Im Stile jener Champions, die auf die Siegerstraße geraten, ohne genau zu wissen, warum, und dann mit dem brachialen Gewicht ihrer Geschichte zuschlagen, hat der FC Bayern zum 19. Mal den DFB-Pokal und damit zum zwölften Mal das Double gewonnen. Eine Woche nach dem Gewinn der Meisterschaft siegte der FC Bayern im Finale von Berlin gegen ein Team von RB Leipzig, das lange Widerworte gab und am Samstag die Partie eine halbe Stunde lang dominierte, mit 3:0. Die Tore der Bayern, allesamt spektakulärer Natur, gingen auf das Konto von Robert Lewandowski (29./85.) und Kingsley Coman (79.). Niko Kovac beendet sein erstes Trainerjahr beim FC Bayern mit einer besonderen Titelverteidigung: Im Vorjahr hatte er mit Eintracht Frankfurt den Cup geholt, gegen die Bayern, die er nun zum Double führte. Die morbide Atmosphäre, die in den letzten Monaten wegen der unklaren Lage rund um die Zukunft Kovacs herrschte, dürfte sich an der Säbener Straße damit wohl verflüchtigen. Aus der Kurve der Bayern-Fans kamen wie schon in der Vorwoche in der Münchner Arena wieder laute "Niko-Kovac"-Rufe. Das Plebiszit hat der Kroate gewonnen.
Es war am Samstag im Berliner Olympiastadion früh erkennbar, dass die Partie kein einfaches Remake der jüngsten, erst zwei Wochen alten Begegnung zwischen den beiden Mannschaften werden würde. Am vorletzten Bundesligaspieltag, beim 0:0 von Leipzig, hatten die Emporkömmlinge aus Sachsen noch sehr tief gestanden. Diesmal versuchten sie, die Bayern erkennbar in deren Hälfte zu attackieren, zu Fehlern zu zwingen. Das klappte nach knapp zehn Minuten erstmals in einer Form, die Gefahr für das Bayern-Tor bedeutete. Die Leipziger pressten die Bayern so brutal, dass eine Ecke heraussprang die Marcel Halstenberg trat. Die Bayern hatten dann in doppelter Hinsicht Glück: Den wuchtigen Kopfball von Yussuf Poulsen aus vier Metern lenkte Neuer mit einem Handballtorwartreflex zur Ecke; danach hinderte Robert Lewandowski Leipzigs Innenverteidiger Ibrahima Konaté mit einer Attacke am Torschuss, die verdächtig irregulär aussah. Der Videoschiedsrichter aber sah keinen Anlass, einzugreifen.
Bayerns Aufbauspiel ist anfangs inexistent
Zu den Umständen, die anders waren als beim jüngsten Bundesligaduell zählte aber auch die defensive Mittelfeldbesetzung der Leipziger. Diesmal spielten Kevin Kampl und Tyler Adams vor der Abwehr, und das waren verheerende Nachrichten für Bayerns Thiago. Er war zu Beginn der Partie vor allem wegen Adams von allen Passwegen abgeschnitten und konnte sich wegen des hohen Pressings der Leipziger nicht in die Abwehr zurückfallen lassen. Das hatte massive Rückwirkungen auf das Aufbauspiel der Münchner. Es war 29 Minuten lang inexistent. Oder, was fast dasselbe bedeutete, abhängig von Thomas Müller.
Mitten in diese lange Selbstfindungsphase aber versetzten die Bayern ihrem Gegner einen brutalen Schlag. Nach knapp einer halben Stunde hatte Thiago - fast zum ersten Mal in diesem Finale - einen dieser unscheinbaren Pässe spielen können, die einen Spielzug weiterdrehen. Er passte auf Javi Martínez und leitete damit eine Pass-Stafette über die linke Seite, die über Kingsley Coman und David Alaba führte. Dessen Flanke verwandelte Mittelstürmer Robert Lewandowski - mit einem Treffer, bei dem bestens erkennbar war, dass seine Mutter eine Hochleistungsturnerin gewesen war, in seinen Genen Elastizität und Akrobatik mitschwimmen. Lewandowski wuchtete den Ball im Rückwärtsflug per Kopf ins Tor.
Bayerns Übergewicht endet in einem furiosen Finale
Der Treffer, ein Sinnbild der gnadenlosen Effektivität, veränderte das Panorama der Partie komplett. Es war, als ob er den Horizont bewegt hätte. Die Leipziger fingen erkennbar an, zu grübeln; Thiago fand Räume, um in Kontakt mit dem Ball zu kommen - und sicherte den Bayern ein Übergewicht, dass in einem furiosen Finale mündete, mit drei Chancen in den letzten drei Minuten der ersten Halbzeit: Erst musste Konaté bei einem Konter auf der Linie gegen Coman retten; dann verpasste Lewandowski nur knapp einen Pass von Gnabry; am Ende intervenierte RB-Torwart Gulacsi bei einem Schuss aus kurzer Distanz von Hummels.
Nach der Pause verhob sich Thiago zunächst an einem eleganten Schuss von der Strafraumgrenze. Doch in der 48. Minute folgte eine Szene, die das Zeug hatte, die Psyche der Leipziger definitiv zu unterminieren. Nach einem Pass lief Emil Forsberg 20, 30 Meter allein auf das Tor von Manuel Neuer zu. Doch ausgerechnet er, einer der feinfüßigsten Leipziger, legte sich den Ball einen Tick zu weit vor. Neuer verkürzte den Winkel dergestalt, dass er Forsbergs Schuss zur Ecke lenkte. War das schon die Tat, die das Finale entschied? Die belegte, dass die Mannschaft eines nur zehn Jahre alten Klubs noch einen langen Weg vor sich hat, um in die Riege der Champions aufzusteigen?
Nicht ganz, wie sich zeigen sollte. Aber: Die Reihen der Leipziger standen nicht mehr so eng wie noch zu Beginn der Partie, und das trug dazu bei, dass sich nun bei zermürbend hohem Tempo die Chancen häuften. Auf beiden Seiten: Werner scheiterte aus kurzer Distanz an Bayerns Torwart Neuer (49.), Gulacsi hielt einen Schuss von Gnabry fest (54.), in der 57. Minute fegte Süle einen Schuss von RB-Stürmer Werner von der Linie, Hummels prüfte Gulacsi aus 18 Metern, Thiago setzte einen Abpraller per Kopf genauso neben das Tor (62.) wie Lewandowski einen Kopfball (68.). Dann schlug die Stunde der Trainer. Rangnick wechselte Dayot Upamecano stellte von Vierer- auf Dreierkette um, um die Angriffsbemühungen zu verstärken - und bei den Bayern betrat Arjen Robben den Platz, zu seinem letzten Spiel im Dress der Bayern (73.). Fünf Minuten später aber war es Kingsley Coman, der mit einer bewundernswerten Einlage Aufsehen erregte und das vorentscheidende 2:0 besorgte. Er nahm eine abgefälschte Hereingabe von Joshua Kimmich im Strafraum perfekt an, tanzte seinen Bewacher aus und jagte den Ball mit links unerreichbar ins Netz (79.).
Der Vorsprung war den Bayern-Fans damit groß genug, um lautstark den Einsatz von Franck Ribéry zu fordern. Doch ehe auch der Franzose eingewechselt wurde (87.) und wie Robben seine Abschiedsvorstellung geben konnte, schlug Robert Lewandowski ein zweites Mal zu. Nach einem Konter lief er allein auf Gulacsi zu und ließ sich die Chance nicht nehmen, sein zweites Tor des Abends zu erzielen. Robben hatte in der Schlussminute noch die Gelegenheit, sein Lebewohl mit einem Tor zu krönen. Doch er verzog. Es wäre wohl zu viel des Kitsches gewesen - die Bayern-Fans wissen auch so, dass eine prägende Figur Servus sagte.
