Frankreichs Überraschungsmeister Montpellier:Routiniers aus der zweiten Reihe

Montpellier gewinnt zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte die französische Meisterschaft - im Duell des armen Provinzvereins gegen den reichen, glamourösen Klub aus der Hauptstadt. Das ist vor allem ein Erfolg für Präsident Louis Nicollin, der in seinem Verein auf Routiniers sowie den eigenen Fußballnachwuchs setzt - und auf teure Stars verzichtet.

Peter Hacker, Marseille

Louis Nicollin war mit seinen Kräften am Ende. Während die Fußballer des Montpellier HSC am späten Sonntagabend nach dem 2:1 in Auxerre auf dem Rasen die erste französische Meisterschaft der Klubgeschichte feierten, hatte sich ihr Präsident in die Katakomben des Stadions zurückgezogen.

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Geschafft: Montpelliers Präsident Louis Nicollin feiert die Meisterschaft nach dem letzten Spiel der Saison gegen den AJ Auxerre.

(Foto: AFP)

Auf einem Stuhl sitzend und sichtlich gezeichnet von den Strapazen eines verrückten Spiels, nahm der 68-Jährige die Glückwünsche seiner Entourage entgegen. Glückwünsche, die sich der Klub aus dem Westen der Camargue an diesem Abend hart hatte erarbeiten müssen.

Mit drei Punkten Vorsprung war Montpellier in die letzte Partie der Saison beim bereits abgestiegenen AJ Auxerre gegangen. Ein Punkt genügte also, doch dann lag Montpellier plötzlich 0:1 zurück. Olivier Kapo hatte in der 20. Minute per Kopf getroffen. Doch Montpellier kam durch den Nigerianer John Utaka zum Ausgleich (32.). Mit diesem Ergebnis ging es in die Pause, und da der Konkurrent Paris St. Germain zur gleichen Zeit in Lorient 0:1 zurücklag, sah alles günstig aus.

Das änderte sich nach dem Seitenwechsel, als die Zuschauer in die Dramaturgie eingriffen: Aus dem Block des AJ Auxerre ließen Fans zunächst Tennisbälle und Toilettenpapier, später Feuerwerkskörper auf das Spielfeld regnen. Dreimal unterbrach Schiedsrichter Saïd Ennjimi die Partie, ein Spielabbruch drohte.

Als sich die Rauchschwaden verzogen hatten und der Ball wieder rollte, hatten sich die Vorzeichen geändert: PSG hatte in Lorient 2:1 gewonnen, Montpellier brauchte einen Punkt. Erst als Ukata in der 76. Minute die Gäste mit einem Kopfball in Führung brachte, wich ihre Ängstlichkeit, routiniert brachten sie den Vorsprung über die Zeit.

Nach dem Abpfiff stand den Spielern von Trainer René Girard die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Sie hatten es endlich geschafft, nach vielen Wochen an der Tabellenspitze, in denen sie immer wieder hatten hören und lesen müssen, dass sie nicht durchhalten würden. Dass sie einknicken würden angesichts des schier übermächtigen Rivalen.

Montpellier HSC gegen Paris St. Germain - dieser Zweikampf an der Tabellenspitze hatte Frankreich die gesamte Saison über in Atem gehalten. Es war ein Duell des armen Provinzvereins gegen den reichen, glamourösen Klub aus der Hauptstadt. Montpellier verfügt über einen Jahresetat von etwa 35 Millionen Euro, PSG hingegen - vor Jahresfrist vom Staatsfonds des Emirats Katar aufgekauft - ließ sich allein den Zugang Javier Pastore aus Palermo geschätzte 45 Millionen Euro kosten.

Während man an der Seine im vorigen Sommer diskutierte, ob David Beckham oder Kaká besser ins Team passen würden, verpflichtete Montpellier nur einige Routiniers aus der zweiten Reihe. Präsident Nicollin blieb seiner Linie treu, die er seit 1974 verfolgt, als er den Verein für 500.000 französische Franc kaufte: Er setzt auf den Nachwuchs aus dem 1978 gegründeten vereinseigenen Fußballinternat.

Am Sonntagabend standen sechs Spieler auf dem Platz, die das Kicken dort gelernt haben. Der marokkanische Spielmacher Younes Belhanda, 22 Jahre alt und gerade zum besten afrikanischen Spieler der Saison gewählt, fehlte sogar noch wegen einer Rotsperre.

Nicollin, dessen Firmen in vielen französischen Städten den Müll wegräumen, personifiziert mit seiner hemdsärmeligen Art die kleine, heile Fußballwelt in Montpellier: Seine Rainer-Calmund-Figur steckt er fast ausschließlich in T-Shirts und Jeans, so wirkt er eher wie ein provenzalischer Kneipenwirt als ein mehrere Hundert Millionen Euro schwerer Unternehmer.

Als Louis Nicollin am Sonntagabend erschöpft in den Stadionkatakomben saß, dachte er vielleicht daran, dass er ein Versprechen einzulösen hatte: Er hatte gelobt, sich beim Titelgewinn einen Irokesenschnitt verpassen zu lassen. Wie der aussieht, kann er im Ausbildungszentrum des MHSC sehen. Irokesenschnitte sind bei französischen Jugendlichen nach wie vor groß in Mode. Selbst in Paris.

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