Kommentar:Derbygefühle - auch ohne Schönheit und Esprit

Nach dem 1:1 feiern vor allem die Schalker: weil sie den BVB, ihnen in der Tabelle mal wieder weit voraus, ins Schwitzen bringen können. Wie sich Schalke langfristig entwickelt, bleibt offen.

Von Philipp Selldorf

Es verrate "viel über die Kräfteverhältnisse im Revier, wenn die Schalker frenetisch für ein 1:1 gefeiert werden", befand Hans-Joachim Watzke mit überlegenem Lächeln. Die Zuhörer hatten es schwer, sich zu entscheiden: Sollten sie die Bemerkung für arrogant halten oder als herablassend empfinden? Klar war lediglich dieses: Der Dortmunder Oberborusse unternahm ein Manöver in alter Uli-Hoeneß-Manier: Es handelte sich um den Versuch, ein Unentschieden in einen Prestige-Sieg zu verwandeln. Watzkes Message lautete: Die Schalker fühlen sich klein, wenn sie die großen Borussen sehen, weshalb sie ein Remis wie einen Sieg bejubeln.

Schalke praktizierte im eigenen Stadion Außenseiter-Fußball

Hätte er diese Behauptung während der Halbzeitpause aufgestellt, hätte er vielleicht recht gehabt: Schalke praktizierte im eigenen Stadion Außenseiter-Fußball. Nach Spielschluss allerdings verfing der Trick des BVB-Chefs nicht mehr: Da war Schalke nicht mehr der Gegner, auf den Watzke herabschauen durfte, sondern ein Widersacher, den die Borussen wieder nicht bezwingen konnten. Es sagt ja auch etwas über die Kräfteverhältnisse im Revier, dass die beiden Derbys in dieser Saison jeweils unentschieden ausgegangen sind. Wie beim Hinspiel hatten auch am Samstag um halb sechs beide Parteien Grund, mit dem Ausgang zufrieden zu sein: Sowohl Schalke als auch Dortmund bewegten sich in verschiedenen prekären Augenblicken am Rande der Niederlage, und so war es am Ende für alle Beteiligten ein glücklicher Punktgewinn.

Erweitert man den Blickwinkel, kommt aber kein Schalker daran vorbei, dass sich die Hierarchie im Revier tatsächlich zugunsten des Rivalen verlagert hat. Das ist nicht erst seit dieser Saison der Fall, sondern das Ergebnis einer seit Jahren konstanten Entwicklung. Damit die Entfremdung vom bösen Nachbarn nicht noch größer wird, hat Schalke im vorigen Sommer das sportliche Management verändert und Christian Heidel sowie Markus Weinzierl engagiert, zwei Spezialisten mit exzellenten Referenzen. Dass der BVB in der Tabelle nun wieder um 13 Punkte enteilt ist, sagt vorerst noch nicht viel aus über das Gelingen oder Nicht-Gelingen dieses strategischen Eingriffs.

Das spielerische Niveau bei Schalke ist deutlich ausbaubedürftig

Man sieht, dass sich im Schalker Fußball gerade einiges ändert, man weiß aber nicht, wohin es steuert. Und schon gar nicht weiß man, ob es reicht, um den Dortmundern wieder näher zu kommen, die ja ihrerseits versuchen, die Bayern zu verfolgen. Basis-Elemente wie Kampfgeist, Zweikampfhärte und mannschaftliche Geschlossenheit sind gestärkt worden; in den anspruchsvolleren Erfordernissen lässt der Fortschritt noch auf sich warten. Das spielerische Niveau ist deutlich ausbaubedürftig. Es mangelt an Schönheit und Esprit.

Den Zuschauern war letzteres allerdings ziemlich egal. Sie feierten am Samstag ihre Mannschaft auf der Ehrenrunde. Einerseits waren die Leute erleichtert über die vermiedene Niederlage, andererseits waren sie stolz, dass die Dortmunder zum Schluss noch mal richtig schwitzen und zittern mussten. Mit einer Unterwerfungsgeste hatte das nichts zu tun, das waren die ganz normalen Derbygefühle.

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