Fußball-WM:Der Wahnsinnsabend des Diego Maradona

Diego Maradona 2018 beim WM-Spiel Argentinien gegen Kroatien

Da war die Welt noch in Ordnung: Später weinte Diego Maradona dann hemmungslos.

(Foto: REUTERS)
  • Argentiniens Fußball-Ikonen Messi und Maradona trauern in Nischni Nowgorod nach dem unerwarteten 0:3 gegen Kroatien.
  • Der Trainer Jorge Sampaoli begeht vor dem Spiel einen folgenschweren Fehler: Er unterscheidet zwischen Messi und der Mannschaft.
  • Hier geht es zum Spielplan der WM.

Von Maik Rosner, Nischni Nowgorod

Das ganze Leid Argentiniens spiegelte sich in den Gesichtern der beiden Fußball-Ikonen des Landes wider. Diego Armando Maradonas anfangs rauschhaftes Toben auf der Tribüne hatte sich binnen 90 Minuten in ein hemmungsloses Weinen gewandelt, dem Wahnsinn vielleicht auch deshalb endgültig nahe, weil er selbst den Gegner Kroatien im Dezember aus der Lostrommel gezogen hatte. Lionel Messi dagegen schlich so apathisch von dannen wie sein Spiel über die meiste Zeit geraten war. Nur 20 Ballkontakte von ihm zählten die Statistiker in der ersten Halbzeit, am Ende des Donnerstagabends in Nischni Nowgorod stand gerade einmal ein Abschlussversuch in seiner Bilanz. Aufs Tor kam der Ball nicht.

Direkt nach dem 0:3 (0:0) gegen Kroatien wurde die zuvor noch mit Hoffnung auf Besserung geführte Debatte um Messi und die gesamte Albiceleste in ein finales Urteil überführt, das kaum jemanden verschonte. Von einem "Desaster" und "Inkompetenz" war in den argentinischen Medien ebenso die Rede wie von einem vorhersehbaren Niedergang. Aus weiß-himmelblau war endgültig trist-himmelgrau geworden.

Das WM-Aus nach der Gruppenphase scheint nach einem Punkt aus zwei Spielen und 1:4-Toren kaum noch abzuwenden zu sein. Es gehört jedenfalls schon sehr viel Fantasie dazu, Jorge Sampaolis Mannschaft vor dem letzten Gruppenspiel gegen Nigeria am Dienstag in St. Petersburg ein mittleres Wunder zuzutrauen, an das sie selbst nicht mehr zu glauben scheint. "Weder mit dem ersten noch mit dem zweiten System hat es funktioniert", sagte der Trainer kleinlaut zu seinen Umstellungen nach dem enttäuschenden 1:1 gegen Island und während der Partie gegen Kroatien.

Die Artistennummer des Torwarts gerät zur Slapstick-Vorlage

Argentiniens Schicksal wird nun fremdbestimmt. Aus eigener Kraft können es Messi und Kollegen nicht mehr schaffen. Und an spielerischer und mentaler Kraft herrscht ohnehin ein dramatischer Mangel. Bei seiner vorzeitigen Versetzung ins Achtelfinale hatte Kroatien dem vermeintlichen Favoriten und Titelkandidaten aufgezeigt, was es zu einer funktionierenden Mannschaft braucht. Wehrhaft und leidenschaftlich trat die Elf von Zlatko Dalic auf, ausgestattet von ihm mit einer klar erkennbaren Strategie. Hinzu kamen eine spielerische Finesse und Überzeugung vom eigenen Tun, von der Argentiniens verunsicherte Gruppe aus orientierungslos wirkenden Individualisten so fern schien wie Nischni Nowgorod vom Río de la Plata.

Die gefährliche Mischung aus hohen Ansprüchen und Erwartungen sowie fehlender Selbstgewissheit und Einheit kulminierte in jener Szene, die stellvertretend stand für die beiden missratenen Auftritte Argentiniens bei dieser WM in Russland, die eigentlich als Krönungsmesse für Messi gedacht war. Torwart Wilfredo Caballero hatte sich nach einem harmlosen Rückpass an einem kunstvollen Lupfer über Ante Rebic versucht. Doch die Artistennummer in ohnehin heikler Lage geriet zur grotesken Slapstick-Vorlage für den Stürmer von Eintracht Frankfurt, der mit seinem Volleydrehschuss die ganze Wucht und Überzeugung Kroatiens demonstrierte. "Als sie getroffen haben, haben wir unseren Weg verloren. Wir waren emotional gebrochen", erkannte Sampaoli.

Messis Ziel, mit dem Titelgewinn endlich vollkommen von seiner vierten und wahrscheinlich letzten WM heimzukehren, hatte schon durch seinen verschossenen Elfmeter gegen Island viel Schaden genommen. Nun lag sein Titeltraum in der 53. Minute mehr als gefühlt in Trümmern. Ohne Plan und Zuversicht rannte Argentinien danach wild an, Kroatien konterte kühl und sezierte den fahrigen Gegner. Und nachdem Luka Modric formschön das 2:0 geschlenzt hatte (80.), wurde Argentinien in den letzten Minuten regelrecht vorgeführt, angereichert durch das 3:0 von Ivan Rakitic in der Nachspielzeit. "Ich empfinde keine Scham, aber definitiv Schmerz", sagte Sampaoli, nahm alle Verantwortung auf sich und bat die Fans um Verzeihung. Die Debatten dürften den Trainer nun mit Wucht erfassen.

Eine echte Einheit kann Trainer Sampaoli nicht formen

Die Last der Erwartungen hatte zuvor aber vor allem Messi getragen, garniert von den ständigen Vergleichen mit Cristiano Ronaldo, der in seinen zwei aktuellen WM-Auftritten bereits vier Tore für Portugal erzielt und nun als großer Gewinner des Fernduells mit la Pulga, dem Floh, dasteht. Um Messi zu schützen, beging Sampaoli nach dem 0:3 zum wiederholten Male jenen Fehler, der womöglich viel mit Argentiniens WM-Debakel zu tun hat. Der Trainer unterschied zwischen Messi und der Mannschaft. "Leo ist limitiert, weil das Team nicht so mit ihm spielt, wie es sollte", befand Sampaoli. Eine echte Einheit lässt sich wohl kaum formen, wenn 22 Spieler wissen, dass sich der Trainer immer wieder auf die Seite des Einzelkönners schlägt.

Spekuliert wird bereits, dass Messi dem ewigen Scheitern mit Argentinien nun endgültig überdrüssig werden und in Kürze seinen zweiten und unumkehrbaren Rücktritt einreichen könnte. Am Sonntag steht in Russland sein 31. Geburtstag an, bei der Winter-WM 2022 wäre er schon ein halbes Jahr lang 35. Für eine Krönung seiner Karriere wäre es dann wohl erst recht zu spät.

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