Nationalmannschaft beim Confed Cup:Löws Radikalität zahlt sich aus

  • Joachim Löw kann den Confed Cup genießen, weil er allerlei Dinge ausprobieren kann.
  • Der Bundestrainer liegt mit vielen Entscheidungen richtig - und er hat für die Zukunft Millionen neue Optionen.
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Von Martin Schneider, Sotschi

Es ist noch nicht lange her, da wollte Witali Mutko den Bundestrainer würgen. "Ich werde Joachim Löw treffen, ich werde ihn ein wenig ausquetschen, mit welch mittelmäßiger Mannschaft er kommen will", sagte der Cheforganisator des Confed Cups bei der Gruppenauslosung und formte mit seinen Händen einen Ring, als wolle er jemandem an die Gurgel gehen.

Mutko hatte das damals spaßig formuliert, aber es steckte ein wenig Wahrheit darin. Sie waren in Russland gar nicht begeistert von Löws Ankündigung, seine besten Spieler zu Hause zu lassen. Die Leute wollten doch den Weltmeister sehen. Dass man für Neuseeland gegen Mexiko schwer Karten verkaufen kann, das war klar. Aber mit der Zugkraft von Manuel Neuer, Toni Kroos und Sami Khedira haben sie schon gerechnet.

Und es gibt immer noch Menschen, die mit dem Plan des Bundestrainers nicht einverstanden sind. Im muslimisch-tatarisch geprägten Kasan erzählten viele, sie seien enttäuscht, dass Mesut Özil nicht spielt. Der Spielmacher hat von allen deutschen Fußballern weltweit die größte Fangemeinde. Der verpassten Chance, ihn in Tatarstan mal live und in echt zu sehen, trauerten die nach, die sich keinen Ausflug nach London zum FC Arsenal leisten können.

Aber davon abgesehen ist die Zahl der Kritiker des Löw'schen B-Team-Plans auf nahezu null geschrumpft. Denn dieser Confed Cup läuft auf erschreckende Weise genau so, wie der Bundestrainer sich das in seinem Kopf einmal ausgemalt haben muss. Als würde das Turnier den Pfeilen auf einem seiner Flipcharts folgen. Nach dem Motto: Punkt eins: Alle einsetzen. Punkt zwei: Keiner verletzt sich. Punkt drei: Spieler entwickeln. Punkt vier: Sachen ausprobieren. Punkt fünf: Gegen Chile bestehen. Strich drunter: Gruppensieg. Fußnote: Strandpromenaden-Spaziergänge nicht vergessen. Dieser Wettbewerb ist bisher ein wahr gewordener Trainer-Traum.

Das liegt auch daran, dass der Bundestrainer seinen Plan auf mehreren Ebenen viel konsequenter durchgezogen hat, als es viele erwarteten. Er hat ja mitnichten wie angekündigt "nicht alle" Topspieler nominiert. Er hat gar keinen nominiert. Außer den beiden Außenverteidigern Joshua Kimmich und Jonas Hector und mit Abstrichen Kapitän Julian Draxler hat keiner der Anwesenden einen natürlichen Anspruch auf die erste Elf. Und bei Kimmich und Hector ergibt sich ihre Alternativlosigkeit trotz unleugbarer Klasse auch mangels Konkurrenz.

Diese Radikalität war ziemlich schlau, denn Löw hatte nun auf dem Papier einen Kader, der sehr jung an Jahren ist und kaum Länderspiele in den Büchern stehen hat. Daher konnte er, ohne als amtierender Weltmeister lächerlich zu wirken, die Erwartungen massiv herunterschrauben und die Devise ausgeben: Gewinnen ist nicht der Maßstab von allem. Er konnte glaubhaft vermitteln, dass er mit Spielern wie Matthias Ginter, Sebastian Rudy und im Notfall auch Kerem Demirbay oder Amin Younes nicht als Ziel ausgeben kann: Wir hauen Chile mit Arturo Vidal und Alexis Sanchez durch die Wand.

Überall Herausforderer

Gleichzeitig wussten er und sein Trainerteam natürlich, dass sie mit Leon Goretzka, Niklas Süle, Timo Werner, Lars Stindl oder Jonas Hector mindestens herausragende Bundesligaspieler haben, im Fall von Joshua Kimmich, Marc-André ter Stegen und Julian Draxler auch Kicker, die auf internationalem Niveau schon was gerissen haben. Und dass es ausnahmslos Spieler sind, die um ihren Platz im Team kämpfen müssen. Selbst für Kimmich und Hector hat Löw mit Marvin Plattenhardt und Benjamin Henrichs noch zwei Herausforderer gefunden. Wenig Erwartung, viel Talent, hohe Motivation - drei exzellente Zutaten, um bei diesem Trockenbrot-Turnier eine Suppe mit Geschmack zu kochen.

Ganz nebenher hat sich Löw auch selbst einen Gefallen getan, denn bei den ganzen neuen Spielern kann er wieder Bundestrainer sein und nicht nur Bundesmoderator. Ein Toni Kroos kennt nach all den Jahren die Ansprachen, einem Leon Goretzka kann er wirklich noch etwas beibringen. Er scheint dadurch selbst auch noch mal neue Motivation gezogen zu haben. Löw erwähnt in diesen Tagen in Russland oft die Mannschaft, die 2010 zur Weltmeisterschaft nach Südafrika fuhr. Damals waren Thomas Müller, Jérôme Boateng, Manuel Neuer oder Mesut Özil die Neuen ohne Turniererfahrung, die er anleiten musste. Daran fühlt er sich bei diesem Team erinnert - nur ohne den Druck einer Weltmeisterschaft.

Nun sieht der Bundestrainer einen Joshua Kimmich, der bisher jede Sekunde gespielt hat und mit 22 Jahren beginnt, Führungsqualitäten zu entwickeln. Einen Julian Draxler, der dem Kapitänsamt gerecht wird und in schwierigen Situationen Verantwortung übernimmt. Einen Leon Goretzka, der zeigt, dass er auch auf internationaler Bühne brillieren kann wie an manchen Tagen auf Schalke.

Einen Lars Stindl, der beweist, dass man auch noch Nicht-Elite-Schüler im fast biblischen Alter von 28 Jahren fürs Nationalteam nominieren kann und einen Timo Werner, der vermutlich die lang ersehnte zweite Stürmeroption neben Mario Gomez werden könnte. Wenn nicht noch Sandro Wagner im Halbfinale drei Tore schießt. Dazu ein Heer von talentierten Spielern, die er nun im Falle einer Verletzung der Arrivierten problemlos zu einer WM mitnehmen kann.

Das sind alles die berühmten Erkenntnisse, die der Bundestrainer mitnimmt und vermutlich würden auch fast alle Spieler des Kaders die Aussage unterschreiben, dass ihnen dieser Ausflug nach Russland mehr gebracht hat als ein Malediven-Urlaub. Insgesamt ist das ziemlich viel auf der Habenseite bei einem Turnier, das eigentlich niemand leiden kann und das aller Voraussicht nach abgeschafft wird. Und auch Mutko wird feststellen müssen, dass Joachim Löw mit der Entscheidung für diese "mittelmäßige Mannschaft" gar nicht so falsch lag.

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