Holocaust-Gedenken:Jüdische Fußballer in Deutschland: Zahlreich, stark, vergessen

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Spielen wider die Rassenideologie: Die Mannschaft von Hakoah Essen, dem ersten jüdischen Sportverein im Ruhrgebiet, gegründet 1923. (Foto: Werkstatt-Verlag/OH)
  • 71 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz erinnert der deutsche Fußball erstmals umfassend an jüdische Breitensportler.
  • Ein Sporthistoriker erzählt 200 Geschichten von stillen Helden.

Von Sebastian Fischer

Sie waren keine filigranen Fußballer, doch das war egal. "Der Spielverlauf ließ deutlich erkennen, dass sich Anfänger um den Ball stritten", schrieb die Zeitung Der Schild über die erste Partie in der Geschichte von BK Idar-Oberstein. Vielleicht führten die Spieler den Ball nicht immer eng am Fuß an jenem 30. November 1934. Vielleicht kannten sie noch nicht die Laufwege ihrer Mitspieler, drei Wochen nach der Vereinsgründung. Vielleicht war das 1:1 gegen Schild Kreuznach etwas unverdient. Doch es ging um etwas ganz anderes für elf Juden, die an diesem Tag, einem Freitag, für Idar-Oberstein auf dem Platz standen. Manche von ihnen waren 60 Kilometer durch die Berge im Hunsrück gefahren, um das zu tun, was die Nazis ihnen in ihren Vereinen verboten hatten: einfach Fußball zu spielen.

Es ist eine von 200 Geschichten, die der Sporthistoriker Lorenz Peiffer erzählen könnte. Doch diese, sagt er, sei exemplarisch. "Es ist das, was mich so wahnsinnig fasziniert: diese unglaubliche Bereitschaft, sich nicht unterkriegen zu lassen. Jetzt erst recht, wir zeigen es denen." Peiffer hat gemeinsam mit seinem Kollegen Henry Wahlig im Dezember ein Buch vorgelegt, das auf fast 600 Seiten erstmals die Geschichten von 200 Vereinen schildert, die deutsche Juden gründeten, meist nachdem die Landesverbände des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach der Machtübernahme Hitlers 1933 mit dem Ausschluss jüdischer Mitglieder begannen. Geschichten, die viele Deutsche zu lange vergessen haben, findet Peiffer.

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"Was soll das? Bleibt weg mit dem Thema!"

An diesem Mittwoch wird weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Und auch der Fußball hat den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, als seinen Erinnerungstag auserkoren. Am Wochenende werden Fans in den Bundesligastadien auf das Gedenken hinweisen, sagt Eberhard Schulz von der Initiative "Nie wieder!", einem Bündnis aus Fans, Verbänden und Vereinen. Fans des FC St. Pauli organisieren eine Vortragsreihe. Der FC Bayern eröffnet eine Wanderausstellung über seine jüdischen Wurzeln. Die Filmemacher Oded Breda und Mike Schwartz zeigen in mehreren deutschen Städten ihre Dokumentation über eine Fußballliga im KZ Theresienstadt. Es gibt viele Beispiele für Erinnerungskultur, sie sind die eine Seite.

Die andere Seite sind die Antworten, die Peiffer bei seinen fast sechs Jahre langen Recherchen oft gehört hat; von Stadtarchiven, die sich für die Informationen bedankten, von denen sie zuvor noch nie gehört hatten. Oder von so manchem Verein: "Was soll das? Bleibt weg mit diesem Thema!" Sporthistoriker Hans Joachim Teichler sagt: "Der Sport lebt im Heute und vergisst seine Vergangenheit."

Der DFB hat nach langem Schweigen zur WM 2006 damit begonnen, seine Geschichte zwischen 1933 und 1945 erforschen zu lassen. Deshalb sind die Schicksale vieler jüdischer Fußballer inzwischen bekannt. Etwa das von Julius Hirsch, dem von den Nazis verfolgten Nationalspieler, der in Auschwitz starb. In seinem Namen vergibt der DFB jährlich einen Preis für Engagement gegen Rassismus. Doch auch in der deutschen Fußballhistorie gibt es noch Lücken, insbesondere auf regionaler Ebene. Und was trotz vieler entsprechender Studien noch zu wenig im allgemeinen Bewusstsein verankert sei, sagt Peiffer: "dass es nach 1933 eine Hochphase des jüdischen Sports gab".

1933 stiegen die Mitgliederzahlen in den jüdischen Vereinen, neue wurden gegründet, Ligen in zwei Verbänden organisiert: Schild und Makkabi. Aus 3000 Mitgliedern in 17 Makkabi-Vereinen wurden in einem Jahr 17 000 in 156 Vereinen. Peiffer und Wahlig haben in Archiven und jüdischen Zeitungen recherchiert, über Großklubs wie BK Hakoah Berlin, mit mehr als zwanzig Junioren- und Senioren-Teams im Spielbetrieb; BK Frankfurt, den Makkabi-Meister 1936 - oder die kleine Mannschaft aus Idar-Oberstein. Alon Meyer, der Präsident des jüdischen Sportverbands Makkabi Deutschland, nennt sie heute "stille Helden - sie bekommen jetzt die Ehrung, die sie verdient haben".

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Nach den Spielen 1936 verbot die Gestapo jüdische Sportveranstaltungen

In Idar-Oberstein, im heutigen Rheinland-Pfalz, lebten 1932 nur etwa 130 Juden. Die Spieler kamen aus 18 Nachbarorten gefahren, es gab bald zwei Teams und eine Schülermannschaft, 1935 zählte der Klub 150 Mitglieder. Ein Makkabi-Funktionär besuchte Idar-Oberstein im März 1935 und wird in der Verbandszeitung zitiert: Es dürfte kaum einen Makkabi-Verein in Deutschland geben, der solch große Schwierigkeiten zu überwinden habe.

Der Sport, sagt Peiffer, sei eine Form des Widerstands gewesen, um die Herrenrassenideologie der Nazis zu widerlegen: "Wir sind jemand, wir sind körperlich stark. Das war für die jungen Menschen ganz wichtig." Bis zuletzt sei in Berichten von Zukunftsplänen der Vorsitzenden zu lesen gewesen, von großer Hoffnung. Der Sport, erklärt Peiffer, sei auch ein Schutzraum gewesen für die jüdische Bevölkerung. Denn Hitler konnte jüdischen Sport nicht offiziell unterdrücken, das verbat ihm die Olympische Charta. Die Welt sollte ja zu den Propagandaspielen 1936 nach Berlin reisen - und die USA hatten wegen der Diskriminierung der Juden in Deutschland mit Boykott gedroht.

Nach den Spielen wurden immer häufiger jüdische Sportveranstaltungen von der Gestapo verboten, und die Vereine verloren ihre Mitglieder, die ins Ausland flüchteten. Die letzte Meldung von der BK Idar-Oberstein datiert vom Januar 1937, eine Niederlage, 1:7 gegen Frankfurt. Knapp zwei Jahre später, nach den Novemberpogromen, entschied sich auch Vereinsgründer Franz Spitzer zur Flucht. Er überlebte.

Lorenz Peiffer und Henry Wahlig: "Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland. Eine Spurensuche", Werkstatt-Verlag, 2015.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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