Florian Neuschwander:Schnell laufen und Sahne zum Frühstück

10 07 2016 xmhx Leichtathletik Europameisterschaft in Amsterdam 2016 emspor v l Florian Neusch

Florian Neuschwanders Leitmotiv? Alles möglichst locker sehen.

(Foto: Jan Huebner/imago)

Florian Neuschwander war früher Leichtathlet - jetzt läuft er ohne Trainer und ohne Plan einfach drauflos. Seine Fans lieben ihn dafür, er steht für eine neue Sport-Generation.

Von Sophie Burfeind

Er grinst tapfer weiter, obwohl das Grinsen nach zweieinhalb Stunden sehr weh tun muss, streicht über seinen Schnauzer, rückt die Kappe zurecht, Daumen hoch. Klick. Die Fans stehen Schlange, also muss Florian Neuschwander noch ein paar mehr Fotos machen. So ist das halt im Rampenlicht - und an diesem Nachmittag im Olympiastadion in München ist Neuschwander der Hauptdarsteller.

Florian Neuschwander sieht aus, als hätte er auf dem Weg ins Stadion sein Skateboard verloren: 1,67 Meter groß, Tattoos am rechten Arm, schwarze Brille, unter der Kappe blonde Locken. Aber der 35-Jährige ist Langstreckenläufer. Vor einem Jahr kannte ihn kaum jemand, jetzt hat er 32 000 Fans bei Facebook, 22 000 bei Instagram, er kriegt Mails, in denen steht: Darf ich dich mal anfassen? Plötzlich hat er so viele Sponsoren, dass er nicht mehr arbeiten muss. Wer ist dieser Typ?

Der Mann, der nebenher Ladendiebe einfangen musste, als er noch in Sportgeschäften gearbeitet hat, er hat sich eine extreme Bühne gesucht: Er rennt Distanzen, die länger sind als ein Marathon, auf dem Asphalt und im Gelände, er ist einer der besten Ultra-Läufer in Deutschland. Er hat als erster Deutscher das Sechs-Tage-Rennen in Colorado gewonnen, bei der 100-Kilometer-Weltmeisterschaft in Spanien wurde er im vergangenen Jahr Neunter. Er ist schnell, aber andere in Deutschland sind schneller.

Es reicht heutzutage nicht mehr, der Schnellste auf der Tartanbahn zu sein

Früher wurden die schnellsten Bahnläufer zu Idolen, heute reicht es nicht mehr, der Beste zu sein. Sport muss Lifestyle sein, deswegen lieben sie Neuschwander.

Zwei Wochen später, ein Treffen in seiner WG. Ausgemacht ist 19 Uhr, Neuschwander kommt eineinhalb Stunden später. Weil er noch schnell das Rennrad abholen wollte, das ihm eine Rad-Firma spontan geschenkt hat, nachdem er vor zwei Tagen ein Bild von sich mit Helm und Fahrrad auf Facebook gepostet hat. "Das Rad musste noch zusammengebaut werden", sagt er und lässt sich auf einen Stuhl am Esstisch fallen. Was er mit dem Fahrrad vorhat? "Vielleicht nach Hamburg fahren, um die Beine locker zu machen", sagt er und massiert sich die Wade. Beim Essen die Frage nach dem Ernährungsplan: satt werden. Sein Trainer? Er selbst. Trainingspläne? Gibt es nicht. Seine Mitbewohner erzählen, was er vor dem letzten Ultramarathon gefrühstückt hat: Rührei, Waffeln mit Sahne, Croissants. Mit Sahne!

Vor ein paar Jahren war das noch anders, da war er ein Leichtathlet, jedes Wochenende auf Wettkämpfen: 3000 Meter, 5000 Meter, Halbmarathon, Marathon, bis zu den deutschen Meisterschaften. Acht Jahre lang, dann hatte Neuschwander keine Lust mehr. Immer dieselben Bahnen, Stadien, Gegner und Trainingspläne, es nervte ihn. Er fing an mit längeren Läufen, 60, 80, 100 Kilometer, er wollte etwas sehen von der Welt: "Ich mache nur noch das, was mir Spaß macht."

Alles begann damit, dass er seine Mutter überraschen wollte

Um seine Mutter zu überraschen, ist er mal spontan 100 Kilometer von Trier nach Neunkirchen ins Saarland gerannt, "dann rennschte einfach dem Wegweiser nach", sagt Neuschwander. Andere Läufer gehen früh ins Bett und um 6 Uhr laufen. Wenn seine Kumpels abends ein Bier trinken, trinkt Neuschwander mit. Er schreibt einen Blog, lädt jede Woche Hobbyläufer ein, um mit ihnen zu laufen. Sie schreiben ihm Nachrichten, mittlerweile 50 am Tag. Er beantwortet alle. "Wenn sie mir schreiben, dass ich sie motiviert habe, heute fünf Kilometer zu laufen, motiviert mich das ja auch selbst."

"Viele Menschen wünschen sich, das eigene Ding durchzuziehen und damit glücklich zu sein. Florian Neuschwander schafft das, dafür wird er bewundert", sagt Sportpsychologe Christian Zepp aus Köln.

Die Sehnsucht, aus der Masse hervorzustechen, besonders zu sein, sie wird auch im Sport immer stärker. "Sportler verstehen sich zunehmend als individuelle Sportler, die nicht länger im organisierten Vereins- und Leistungssport eingezwängt sein wollen", sagt Zepp. Das zeigt sich in Deutschland auch daran, dass die Mitgliederzahlen in Leichtathletikvereinen sinken, dass beispielsweise Cross-Fit-Läufe beliebter werden - wo man in der Natur trainiert, oft in der Gruppe, ohne Trainer. Immer mehr Anfänger starten auch bei Hindernisläufen, bei denen sie sich durch eiskalte Tümpel kämpfen und unter Elektrozäunen durchkriechen. Ohne Leistungsdruck, und am Ende ist jeder ein Gewinner, irgendwie.

"Wenn du den Punkt überwunden hast, wo es richtig wehtut, dann bist du wie im Rausch"

Immer mehr Breitensportler suchen daher das Extreme. "Der Marathonlauf ist heute nicht mehr sonderlich distinktionsfähig, weil er zu einer Standardpraxis von Freizeit- und Breitensportlern geworden ist", sagt Sportsoziologe Karl-Heinz Bette aus Darmstadt. Mit anderen Worten: Wer im Büro angeben will, muss schon durch die Wüste rennen oder für ein paar Sekunden das Leben riskieren. Ein weiterer Grund laut Bette: Durch Extremsport können Körper und Psyche so intensiv erlebt werden, wie es in der heutigen, körperfernen Gesellschaft nicht möglich sei.

Deswegen will auch Florian Neuschwander immer schneller und länger laufen. Als nächstes will er herausfinden, wie sich sein Körper nach 160 Kilometern anfühlt, bei seinem Traumrennen, quer durch Kalifornien. "Wenn du den Punkt überwunden hast, wo es richtig wehtut, bist du wie im Rausch." Wie Achterbahnfahren, sagt er, "irgendwie geil, aber es tut auch weh."

Die Sonne knallt auf den Kiesweg an der Nidda, es ist Sonntag, zwei Tage später. Neuschwander ist gerade mit Triathleten und Hobbyradlern 70 Kilometer gefahren, jetzt geht er noch eine Runde am Fluss laufen. Er spurtet los und die Sätze sprudeln nur so aus ihm heraus, noch schneller als sonst. "Wenn ich beim Laufen mal nicht rede, stimmt was nicht", sagt er und federt den Radweg entlang, vier Minuten pro Kilometer, sein Tempo für 100 Kilometer. Am liebsten würde er ewig rennen, sagt er. Aber auch, dass er auf gar keinen Fall bei einem Triathlon mitmachen wird, nur, weil er jetzt ein schnelles Fahrrad hat.

Einen Tag später auf Facebook: ein Foto von Florian Neuschwander im Neoprenanzug. Nächsten Sonntag ist der Triathlon.

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