Fußball-WM in Russland:Deutschland muss mit Boykott der Fußball-WM drohen

Mordovia Arena in Saransk

Die Mordowia-Arena in Saransk ist ein Austrageort der Fußball-Weltmeisterschaft 2018

(Foto: picture alliance/AP Images)

Giftanschlag, Krimkrieg, Syrien: Trotz umstrittener Aktionen Russlands will im Fußball kaum jemand den Gedanken an eine WM-Absage durchspielen. Aber dieses Druckmittel grundsätzlich auszuschließen, ist unklug.

Kommentar von Johannes Aumüller

Natürlich ist es ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke. Aber es lohnt sich, ihn konkreter durchzuspielen. Also: Deutschland boykottiert im Sommer die Fußball-WM in Russland. Ebenso England, Frankreich, Spanien, Portugal und alle anderen Länder der Europäischen Union. Dem Turnier käme fast das halbe Feld abhanden, darunter das Gros der Favoriten. Die Veranstaltung wäre sportlich entwertet und ein großes Ziel von Russlands Autokraten obsolet: Es wäre jedenfalls unmöglich, diese viereinhalb Wochen im Sommer als große Propagandashow von Staatspräsident Wladimir Putin zu inszenieren.

Doch im Sport will kaum jemand diesen Gedanken durchspielen. Kein Boykott, niemals, das ist stattdessen die Maxime - und die ist unangemessen.

Es geht nicht darum, dass schon morgen ein Boykott-Beschluss erfolgen soll. Und natürlich ist es eine schwierige Abwägung, weil ein großes Fußball-Turnier nicht nur eines für die Staatsführung ist, sondern auch eines fürs Volk, und weil es internationale Kommunikationskanäle schafft und aufrechterhält. Aber Boykotte grundsätzlich auszuschließen, ist nicht nur strategisch unklug. Es ist auch ein Blankoscheck für alle autoritären Staaten, in denen der Sport seine Großveranstaltungen so oft austragen lässt, weiter tun und lassen zu können, was sie wollen.

Der DFB sagt, er sei für Brückenbau

Fußball ist nur in der Theorie ein unschuldiges Freizeitvergnügen, in der Praxis hat die Politik den Sport längst gekapert. Auch in Deutschland, aber erst recht in einem Staat wie Russland. Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sagte im Vorjahr, bei einem Turnier sei für die "Selbstdarstellung von Politikern wenig Platz" - wegen des enormen Stellenwertes des Fußballs. Die Erfahrung aber lehrt: Großveranstaltungen nutzen autoritäre Staaten als Chance zur entschlossenen Inszenierung, nach außen, vor allem aber nach innen. Und deshalb muss auch eine WM in ihren politischen Kontext gestellt werden.

Zum Kontext zählt im Fall Russlands eine Vielzahl fragwürdiger Vorgänge: vom ungeklärten Gift-Anschlag in Großbritannien über die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim bis zum Verhalten im Syrien-Krieg. Zudem ist zuletzt ein Staatsdoping-System belegt worden, dessen Existenz Russland immer noch nicht zugegeben hat und bei dem zwei Annahmen naiv wären: dass es allen Olympia-Sportarten zu Gute kam, nur nicht dem Fußball. Und dass das System zwar von der Spitze des Sportministeriums gelenkt wurde, aber sonst niemand in der Staatsführung davon Kenntnis hatte.

Es ist richtig, dass Länder wie Großbritannien, Australien oder Island einen WM-Boykott ihrer Politiker und Diplomaten beschließen oder zumindest diskutieren. Aber deutlich mehr treffen würde Russlands Mächtige ein sportlicher Boykott. Der sollte nicht tabu sein, sondern als Drohung im Raum stehen - und je nach Zuspitzung der (Sport-)Politik auch erfolgen. Der DFB sagt, er sei für Brückenbau statt für Boykott. Nur gestaltet sich Brückenbau oft so wie 2014 bei den Winterspielen in Sotschi: Da schmuste der Sport öffentlich mit Putin, während der am Tag der Schlussfeier die Besetzung der Krim befahl. Putin selbst riss diese Brücke ein, die notdürftig errichtet worden war.

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