Doping-Opfer:"Notorische Lügen"

Mehr als 900 Betroffene, Tendenz steigend: Die Doping-Opfer-Hilfe ringt um finanzielle Mittel für einen neuen Hilfsfonds - und attackiert den Deutschen Olympischen Sportbund, weil der sich daran nicht beteiligen will.

Von Johannes Knuth

Der deutsche Sport schaut in diesen Tagen gerne in die Zukunft. Er will seine Förderung umbauen, die Athleten sollen mehr leisten, mehr gewinnen, am besten Medaillen bei Olympia. Auf das, was mal war, schaut man da lieber nicht so gerne zurück. Auch auf die Dopingopfer aus Ost und West, die von einstigen Medaillenjagden zurückgeblieben sind.

Der Bund hatte dafür im September 2015 noch einmal 10,5 Millionen Euro zugesichert, für einen neuen Hilfsfonds. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) beteiligte sich daran nicht, bis heute, anders als bei früheren Hilfsrunden - obwohl Politik und die Doping-Opfer-Hilfe (DOH) mit ihrer Vorsitzenden Ines Geipel immer wieder darum baten.

Geipel legte nun bei der Verleihung des DOH-Preises in Berlin eine pikante Mail-Korrespondenz mit DOSB-Präsident Alfons Hörmann aus dem vergangenen Jahr vor. Hörmann hatte die finanzielle Hilfe für Dopingopfer damals gerade zur "Chefsache" erklärt. Am 30. August schrieb er dann: Man müsse das Thema "möglichst emotionslos und sachorientiert mit nennenswerten finanziellen Mitteln zu einem Konzept entwickeln, das dann zumindest etwas Hilfe in angemessener Form bringt. Ich sage Ihnen zu, das weiterhin als klares Priorität-1-Thema zu bearbeiten." Vier Tage später teilte der DOSB dem Bund plötzlich schriftlich mit, dass er keine finanziellen Mittel für die Dopingopfer freigeben werde. Geipel hakte bei Hörmann nach. Keine Antwort. Als Hörmann ein halbes Jahr später dem Bund für die neuen Millionen an die Dopingopfer dankte, sagte er: "Der DOSB hat diese Aktivitäten vom ersten Tag bis heute stets aktiv unterstützt." Aktiv unterstützt?

"Notorische Lügen", sagte Geipel in Berlin. Man habe sie um ein Konzept gebeten, und als sie darin dann um Geld vom Sport bat, habe sich der DOSB "wider alle Absprachen aus jeder Verantwortung gezogen".

Hörmann hatte erst im Sommer eine fragwürdige Botschaft in Sachen Doping abgesetzt. Vor Olympia verteidigte er den Kurs seines Vorgängers Thomas Bach, die russische Kronzeugin Julija Stepanowa aus Rio fernzuhalten, wegen ihrer Vergangenheit im russischen Dopingnetz. "Üble Nachrede", entgegnete Hans-Wilhelm Gäb am Dienstag, der ehemalige Sporthilfe-Chef. Stepanowa war da gerade mit dem Anti-Doping-Preis der DOH ausgezeichnet worden. Sie war vor zwei Jahren aus dem Systemdoping ausgestiegen und hatte den Systembetrug enthüllt.

Der DOSB teilte auf Anfrage mit, Hörmann habe nie in Aussicht gestellt, Gelder des Hauses in den neuen Dopingopfer-Fonds fließen zu lassen. Er habe sich aber "aktiv dafür eingesetzt, dass Mittel für eine dritte Entschädigungswelle der Dopingopfer der DDR bereitgestellt werden", vom Bund. Und: "Die Summe von 10,5 Millionen Euro, die schließlich vom Deutschen Bundestag bereitgestellt wurde, ist unserer Einschätzung nach auskömmlich, um den zu erwartenden begründeten Anträgen zu entsprechen."

900 Opfer haben sich gemeldet, die Tendenz ist weiter steigend

Geipel bezeichnete das in Berlin als "eklatanten Denkfehler". Man wolle das Problem mit einer letzten Finanzspitze kurieren, wie bei einer lästigen Impfung. Aber so einfach lasse sich ein "unaufhebbares" Verbrechen nicht wegmoderieren. Geipel sprach von mittlerweile 900 Dopingopfern, die man derzeit betreue, Tendenz steigend. Sie berichtete von physischen und psychischen Wunden, die immer wieder aufbrächen, von rund 70 Todesfällen, und die Dunkelziffer läge um ein Fünf- bis Sechsfaches höher. "Wir erschrecken jeden Tag aufs Neue", sagte Geipel. Und das war vermutlich die wichtigste Botschaft, die sie am Dienstag auffrischte: Dass der Sport nicht in eine goldene Zukunft aufbrechen kann, ohne die Schäden im Jetzt zu bewältigen, bei der die Geschädigten mit ihren Schmerzen im Kreis laufen. Nur, dass es bei diesem Rennen keine Ziellinie gibt.

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