Kommentar:Geschenke statt Grabkreuze

Nürnberg hat, was Frankfurt Bewunderung in ganz Europa eingebracht hat: Fans, die sich für ihren Verein begeistern.

Von Sebastian Fischer

Christian Mathenia wusste bereits, wie es sich anfühlt, aus der Bundesliga abzusteigen, aber er wird sich bei seinem zweiten Mal ziemlich gewundert haben. 2018 spielte der Torhüter noch für den Hamburger SV. Als sich der Abstieg abzeichnete, hingen am Trainingsplatz elf Grabkreuze und ein Transparent: "Eure Zeit ist abgelaufen! Wir kriegen euch alle!" Als es so weit war, flogen Rauchbomben auf den Rasen. Und nun? Wurden Mathenia und seine Mitspieler vom 1. FC Nürnberg von den Fans besungen und mit Schals und T-Shirts beschenkt.

Der Wiederabstieg des Aufsteigers ist sportlich so verdient wie jener von Hannover 96, er hat sich seit Monaten abgezeichnet, das trug sicher zur friedlichen Stimmung bei. Anders als in Hannover war die Perspektive in Nürnberg seit Saisonbeginn absehbar, der Club hat seinen Kader im Vergleich zur zweiten Liga aus Rücksicht auf das kleine Budget kaum verstärkt, Nürnbergs Sparsamkeit wurde kürzlich erstmals seit 2007 mit der Lizenzerteilung ohne Auflagen belohnt. Der Abstieg wäre gegen ähnlich schwache Konkurrenz womöglich trotzdem vermeidbar gewesen, wären im Winter ein paar notwendige Verstärkungen gekommen, für die man nicht zwangsläufig Millionen hätte ausgeben müssen; und hätte die Mannschaft früher einen an ihre Stärken angepassten Fußball gespielt. Erst seit Februar unter Interimstrainer Boris Schommers verteidigte der Club kompakt und solide. Dessen Vorgänger, der Aufstiegstrainer Michael Köllner, hatte stur versucht, gegen deutlich überlegene Gegner anzugreifen. Trotzdem hat die Mannschaft auf den Rängen keine Wut provoziert.

Man könnte nun sagen, dass sie in Nürnberg halt Abstiege einfach gewohnt sind, schließlich muss der Club nun bereits zum neunten Mal in der Vereinsgeschichte in die zweite Liga, so oft wie niemand anders. Aber das allein würde der Situation kaum gerecht. Der schwächste Bundesligist hat in dieser Saison das, was auf höherem Niveau Eintracht Frankfurt die Bewunderung in ganz Europa eingebracht hat: Fans, die sich wie selbstverständlich für ihren Verein begeistern. "Was auch immer passiert, wir lieben dich sowieso", stand schon vor dem 0:4 gegen Gladbach auf einem Transparent. "Die Legende wird wieder auferstehen", stand auf einem zweiten, das die Fans zeigten, als die Niederlage feststand. Dann sangen sie "You'll Never Walk Alone".

Nun haben auch in Nürnberg die Ultras schon randaliert, sie haben den Spielern vor ein paar Jahren sogar mal die Trikots abgenommen und sie auf einer Autobahn-Raststätte zur Rede gestellt. Doch am Samstag haben sie gezeigt, was der Fußball in Deutschland mit seiner hohen gesellschaftlichen Relevanz auch sein kann: ein schöner Sport, sogar wenn nicht sehr schön gespielt wird.

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