DFB:Ermittler knacken Erdbeben-Datei in der WM-Affäre

German Football Association designated president Grindel presents independent report on 2006 World Cup in Frankfurt

DFB-Präsident Reinhard Grindel: Neue Glaubwürdigkeitskrise im Verband

(Foto: REUTERS)
  • Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat die verschlüsselte Datei "Komplex Jack Warner" geknackt.
  • Der DFB hatte das Dokument wegen des angeblich zu großen Aufwandes monatelang nicht geöffnet.
  • Möglicherweise spielt die Datei eine wichtige Rolle in der Aufklärung der Affäre um die Fußball-WM 2006.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Es kommt Bewegung in eines der größten Mysterien der Sommermärchen-Affäre. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft teilt auf SZ-Anfrage mit, sie habe die verschlüsselte Datei "Komplex Jack Warner" geöffnet - also das Dokument, das dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der von ihm mit Untersuchungen zur WM-2006-Affäre beauftragten Kanzlei Freshfields schon seit November 2015 vorliegt. Deshalb rückt jetzt nicht nur die Frage nach dem Inhalt ins Zentrum. Sondern auch die Frage, warum die DFB-Aufklärer nicht alles dafür taten, dass diese Datei geknackt wurde.

Bisher argumentierten sie, dass der zu erwartende immense Kostenaufwand eigene Öffnungsversuche verhindert habe. Im Herbst 2015 hatten Verband und Freshfields-Ermittler die "Warner"-Datei gefunden, abgelegt in einem Ordner mit dem vielsagenden Titel "Erdbeben". Angefertigt wurde sie nach Aktenlage neun Tage nach einer Razzia der Staatsanwaltschaft in der DFB-Zentrale. Autor war offenkundig der kurz darauf gefeuerte Vize-Generalsekretär Stefan Hans; der war Monate zuvor von der alten Verbandsspitze mit der internen Spurensuche zur Affäre beauftragt worden. Nicht mal mit den von Hans gelieferten Passwörtern sei die Datei zu öffnen gewesen, trug die neue DFB-Spitze bisher vor. Drei Monate sei daran herumgedoktert und dabei auch der Rat externer Computer-Experten eingeholt worden.

Das Resultat war, auf weitere Öffnungsversuche zu verzichten. Der Kanzlei Freshfields zufolge, so ließ der DFB wissen, sei "selbst bei einem hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand (neun bis zwölf Monate) nicht zu garantieren, dass die Datei überhaupt zu öffnen ist". Geschweige denn, ob die Inhalte relevant sind. Von möglichen Kosten im deutlich sechsstelligen Bereich war die Rede. Da müsse ein gemeinnütziger Verband eine Güterabwägung treffen. Auf Anfrage, wie die Kanzlei auf diese Einschätzung genau kam und wen sie dafür befragte, teilte Freshfields am Mittwoch mit: "Wir haben keine weiteren Anmerkungen zu diesem Thema."

Normales Word-Dokument mit Passwort-Schutz

Jedenfalls wirkt die bisherige Darstellung des Aufwandes nun übertrieben. Am 16. November 2016 hatten Steuerfahnder in der Verbandszentrale die Datei abgeholt, nachdem der DFB in der Folge einer SZ-Anfrage die Behörden das erste Mal überhaupt direkt auf die Datei hingewiesen hatte. Schon am 10. Dezember, 24 Tage später, hatten die Behörden den Passwort-Schutz geknackt; zwei weitere Tage später wurde die Datei geöffnet, teilt die Staatsanwaltschaft mit. Sehr kompliziert war es wohl nicht: Es handelte sich um eine normale Word-Datei mit normalem Word-Passwort-Schutz. Solche Verschlüsselungen ließen sich "mit entsprechender Software" öffnen, so die Staatsanwaltschaft. Computerexperten kennen solche Programme: Sie arbeiten automatisch rund um die Uhr, um das Passwort herauszufinden. Personalaufwand: fast null.

Zum Inhalt der Datei hält sich die Behörde bedeckt; die Ermittlungen laufen. Auch die Schweizer Bundesanwaltschaft, die im WM-Kontext ermittelt, bemüht sich um den Datenfundus, das hat sie schon publik gemacht. In jedem Fall stürzt der Umgang mit der Datei die neue DFB-Führung um Reinhard Grindel in eine Glaubwürdigkeitskrise. Denn er nährt den Verdacht, dass die Aufklärung keineswegs so kompromisslos betrieben wurde, wie stets behauptet. Schon gar nicht in Kooperation mit der Staatsanwaltschaft.

Die Frankfurter ermitteln wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung; eine Zahlung über 6,7 Millionen Euro war in der Bilanz des damaligen WM-Organisationskomitees falsch deklariert worden. Die Frage, welchem mutmaßlich korrupten Zweck das Geld diente, ist bis heute ungelöst. Da könnte den Strafermittlern eine "Warner"-Datei womöglich weiterhelfen.

Ermittlungseifer des DFB gerät in die Glaubwürdigkeitskrise

Aber die neue DFB-Spitze hat diese erkennbar zurückgehalten. Erst wollte sie die Datei selber öffnen, ohne die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Und spätestens, als sie die eigenen Öffnungsbemühungen einstellte, wäre es im Sinne rigoroser Aufklärung unumgänglich gewesen, den Behörden das Dokument zu übergeben. Das jedoch geschah nicht. Alles um diese Datei lief weiterhin auffallend diskret ab - und konsequent umständlich.

So wurde zwar im Freshfields-Schlussreport vom 4. März angemerkt, manche verschlüsselte Datei sei nicht zu öffnen gewesen; als Beispiel wird eine namens "Komplex Jack Warner" genannt. Doch steht das nur in einer der vielen Fußnoten, auch ohne Bezug zum elektrisierenden Ordnernamen "Erdbeben". Das erstaunt. Jack Warner war einer der Korruptesten im Weltverband Fifa -und eine Schlüsselfigur in der WM-Affäre. Nur vier Tage vor der Turnier-Vergabe an Deutschland hatte der Mann, der auf der FBI-Fahndungsliste ganz oben steht, mit dem deutschen Bewerberchef Franz Beckenbauer einen millionenschweren Vertrag besiegelt, dessen Sinn und konkrete Abwicklung noch im Verborgenen liegen. Hätte also einer "Warner"-Datei, die man selbst wochenlang zu knacken versuchte, nicht mehr Bedeutung eingeräumt werden müssen als eine beiläufige Erwähnung per Fußnote?

Auch danach hielten die Aufklärer den Ball flach. Weder auf ihrer Präsentation noch in zahllosen Mediengesprächen danach lenkten die DFB-Bosse das Thema auf die Datei. Das taten sie dann in einem Rahmen, der für Öffentlichkeit und Behörden abgeschottet war: in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Bundestag-Sportausschusses. Dort verriet Vize Rainer Koch am 13. April, dass es eine Datei gebe, die der DFB gern öffnen würde, ohne sie konkret zu benennen. Entgegen stünden aber die hohen Kosten und der zeitliche Aufwand.

Dafür appellierte er an die Abgeordneten: Wenn sie das Geld zur Verfügung stellen, dann verspreche er, dass der DFB die Öffnung sofort veranlassen werde. Ein Angebot zur Kostenübernahme erfolgte zwar nicht, aber ein anderes vielversprechendes. Ein Abgeordneter fragte, ob das Bundesinnenministerium (BMI) mit seinen Kompetenzeinheiten wie dem Bundesamt für Sicherheit dem DFB "Amtshilfe" leisten könne. Der anwesende BMI-Vertreter sagte, dass klassische "Amtshilfe" für einen privaten Verein nicht möglich sei - erklärte aber zugleich, dass man prüfen könne, ob das Ministerium trotzdem unterstützend tätig werde. Es stehe dem DFB frei, eine entsprechende Anfrage zu stellen.

Verhältnis zwischen DFB und Ermittlern ist abgekühlt

Das klang wie ein verklausuliertes Angebot - vor Parlamentariern, die auf die Dateiöffnung drängten. Aber offenbar nahm der DFB dieses nicht an. Im BMI, so teilt es der SZ mit, ist bis heute keine solche Anfrage bekannt. Der DFB beantwortet eine konkrete Frage dazu nicht, er teilt nur allgemein mit: "Wir haben uns zum Themenkomplex ,Datei' umfangreich geäußert."

Der DFB argumentiert, er sei davon ausgegangen, dass nach der Freshfields-Publikation der Staatsanwaltschaft die Existenz der Datei bekannt gewesen sei. Hinweise auf mögliche Versäumnisse der Staatsanwaltschaft aber sind schwierig. Denn das Verhältnis zwischen DFB-Seite und Strafermittlern hatte sich nach der Razzia im Herbst 2015 merklich abgekühlt. Kürzlich erklärte die Behörde, der Verband habe "seine ursprüngliche Kooperationsbereitschaft (. . .) ab Anfang 2016 stark eingeschränkt" und nannte Beispiele, wie Freshfields Unterlagen nicht habe weitergeben wollen. Der DFB wies das zurück.

So zeichnet der Umgang mit Datei und Behörden jetzt das Bild, dass man ganz kommod leben konnte mit einem "Jack-Warner"-Dokument, dessen womöglich heiklen Inhalte man gar nicht kannte. Nun kennt sie die Staatsanwaltschaft.

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