Medienforscher Michael Meyen:"Transfers bedienen die Medienlogik perfekt"

Lesezeit: 4 min

Unter Beobachtung des Fernsehens: Bayern-Keeper Manuel Neuer beim Champions-League-Finale. (Foto: dpa)

Ist der Fußball zur Unterhaltungsmaschine verkommen? Medienforscher Michael Meyen hat sich mit den Wechselwirkungen von Fußball und Medien befasst. Im Interview erklärt er, wie die Medien das Spiel verändert haben - und warum Trainer heute einfach gut aussehen müssen.

Von Lisa Sonnabend

SZ.de: Sie haben in den vergangenen Jahren viel zum Thema Fußball und Medien geforscht. Sie sind wohl selbst ziemlich großer Fan.

Michael Meyen: Ich habe überlegt, wie sich Hobby und Forschung am besten verbinden lassen. Was hier am Institut jedoch gar nicht so einfach ist, weil es unter den Kommunikationswissenschaft-Studenten sehr viele Frauen gibt. Fußball liefert Emotionen und Gemeinschaftserlebnisse - das gefällt mir.

Ihr Lieblingsverein?

Mich fasziniert der FC Bayern München, weil es der Klub schafft, zu polarisieren. Es geht einfach nicht, dass jemand keine Meinung zu den Bayern hat. Entweder man mag das offene Bekenntnis zum Kommerz und Erfolg oder man hasst es, dass der Verein dem Fußball Illusionen raubt.

Welche Idee liegt Ihrer Studie zugrunde?

Der Gedanke war: Der Fußball hat sich verändert, weil die Medien sich verändert haben. Fußball ist auf ein positives Bild in den Medien angewiesen. Die privaten Fernsehsender und das Internet haben die Medienlandschaft extrem verändert - der Fußball spielt eine immer größere Rolle. Es verschwindet zudem ein kritischer Journalismus, der Fußball wird zur Unterhaltungsmaschine. Die Frage war: Ist der Fußball noch wie er in den Siebzigern und Achtzigern war? Er ist es nicht.

Ist Fußball nur noch Unterhaltung?

Wir haben viele Fernsehberichte angeschaut - zum Beispiel das Champions-League-Viertelfinale 2012 zwischen dem FC Barcelona und AC Mailand. Barcelona hat das Spiel klar gewonnen, Lionel Messi war ständig am Ball, von Zlatan Ibrahimovic war während des Spiels dagegen so gut wie nichts zu sehen. Doch kaum wurde der Name Messi genannt, fiel auch der Name Ibrahimovic. Die Milan-Fußballer, die das Spiel bestimmten, wurden lediglich etwa zehn Mal genannt, der schwache Ibrahimovic dagegen 50 Mal. Die Medien konzentrieren sich auf einzelne Spieler, sie inszenieren Duelle. Es geht nicht mehr um das, was auf dem Platz passiert, sondern um das Drumherum.

Wie hat sich der Fußball noch verändert?

Der Rhythmus ist ein anderer. Früher war Anpfiff am Samstag um 15.30 Uhr - heute dagegen sind das ganze Wochenende über Spiele. Das Champions-League-Finale findet seit 2010 nicht mehr an einem Mittwoch statt, sondern wurde auf einen Samstag gelegt, um das Publikum zu maximieren.

Und es hat zahlreiche Regeländerungen gegeben.

Die Fifa hat vieles unternommen, um die Fernseheigenschaften noch besser zu bedienen, indem das Spiel schneller wird. So dürfen Spieler mittlerweile nicht mehr auf dem Feld behandelt werden, es gibt deutlich mehr Balljungen an den Seitenlinien, es gibt gelbe Karten für Spielverzögerung. Einer meiner Master-Studenten hat bei bedeutenden Partien mit der Stoppuhr die Nettospielzeit gemessen - und die steigt an. Bei den WM-Finals 1986 und 1990 - beide Mal Deutschland gegen Argentinien - lag die Nettospielzeit bei etwa 50 Minuten. Bei Partien wie Spanien gegen Deutschland ist man mittlerweile bei 65 Minuten.

Wie beeinflussen die Medien noch die Spielweise?

Die Ballkontaktzeiten haben gewaltig abgenommen. Im WM-Finale 1966 knapp drei Sekunden Ballkontaktzeit, heute um eine Sekunde. Die Zahl der Pässe ist extrem nach oben gegangen.

Aber das hat ja auch taktische Gründe.

Das ist manchmal das Problem der Studie. Dinge passieren zeitlich parallel: Der Fußball passt sich den Medien an, der Fußball verändert sich aber auch selbst, weil Training und Ernährung professioneller geworden sind, weil nicht mehr ein einzelner Trainer zuständig ist, sondern ganze Trainerstäbe.

Medienforscher Michael Meyen. (Foto: privat)

Wie hat sich der Beruf des Trainers verändert?

Früher waren die Trainer knorrige Typen, die kaum geredet haben. Der Trend heute geht in Richtung schöner, eloquenter Übungsleiter. Fast jeder Trainerwechsel passt in dieses Klischee. Entscheidend für die Auswahl eines Trainers ist heute die Fernsehtauglichkeit: Der Wechsel von José Mourinho ist dafür ein perfektes Beispiel. Chelsea hat Mourinho verpflichtet, um den Weggang von Spielern oder die Überlegenheit, die die Bundesliga in der vergangenen Saison demonstrierte, zu kompensieren. Es ist wie bei einem Hollywoodfilm, der nicht ohne einen Star auskommt.

Lautet Ihre These dann, dass es kaum noch um die Übungsleiterqualitäten eines Trainers geht?

Die Vereine haben ja genug Leute, die die Arbeit mit der Mannschaft machen, Hermann Gerland zum Beispiel. Den würde man heute nicht mehr zum Cheftrainer machen, der ist ja nicht so fernsehtauglich. Es überrascht nicht, dass Robin Dutt wieder Trainer in der Bundesliga werden konnte, obwohl es beim letzten Mal ja nicht so gut geklappt hatte. Bruno Labbadia kann gut reden, sieht gut aus - und durfte drei Mal Topklubs trainieren. Aber jetzt ist er vielleicht dann doch verbraucht. Nur komisch, dass die Spieler nicht alle blendend aussehen. Anscheinend gibt es noch nicht genug Top-Fußballer, so dass Vereine nur die Gutaussehenden auswählen könnten. Dafür bekommen heute alle Medientraining.

Warum hat aber dann Schalke nicht den schillernden Stefan Effenberg verpflichtet und stattdessen Jens Keller im Amt gelassen?

Ein Fehler - aber Effenberg kommt noch. Bei der Verpflichtung von Kevin-Prince Boateng hat man es ja auch deutlich gesehen: Der Transfer hatte natürlich auch spielerische Gründe, er lenkt jedoch von allen anderen Problemen ab, tagelang berichteten die Medien nur darüber. Brasilianer holen, war auch ein beliebter Trick. Da ging es nicht immer um die Spielstärke, aber es hat immer für Aufsehen gesorgt.

Manche Transfers werden also nur für die Medien gemacht?

Transfers bedienen die Medienlogik perfekt, es geht um Stars, es geht um Konflikte zwischen zwei Klubs. Wintertransfers haben früher kaum eine Rolle gespielt, in den letzten Jahren steigen sie drastisch an. Obwohl man natürlich nicht sagen kann, dass ein Transfer nur für die Medien gemacht wird. Es geht oft darum, verletzte Spieler zu ersetzen oder Schwachstellen auszugleichen. Es kann also schon passieren, dass der FC Augsburg tatsächlich seine Abwehrreihe stabilisieren muss.

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