Doping und Olympia:Schwere Verstöße bei Peking-Proben

Beobachtergruppe weist dem IOC im Antidopingkampf während Olympia zahlreiche Versäumnisse nach - 300 Dopingproben sollen fehlen, 140 Tests wurden offenbar beschönigt.

Jens Weinreich

Während der Olympischen Spiele in Peking gab es zahlreiche Ungereimtheiten bei der Durchführung von Dopingkontrollen und Analysen. Der Bericht einer zwölfköpfigen Beobachtergruppe, die von der Engländerin Sarah Lewis geleitet wurde, der Generalsekretärin des Welt-Skiverbandes (Fis), weist dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) etliche Versäumnisse nach.

Doping und Olympia: Dopingkontrollen bei den Olympischen Spielen in Peking: Scheingefecht oder ernsthafte Bemühungen um einen sauberen Sport?

Dopingkontrollen bei den Olympischen Spielen in Peking: Scheingefecht oder ernsthafte Bemühungen um einen sauberen Sport?

(Foto: Foto: dpa)

So sind zwischen dem 27. Juli und 24.August, der Phase, in der das IOC die Hoheit über die Dopingkontrollen hatte, 102 Nationale Olympiakomitees (NOK) ihrer Meldepflicht nicht nachgekommen.

Sie haben keine oder nur unzureichende Angaben über die Aufenthaltsorte ihrer Athleten gemacht. Die Hälfte der 205 NOKs hat also eklatant gegen die Antidoping-Richtlinien verstoßen.

300 Ergebnisse fehlen

Die Beobachter mahnten die fehlenden Informationen schon vor Beginn der Spiele an, erhielten aber nur von acht NOKs Rückmeldungen. Im Bericht, der dem IOC am 19. September zugestellt wurde, heißt es: "Während der Olympischen Spiele hat das IOC nichts gegen jene NOKs unternommen, die diese Informationen nicht lieferten."

IOC-Medizindirektor Patrick Schamasch habe die Kontrolleure um Sarah Lewis lediglich beschwichtigt und erklärt, den NOKs werde "nach den Spielen" schriftlich mitgeteilt, dass sie gegen die Richtlinien verstoßen haben. Während der Spiele aber, und darauf kommt es an, blieben die Vergehen ungeahndet.

Überaus merkwürdig ist auch die Feststellung der Beobachter, dass sie keinerlei Befugnisse zur Überprüfung des olympischen Dopingkontrolllabors hatten. Verantwortliche der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und des IOC hatten dies in Peking ganz anders dargestellt. Sie vermittelten den Eindruck, die Beobachter würden sämtliche Dopingkontrollmaßnahmen überprüfen, also auch die Labortätigkeit.

Die Observer halten überraschend fest: "Die Überprüfung des Labors gehörte nicht zu unseren Aufgaben. Der Grund dafür liegt in der Unabhängigkeit des Labors gegenüber den Besitzern der Olympischen Spiele, dem IOC und dem Organisationskomitee Bocog."

Diese Argumentation ist schwer nachzuvollziehen. Die Beobachter um Lewis erklären, da im Labor Mitarbeiter 17 anderer akkreditierter Labors beschäftigt waren und Mitglieder der IOC-Medizinkommission ständigen Zutritt hatten, sei eine gewisse Überprüfung gewährleistet gewesen.

Bei etlichen Meetings der IOC-Medizinkommission mit den Dopinganalytikern war die Beobachtergruppe nicht zugelassen, was beanstandet wird. Die Observer stellen auch den olympischen Sportverbänden kein überzeugendes Zeugnis aus. So haben nur vier von insgesamt 28 Weltverbänden vorolympische Bluttests und damit ein Blut-Screening durchgeführt: Leichtathletik, Rudern, Radsport und Moderner Fünfkampf. Dies hätte zu Zielkontrollen während der Spiele führen können, doch nur der kleinste dieser Verbände, die Fünfkampf-Föderation, nutzte die Ergebnisse des Screenings auch in Peking.

140 Resultate geschönt

Im 50 Seiten umfassenden Prüfbericht wird das Resultatsmanagement des olympischen Analyselabors und des IOC kritisiert. Aufgrund offensichtlicher Datenpannen seien den Observern die Ergebnisse von 300 der insgesamt 4770 analysierten Dopingproben nicht übermittelt worden. Der Bericht wurde am 19. September abgeschlossen - zu diesem Zeitpunkt waren noch immer nicht alle Testergebnisse vom Labor gemeldet worden: "Es sind zu viele Berichte ausgeblieben."

Außerdem kritisieren die Beobachter, dass das Pekinger Labor rund 140 auffällige Proben als "unauffällig" deklarierte. Dies sei ein klarer Verstoß gegen die internationalen Richtlinien für Dopingtests. Es handelt sich dabei um 100 Proben, bei denen der Quotient von Testosteron und Epitestosteron höher als vier gewesen ist, was auf eine Manipulation hinweist.

In 40 anderen Fällen ging es, obgleich die Tests negativ ausfielen, um eine verdächtig hohe Konzentration anderer Substanzen, die eine Nachprüfung oder Zielkontrollen gerechtfertigt hätten. Geschehen ist auch hier nichts. IOC-Medizinchef Schamasch hat den Observern lediglich versprochen, die betreffenden Weltverbände über die Werte zu informieren.

Mit Unverständnis nahmen die Beobachter auch zur Kenntnis, dass der im Kölner Labor entwickelte Insulintest nicht durchgeführt wurde. Offenbar hatten die Fachleute damit gerechnet, zumal der Antrag auf Zulassung dieses Testes seit Monaten vorlag.

Doch Wada und IOC setzten das Verfahren nicht ein - mit der wundersamen Begründung, der Test sei wissenschaftlich nicht valide. Insofern muss es verwundern, dass IOC-Vizepräsident Thomas Bach an diesem Wochenende behauptet, das "neue, validierte Verfahren" zum Insulinnachweis werde nun bei der Nach-Analyse der olympischen Blutproben in Lausanne angewandt. Die Wahrheit ist: Das Verfahren liegt seit dem Frühjahr vor, entwickelt sogar in Köln. Man hätte es in Peking einsetzen können.

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