Quarterback Colin Kaepernick:Ein Scheck zur Versöhnung

Eric Reid, Colin Kaepernick

Gebeugte Knie, aufrechte Haltung: Colin Kaepernick (rechts) und Eric Reid, ehemals San Francisco 49ers, protestierten gegen Rassismus.

(Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)
  • Die amerikanische Footballliga NFL und der seit zwei Jahren vertragslose Colin Kaepernick einigen sich außergerichtlich.
  • Der durch seinen Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt berühmt gewordene Quarterback steht nun offenbar vor der Rückkehr aufs Spielfeld.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist doch wunderbar, wenn zwei Parteien, die monatelang erbittert miteinander gestritten haben, eine gemeinsame Lösung finden und ein derart versöhnliches Statement veröffentlichen, wie es die amerikanische Footballliga NFL und die Akteure Colin Kaepernick und Eric Reid getan haben. "Die Beteiligten haben beschlossen, ihre Differenzen beizulegen", heißt es darin, und weiter: "Dieser Beschluss enthält eine Verschwiegenheitserklärung, es wird deshalb keine weiteren Kommentare geben."

Es ist natürlich auch wunderbar, einen gut gefüllten Geldspeicher zu besitzen und sich mit dem Inhalt freikaufen zu können. Zwischen 60 und 80 Millionen Dollar, so berichten bestens informierte Leute, überweist die NFL nun an Kaepernick. Die außergerichtliche Einigung soll ein möglicherweise schlimmeres Urteil, vor allem aber pikante Veröffentlichungen während eines Gerichtsverfahrens vermeiden. Die Zahlung ist ein Eingeständnis der Schuld, ohne Schuld eingestehen zu müssen.

Zur Erinnerung: Kaepernick war einer der spektakulärsten Spielmacher der Liga, im Jahr 2013 führte er die San Francisco 49ers ins Endspiel. Bei einem Vorbereitungsspiel im Jahr 2016 blieb er während des Abspielens der Nationalhymne sitzen und sagte danach: "Ich werde nicht für die Flagge eines Landes aufstehen, in dem Schwarze und andere Minderheiten unterdrückt werden." Vor dem nächsten Spiel kniete er, im Laufe der Saison schlossen sich immer mehr Akteure dem stillen Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt an, vereinzelt auch bei anderen Sportereignissen, was zu heftigen und unversöhnlichen Debatten führte, ob die Hymne der geeignete Rahmen für solche Proteste sei.

Hatten Liga und Vereinsbesitzer tatsächlich Schuld auf sich geladen?

Heftige und unversöhnliche Debatten sind freilich die Sache von US-Präsident Donald Trump, der beim Vorantreiben seiner America-first-Doktrin so vorgeht wie Tullius Destructivus im Comic "Streit um Asterix". Im September 2017 sagte Trump während einer Veranstaltung: "Wäre das nicht großartig, wenn einer der Vereinsbesitzer, sollte jemand unsere Flagge nicht respektieren, sagen würde: Schafft den Hurensohn vom Feld! Raus! Er ist gefeuert!"

Colin Kaepernick war da bereits arbeitslos, und genau darum ging es nun bei diesem Streit mit der NFL. Er hatte seinen Vertrag mit den 49ers am 3. März 2017 nicht verlängert, obwohl er das aufgrund der Struktur des Kontrakts um eine weitere Saison hätte tun können. Er wollte eine Stammplatzgarantie, die wollte ihm San Francisco und letztlich auch keine andere NFL-Franchise geben, also fand Kaepernick keinen Arbeitgeber, und wieder begannen heftige und unversöhnliche Debatten: Hatten sich die Vereinsbesitzer gegen den Störenfried verschworen - möglicherweise auch, damit Trump endlich aufhört mit seinen ständigen Attacken auf Twitter, die ja durchaus schädlich für das Geldspeicherbefüllen waren?

Genau das legte die Klage von Kaepernick vom Oktober 2017 nahe, der unter Berufung auf den Tarifvertrag zwischen Liga und Spielergewerkschaft auf entgangenen Lohn und Einnahmen durch Werbeverträge pochte. In seiner letzten Saison bei den 49ers hatte Kaepernick 14,3 Millionen an Gehalt bekommen, dazu mehrere Millionen von Sponsoren. Ein Schlichter hatte seinen Anwälten im August erlaubt, Klubbesitzer und Mitarbeiter der Liga zu befragen, als seien diese vor Gericht, und es heißt, dass die Antworten dazu taugten, eine stabile Anklage aufzubauen, und dass eine Veröffentlichung dieser Aussagen der NFL massiv schaden könne.

Die Beweisführung bei Vorwürfen wegen Verschwörung ist knifflig, weshalb Experten aufgrund der überraschenden Einigung glauben, dass Liga und Vereinsbesitzer tatsächlich Schuld auf sich geladen hatten. "Die NFL wollte dieses Thema möglichst schnell vom Tisch haben", sagt Carl Tobias von der juristischen Fakultät der University of Richmond: "Sie hat sehr viel Geld dafür bezahlt, um dieses Damoklesschwert loszuwerden."

Bald dürfte Kaepernick auch wieder Football spielen, womöglich sogar in der NFL

60 bis 80 Millionen Dollar, das ist sehr viel Geld, aber angesichts von Einnahmen von derzeit mehr als 14 Milliarden Dollar und einem Gewinn von mehr als zwei Milliarden Dollar in der gerade abgelaufenen Saison durchaus bezahlbar: Die NFL ist ein profitorientiertes Unternehmen, das sich aus den Besitzern der 32 Franchises zusammensetzt, die über sämtliche Regeln selbst bestimmen, bis 2027 soll der Umsatz bei 25 Milliarden Dollar pro Saison liegen.

Schon im Jahr 2013 hatte sich die Liga von der Debatte über die möglichen Folgen wiederholter Gehirnerschütterungen freigekauft. Sie stimmte damals einer Einigung zu, insgesamt 765 Millionen Dollar an ehemalige Akteure zu zahlen - im Gegenzug gab es eine Klausel, die besagte, dass die NFL keine Verantwortung für die Verletzungen übernimmt und nicht zugeben muss, dass diese Erkrankungen durch Football hervorgerufen werden. Auch das war ein Eingeständnis der Schuld, ohne Schuld eingestehen zu müssen.

Kaepernick, 31, hat durch seinen Protest auf viel Geld verzichtet, von den 126 Millionen Dollar, die im letzten Vertrag mit den 49ers vermerkt waren, hat er nur 39 Millionen bekommen. Er ist zu einem Symbol der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung geworden (die Spielkleidung vom ersten Protest ist Teil einer Ausstellung im Smithsonian National Museum of African American History and Culture) und zum Gesicht der Kampagne eines Sportartikelherstellers, und er hat mittlerweile mehr als eine Million Dollar an gemeinnützige Organisationen gespendet.

Er dürfte auch bald wieder Football spielen, womöglich sogar in der NFL. Ein Angebot der am Wochenende gestarteten Liga AAF hat er abgelehnt (er soll 20 Millionen Dollar pro Saison gefordert haben), sein Anwalt Mark Geragos sagte nun, dass er möglicherweise bei den Carolina Panthers oder beim Meister New England Patriots als Ersatzmann unterkommen werde. Eric Reid, 27, hat in der vergangenen Woche bereits einen Dreijahresvertrag bei den Carolina Panthers unterschrieben. Es scheint, als wären tatsächlich alle Parteien ziemlich zufrieden mit dieser Einigung.

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