Julian Brandt:Diesmal reisen die anderen ab

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Fühlt sich wertgeschätzt von Bundestrainer Löw: Julian Brandt (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Anders als noch bei der EM 2016 darf Julian Brandt diesmal mit zu einem großen Turnier.
  • Bei der WM rechnet er nicht mit Startelf-Einsätzen, will sich aber als Joker beweisen.
  • Auch andere WM-Debütanten zeigen ihre Erleichterung.

Von Benedikt Warmbrunn, Eppan

Zu "Jona", sagt Julian Brandt, habe er leider keinen Kontakt mehr gehabt, er, Brandt, hätte seinen Mitspieler aus Leverkusen, Jonathan Tah, gerne verabschiedet. Tah aber war nicht mehr zu finden. Bernd Leno aber habe er noch getroffen, sagt Brandt. Leno, auch ein Leverkusener Mitspieler, sei zu ihm ins Zimmer gekommen, habe "Ciao" gesagt. Die beiden kannten diese Situationen, auch 2016 hatten sich die Wege der Mitspieler kurz vor dem gemeinsamen Ziel getrennt. Und so verabschiedeten sie sich erneut voneinander. Nur dass es dieses Mal nicht Brandt war, der gehen musste.

Die deutschen Nationalspieler genießen in der Öffentlichkeit ein Image der unzerstörbaren Coolness. Sie haben eine teflonartige Unbeirrbarkeit wie Mesut Özil, eine weltgewandte Klugheit wie Mats Hummels, einen oberbayerischen Schalk wie Thomas Müller. Dass auch Nationalspieler Anspannung, Selbstzweifel und Ängste spüren, passt nicht zu diesem öffentlichen Bild. Es waren daher durchaus bemerkenswerte Sätze, die in dieser Woche im deutschen Trainingslager zu hören waren.

"Ich bin, was so was angeht, negativ", sagt Antonio Rüdiger

Begonnen hatte die Woche mit der endgültigen Nominierung des Kaders für die WM in Russland, vier Spieler mussten anschließend das Quartier in Eppan verlassen, darunter Tah und Leno. Es war keine Entscheidung, nach der Normalität eingekehrt ist beim DFB. Zumindest unter den Spielern, die nicht zum Kern der Mannschaft gehören, war noch in den Tagen danach Erleichterung zu spüren.

Sebastian Rudy, der kurz vor der EM 2016 noch gestrichen worden war, teilte mit, dass er sich "mega" über seine erste WM-Teilnahme freue. Antonio Rüdiger, der Verteidiger, der sich 2016 kurz vor dem Turnierbeginn verletzte, erzählte, dass er "ein gutes Gefühl" gehabt habe, aber gleichzeitig auch ein nicht ganz so gutes Gefühl. "Ich bin, was so was angeht, negativ", sagte Rüdiger, Stammspieler beim FC Chelsea, 24 Länderspiele. "Ich bin auf alles vorbereitet." Dann war da noch Julian Brandt.

Neben dem dritten Torwart Kevin Trapp, der den Vorzug vor Leno erhalten hatte, ist Brandt vielleicht der Spieler, der am überraschendsten noch im Kader zu finden ist. Brandt ist ein Flügelspieler, und auf dieser Position hat Bundestrainer Joachim Löw eine besonders üppige Auswahl: Thomas Müller, Marco Reus, Julian Draxler - und Leroy Sané, den Rookie of the Year in der englischen Premier League, nach zehn Toren und 15 Vorlagen, dazu der Meisterschaft mit Manchester City. Sané allerdings ist am Dienstag mit einem Privatjet nach Hause geflogen. Brandt ist immer noch im Trainingslager in Eppan.

Am Dienstagmittag sitzt er an einem Tisch auf der Anlage des Teamhotels des DFB, hinter ihm die riesige Poollandschaft, zu der die Nationalspieler einen eigenen Zugang aus dem Zimmer haben. Dass er nach wie vor zum Kader gehört, war auch für Brandt nicht selbstverständlich. Er hat ja mitbekommen, dass er immer genannt wurde, wenn über die Streichkandidaten spekuliert wurde, "das war auch okay für mich". Am vergangenen Wochenende, als es in die Endphase der endgültigen Nominierung ging, sagt Brandt, sei er dennoch "relativ entspannt" gewesen. In diesem Vorgang ist er ja auch schon ziemlich routiniert.

2016 durfte er als 20 Jahre alter Neuling mit zur EM-Vorbereitung am Lago Maggiore, beim 1:3 im Testspiel gegen die Slowakei debütierte er im Nationaltrikot. Ein paar Tage später, als die finale Nominierung anstand, bat ihn Löw zum Gespräch. "Das war kurz und knackig", erinnert sich Brandt. Löw habe ihn gelobt, habe gesagt, dass es noch nicht reiche - und dass er ihn aufbauen wolle für die WM 2018. "Wenn du das hörst, ist das dennoch erst einmal ein Schlag ins Gesicht", erzählt Brandt. Er reiste dann mit Freunden in den Urlaub, und ein paar Tage später sah er die deutschen EM-Spiele im Fernsehen. "Das war schon merkwürdig, wenn du auf der Couch liegst und die anderen schuften weiter."

An all das musste Brandt am Wochenende noch einmal denken. "Ich habe deswegen jetzt aber nicht tagtäglich geschwitzt, und es war auch nicht so, dass ich am Sonntag nicht einschlafen konnte." Am Montagmorgen lief er zum Frühstück, noch hatte sich nicht herumgesprochen, wer abreisen muss. Und auf einmal stand Löw vor ihm. "Er war mir nur zufällig über den Weg gelaufen, aber er hat mir dann gleich gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen müsse - ich sei im finalen Kader."

Wenn Brandt über diese Stunden der Nominierung spricht, dann wird klar, was Löw an Brandt schätzt. Er hat ein gesundes Selbstvertrauen, ist aber nicht überheblich. Es sind auch diese Eigenschaften, die ihn wertvoll machen, als einen Mann der hinteren Reihe. "Ich weiß gut einzuschätzen, dass ich nicht direkt in Frage komme für eine Startformation", sagt Brandt. "Ich glaube aber auch, dass ich mich in der Bundesliga als Joker ausgezeichnet habe. Für Jokertore bin ich immer bereit."

Den größten Schock am Montag erlebte allerdings nicht Brandt auf dem Weg zum Frühstück. Sondern Matthias Ginter, aufgrund seiner Vielseitigkeit als Defensivspieler eigentlich nur ein Außenseitergefährdeter unter den Streichkandidaten. Am Vormittag klopfte es plötzlich an seiner Zimmertür. Es war aber nur die Putzfrau.

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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