Fußball-Kultur:Neues vom Schleudersitz

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"Man muss eine Vaterfigur sein", sagte Alex Ferguson auf die Frage, wie man ein über Jahrzehnte erfolgreicher Trainer wird. In Nürnberg nahm die ManUnited-Legende den Walther-Bensemann-Preis entgegen. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die Nürnberger Akademie für Fußball-Kultur ehrt Alex Ferguson für sein Lebenswerk - und Peter Stöger für einen "Spruch des Jahres".

Von Klaus Hoeltzenbein

Zum Abschied gab der 74-Jährige aus Schottland all seinen ambitionierten Nachfolgern auf den Trainerbänken einen Hinweis mit auf den Weg. "Ich bin stolz darauf, dass mir die Spieler immer abgenommen haben, welche Arbeitsmoral ich von ihnen erwarte", sagte Sir Alex Ferguson: "Man muss den Spielern verdeutlichen, dass Disziplin keine Strafe, sondern eine Erinnerung an diese Erwartungen ist."

Pädagogische Ratschläge wie diese gibt Ferguson, der jahrzehntelange Cheftrainer von Manchester United, heute nicht nur in der Nürnberger Tafelhalle, in der er am Freitagabend für sein Lebenswerk geehrt wurde. Er vermittelt die Theorie der erfolgreichen Dressur von Fußball-Profis inzwischen weltweit, sogar als Gast-Dozent an der Universität in Harvard.

Ferguson referierte auf der Nürnberger Gala, wie er aus so unterschiedlichen Charakteren wie den Engländern David Beckham oder Wayne Rooney, dem Franzosen Eric Cantona, dem Iren Roy Keane oder dem Niederländer Ruud van Nistelrooy zwischen 1986 und 2013 immer wieder neue, erfolgreiche Mannschaften formen konnte. Und warum dieser Cristiano Ronaldo, den er von 2003 bis 2009 trainierte, bevor der Portugiese zu Real Madrid weiterzog, nun doch ein Unikat sei: "Es wäre einfach für mich zu sagen: Ich habe Ronaldo zu dem gemacht, was er heute ist. Aber dem ist nicht so. Ronaldo ist ein perfektes Beispiel für jemanden, der sich aus sich selbst heraus entwickelt hat", erklärte Ferguson: "Wir haben ihm nur die Plattform, die Werkzeuge dafür gegeben, sich bestmöglich weiter zu entwickeln. Aber die entscheidenden Schritte ist er selbst gegangen." Fergusons Rolle dabei? "Man muss eine Vaterfigur sein."

"Mroskos Talente" wird das Buch des Jahres, der beste Blog ist einer über Union Berlin

Keine Veranstaltung in diesem Lande bildet das Spektrum des Fußballs so vielschichtig ab wie die Verleihung des Deutschen Fußball-Kulturpreises, die die in Nürnberg ansässige Deutsche Akademie für Fußball-Kultur alljährlich vornimmt. Von Ferguson und Ronaldo bis zu den Lehrern und Helfern an der Biesalski-Schule in Berlin-Steglitz, die für ihr Engagement mit dem Fußball-Bildungspreis "Lernanstoß" geehrt wurden - sehr viele fanden an diesem Abend wieder Erwähnung, die aus der Beschäftigung mit dem Ball mal ein Vermögen, meist aber Lebensinhalt und Spaß beziehen.

Insgesamt vergibt die Akademie fünf Preise. Der Walther-Bensemann-Preis, der der Prominenz reserviert ist, und den vor Ferguson so unterschiedliche Charaktere wie Franz Beckenbauer (2006), Cesar Luis Menotti (2009), Günter Netzer (2013) oder Marcello Lippi (2015) erhielten, erinnert dabei an den Gründervater des in Nürnberg ansässigen Fachmagazins Kicker.

Die populärste der fünf Akademie-Kategorien ist jene des Fußball-Spruchs des Jahres. Hier spiegelt sich 2016 die Bundesliga-Tabelle, in einer Stichwahl setzte sich das Bonmot des Kölner Trainers Peter Stöger gegen jenes des weiter unten platzierten Schalker Trainers Markus Weinzierl durch. "Ich habe dem Linienrichter meine Brille angeboten. Aber auch das hat er nicht gesehen", lautete der Sieger-Spruch des Wieners Stöger. Anlass war ein weithin sichtbares Handtor, das für Hannover 96 und gegen Köln gegeben wurde.

Ob Stöger die Nominierung recht war, ist fraglich, denn am Tag nach der Kür stellte er in Berlin fest, dass er sich fortan andere Themenfelder suchen wird: "Ich werde mich nie wieder zu Schiedsrichter-Entscheidungen äußern. Das kommt nicht so gut." Anlass war, dass den Kölnern bei Hertha BSC in strittiger Szene ein Last-minute-Ausgleich zum 2:2 versagt worden war.

Weinzierl wiederum beeindruckte die Jury, indem er sich ironisch seinem neuen Schleudersitz in Gelsenkirchen widmete: "Ich habe bei der Wohnungssuche schon eine Absage bekommen, weil der Vermieter einen langfristigen Mieter wollte."

Platz drei ging an den ehemaligen St. Pauli-Trainer Holger Stanislawski, der als ZDF-Experte festgestellt hatte: "Die Drei gehören zusammen wie siamesische Zwillinge." Platz vier an Lukas Podolski, welcher bei der EM in Frankreich den Bundestrainer verteidigte, nachdem Joachim Löw von einer versteckten Kamera beobachtet worden war. "In der Mannschaft ist das kein Thema", lautete der Podolskis Freispruch auf der Pressekonferenz: "Ich denke, 80 Prozent von euch und ich kraulen sich auch mal an den Eiern."

Zum "Fußball-Buch des Jahres 2016" kürte die Jury "Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts". Darin begleitet der Autor Ronald Reng den vom Fußball besessenen Berliner Lars Mrosko tief hinter die glitzernde Fassade des Gewerbes - und schildert beispielsweise, auf welch verschlungenen Wegen der Bosnier Edin Dzeko, Torjäger der Wolfsburger Meisterelf von 2009, in die Bundesliga fand. Platz zwei ging an den Sporthistoriker Werner Skrentny, der sich in "Es war einmal ein Stadion" mit den verschwundenen Kultstätten des Fußballs befasst. Platz drei an den belgischen Romanautor Jean-Philippe Toussaint, der unter dem schlichten Titel "Fußball" Episoden vom Rande des Spiels einsammelt.

Kategorie fünf, der "Fußball-Blog des Jahres", wurde zu Gunsten von "Textilvergehen" entschieden. Einem multi-medialen Blog, der sich seit Jahren dem 1. FC Union Berlin verschrieben hat. Jenem Zweitligisten, der am Mittwoch bei Borussia Dortmund in der zweiten Runde des DFB-Pokals antreten muss. Vom BVB war in Nürnberg gleich zwei Mal die Rede - womit das breite Spektrum des Fußballs bestens abgerundet war. Indirekt erwähnte Alex Ferguson die Dortmunder, als er in Bezug auf seine Trainer-Nachfolger auf der Insel erklärte: "Wir haben da jetzt einen in England" - Pause - "der macht das zu gut." Gemeint war Jürgen Klopp, der Ex-Coach des BVB, der in der Premier-League-Tabelle mit dem FC Liverpool gerade deutlich vor Fergusons Manchester United liegt.

Ein zweites Mal wurde auf den BVB von Stefanie Fiebrig hingewiesen, der Gründungs-Bloggerin bei "Textilvergehen". Sie erinnerte an den Reiz, der für den wahren Fan darin liegt, seinen Klub trotz aller Aussichtslosigkeit stets auf die lange Reise zu begleiten. "Wir fahren da hin, um zu verlieren", sagte Fiebrig über den nächsten Pokal-Trip der Unioner: "Aber, heee: Wir sind da gewesen!"

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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