Nationalelf:Löw spielt auf Risiko

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Bundestrainer Joachim Löw inmitten seiner Mannschaft (Archivbild). (Foto: dpa)

Der Bundestrainer auf Bewährung hat alte Seile radikal gekappt und den Jüngeren signalisiert: Ihr müsst es jetzt alleine richten.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

An diesem Mittwoch wird sich die Nation mal wieder zum Familienquiz im Wohnzimmer versammeln, und die Lösungen sind garantiert nicht leicht. Denn die Zeiten, in denen das Argument regierte, es komme viel zu viel Fußball im Fernsehen, sind spätestens mit dem Verschwinden der Champions League in den exklusiven Pay-TV-Angeboten (Sky und DAZN) vorbei. So hätten sich beim Achtelfinal-Ausscheiden des FC Bayern gegen den FC Liverpool sicher bis zu 15 Millionen Zuschauer eingeschaltet, doch die teure Königsklasse ist seit Saisonbeginn im ZDF nicht mehr zu haben. Man kann sich an der Fernbedienung ganz schön die Finger verrenken, bevor man Fußball findet, er ist zum medialen Wanderzirkus geworden.

Frage 1 beim nationalen Fußballquiz könnte deshalb zum Beispiel lauten: Wer präsentiert Joachim Löw an diesem Mittwoch im ersten Länderspiel des Jahres gegen Serbien? Wer das erste Qualifikationsspiel zur EM 2020 am Sonntag gegen die Niederlande? Und wer ist der neue Fernsehexperte, der den Bundestrainer kritisch in der "neuen Zeitrechnung" eskortiert, die Löw soeben am Länderspielort Wolfsburg ausgerufen hat?

Die Lösung ergibt eine feine Dreierwette: RTL! RTL! Jürgen Klinsmann!

Löw selbst spielt Risiko, er spielt natürlich auf Bewährung

Ja, den gibt es auch noch, er hielt sich ein Weilchen in den USA versteckt, war dort von 2011 bis 2016 mit überschaubarem Erfolg Nationaltrainer, deshalb weiß er, wovon er spricht, wenn er sich im neuen Job gleich mit einer Art Ultimatum vorstellt: "Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, musst du irgendwann gehen." Gemessen an dieser Diktion hat sich Löw schon ziemlich lange gehalten, genauer - die Älteren werden sich erinnern -, seit der Klinsi einst der Chef vom Jogi war. 171 Länderspiele sind vergangen, seit sich beider Wege nach der WM 2006 trennten, die heute noch als "Sommermärchen" verklärt wird.

Beileibe nicht nur wegen dieser Parallele bekommt Löws Neustart im 13. Amtsjahr einen kräftigen Retro-Anstrich. Es mag paradox klingen, aber: Löw hat sich von seiner Vergangenheit getrennt, um eine Art Reise in die Vergangenheit zu starten. Er hat die alte Expedition aufgelöst, hat jüngst das Weltmeistertrio Boateng, Hummels, Müller scharfkantig ausgemustert, weil es noch einmal so wie früher werden soll: bunt wie 2006, zielstrebig wie in Rio 2014, jung und dynamisch wie 2017 beim Gewinn des Confed-Cups in Russland, der jetzt so oft erwähnt wird. Drei Turniere, die die positiven Eckpfeiler der Löw Ära bilden. Im Kern geht es also darum, ob es Löw noch einmal gelingt, den Jogi zu machen. Den Animateur, der alle erreicht, der mehr als Moderator bekannt ist, der die Dinge beim Espresso löst, denn als ausgefuchster Stratege.

Löw selbst spielt Risiko, er spielt natürlich auf Bewährung. Indem er radikal alte Seile kappte, hat er den Jüngeren signalisiert: Ihr müsst es jetzt alleine richten! Das neue Deutschland hat kein Alibi.

Damit zurück zum Quiz, zu Frage 2: Wer spielt da überhaupt? Erst bei der Hymne lernt die Wohnzimmernation an diesem Mittwoch ihre neue Mannschaft kennen. Im Tor: Neuer, davor Kimmich, Kroos. Vorne Werner und Sané. Wer aber ist Kehrer? Wer Klostermann? Und ist dieser Brandt nicht etwa doch der Schulz? Für die Lösung bedeutet dies: Wer die Wenigsten richtig hat, holt die Getränke.

© SZ vom 20.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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