Eiskunstlauf:Fixstern am Eislaufhimmel

Lesezeit: 3 min

Ihre Kür bei der Eiskunstlauf Weltmeisterschaft bringt der 16-jährigen Alina Zagitova aus Russland die Goldmedaille ein. (Foto: Kenjiro Matsuo/imago)

Alina Sagitowa gewinnt 13 Monate nach ihrem Olympiasieg auch den Titel der Weltmeisterschaft in Japan. Die 16-jährige Russin beweist, dass ihre Goldmedaille keine Kurzzeiterfolg war.

Von Barbara Klimke, Saitama/München

Am Ende vergrub sie den Kopf in ihren schwarzen Spitzenhandschuhen, erschöpft, fassungslos, erleichtert und den Tränen nahe. Dann glitt sie auf die Bande zu und ließ sich in die Arme ihrer beiden Trainer sinken. Man vergisst leicht, dass unter all dem Glitzer, den Pailletten, dem Puder und dem perfekten Lidstrich junge Mädchen stecken, und Alina Sagitowa, die einige Sekunden vorher die "Carmen" tanzte in der Arena von Saitama, ist immer noch erst 16 Jahre alt. Sehr jung für eine Spitzenathletin, aber uralt, wenn man das Leben nicht nach Jahren, sondern nach Erfahrungen zwischen Eislaufhalle und Ballettstange bemisst.

Am Freitag hat sich die Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Sagitowa in Japan mit einer fabelhaften, nahezu fehlerfreien Kür zur Opernmusik von Georges Bizet auch zur Weltmeisterin gekürt. Das klingt nach einem ungebrochenen Lebenslauf; aber in den 13 Monaten, die zwischen den beiden Goldmedaillen liegen, ist sie in einer derartigen Achterbahnfahrt durch die Höhen und Tiefen ihres Sports geschlittert, dass es für zwei Karrieren reichen dürfte.

Sagitowa erstaunte früh durch eisernen Willen und Entschlossenheit

In Pyeongchang hatte Sagitowa im Februar 2018 die Favoritin und Trainingskollegin Jewgenija Medwedjewa vom Thron gestoßen, die bis dahin zwei Jahre lang als Maß aller Dinge im Reich des Tülls und Toeloops galt. Sogar die russischen Experten hatte das überrascht. Aber schon damals erstaunte das zarte Persönchen, das sich als Kind beim Training auf spiegelglattem Untergrund Arm- und Beinbrüche zugezogen hatte, durch eisernen Willen, Entschlossenheit und heiligen Ernst: Sie habe "kein Recht gehabt, Fehler zu machen", erklärte Sagitowa in Südkorea dem perplexen Publikum nach ihrem hart erarbeiteten Triumph.

Doch die Fehler kamen dann ganz zwangsläufig in den Wochen und Monaten danach: zu viele Termine, zu viel PR-Rummel, zu viel Gezerre an der neuen Eisprinzessin. Bei der nacholympischen Weltmeisterschaft in Mailand wurde sie nur Fünfte. Als die neue Saison begann, war sie ein gutes Stück gewachsen, und was früher federleicht ging, musste erneut erarbeitet werden. Sagitowa wurde im Grand-Prix-Finale geschlagen, dann bei der russischen Meisterschaft, als sie beim Dreifach-Lutz und Doppelaxel stürzte und sich auf Platz fünf wiederfand; bei der Europameisterschaft verlor sie erneut ihren Titel an eine Rivalin aus dem eigenen Land. Schon wurde Argwohn laut, dass sie einen Weg nehmen könnte wie andere vor ihr aus den russischen Eislaufschulen. Wie Liptnitskaja (Europameisterin 2014), wie Sotnikowa (Olympiasiegerin 2014), Radionowa (Junioren-Weltmeisterin 2013, '14). Junge Talente, die aufstiegen wie eine Supernova am Winterhimmel, alles überstrahlten und dann verglühten, als ein neuer Komet erschien.

Sagitowas Konkurrentin Medwedjewa startet mit 19 bereits ihre Zweitkarriere

Sagitowa aber hat sich durchgekämpft durch ihr Formtief. Sie ließ sich auch nicht entmutigen von einer neuen Generation von Eiskindern in ihrer Moskauer Talentschmiede, die bereits tollkühner springen als sie selbst - auch wenn sie bei Erwachsenen-Wettbewerben noch gar nicht zugelassen sind. In Saitama gelang Sagitowa in Kurzkür und Kür nun die schönste, souveränste und sicherste Vorstellung seit Olympia: Eine Kombination aus Dreifach-Lutz und Dreifach-Toeloop zauberte sie aufs Eis, eine weitere aus Dreifach-Lutz und Dreifach-Rittberger, dazu jede Menge weiterer Kunststückchen. Sie sei nervös gewesen, gab sie später zu, "die Saison ist ja nicht so glatt verlaufen", und selbstverständlich hatte sie auch die Stimmen derer gehört, die sie schon fast abgeschrieben hatten. "Ich habe sowohl meine Siege als auch meine Niederlagen von einem Moment auf den nächsten vergessen müssen", erklärte sie nun den Skeptikern: "Ich hatte mir ein Ziel für die Saison gesetzt und es angesteuert."

Wie viel Mühe es kostet, die Spitze in diesem hochanspruchsvollen, hochumkämpften Metier nicht nur zu erobern, sondern zu behaupten, hatte auch Jewgenija Medwedjewa erfahren: jene Klub-Kollegin, der Sagitowa vor Jahresfrist den Olympiasieg entriss. Medwedjewa,19, die Weltmeisterin von 2016 und '17, ist in Japan diesmal Dritte hinter der Kasachin Elizabet Tursinbajewa geworden - und sie hatte einen noch längeren, beschwerlicheren Weg zurück gewählt. Nach den Winterspielen entschloss sie sich, die Moskauer Eislaufschule von Star-Trainerin Eteri Tutberidse zu verlassen, wo Sagitowa inzwischen zur Nummer eins aufgestiegen war. Sie ging nach Kanada und schloss sich der Trainingsgruppe von Brian Oser an - ein für russische Eiskunstläuferinnen bis dahin unerhörter Schritt.

Auch Medwedjewa schlitterte durch ein tiefes Tal: Sie qualifizierte sich in dieser Saison nicht für das Grand-Prix-Finale, wurde abgeschlagenen Siebte bei den nationalen russischen Meisterschaften und nicht einmal für die EM nominiert. Jetzt meldete sie sich mit einer WM-Medaille unter den Weltbesten zurück: "Ich habe bewiesen, dass ich es kann, dass ich immer noch hier bin, dass ich mich behaupten konnte", erklärte sie stolz. Sie werde weiter arbeiten - und nächstes Jahr werde man eine "starke und schöne Medwedjewa sehen". Es ist gewissermaßen, mit 19 Jahren, ihre Zweitkarriere. Den Erfolg der frühen Jahre hat sie hinter sich.

© SZ vom 24.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: