragende junge Spieler", sagte Löw, "das ist einfach ein Trugschluss, wenn man sagt: In Deutschland gibt's die Talente, und da muss man in Zukunft einfach alles gewinnen. Das ist einfach falsch."

Hat Löw recht?

Dreieinhalb Minuten sprach Löw insgesamt, und am Ende blieben vor allem zwei Fragen: Hat er recht? Und warum genau wird er jetzt, vor diesem Spiel in Nordirland, derart grundsätzlich?

Man könnte die Regierungserklärung von Löw als eine ironische Umkehrung betrachten. Waren es nicht jahrelang die Vereine, die darüber klagten, dass sie mal wieder zu viele Nationalspieler abstellen mussten? Oder, auch das, dass ihre Profis nicht eingeladen wurden? Und nun: Rechnet Löw genau diesen Vereinen vor, wie viele Punkte sie in der vergangenen Woche international geholt haben, nämlich exakt null.

Andererseits würde genau diese Darstellung Löws Worten nicht gerecht werden. Zum einen, weil er niemandem Schuld zuwies. Löw berichtete vielmehr davon, dass seine Leute viel reisen, um zu verstehen, wie andere Verbände und Klubs arbeiten. "Der Urs Siebenthaler (Chefscout; Anm. d. Red.) ist in Chile jetzt und in Argentinien, in Brasilien, guckt sich ein paar Spiele an. Damit wir wissen, was in Südamerika im Moment passiert", sagte er.

Die DFB-Elf braucht erfolgreiche Klubs

Zum anderen, weil Löw weiß, wie wichtig der Erfolg der Klubs für die Nationalelf ist. Und womöglich ist das der Grund dafür, dass der Bundestrainer so deutlich wurde: dass die DFB-Elf auf Dauer nicht Erfolg haben wird, wenn die Vereine schwächeln. Denn es ist eher kein Zufall, dass die jüngsten großen Erfolge im deutschen Fußball nur ein Jahr trennt: der Champions-League-Sieg des FC Bayern 2013, errungen übrigens gegen den ebenfalls in Deutschland beheimateten BVB; und der WM-Titel 2014. Löw nutzt so gesehen die Autorität, die er hat, um eine Debatte zu beleben, wie sich alle Beteiligten steigern können; wie DFB-Team und Klubs voneinander profitieren können.

Für ihn sei jetzt wichtig, "was morgen passiert und was am Sonntag passiert", hat Löw dann noch gesagt. Was Löw nicht sagte: Dass sein Team es am Donnerstag bitte besser machen soll als Bayern, Hoffenheim, Hertha und die anderen.

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