DFB-Elf bei der Fußball-EM:Vom Panther inspiriert ins Achtelfinale

  • Die DFB-Elf vergibt beim 1:0 gegen Nordirland so viele Chancen wie selten - doch am Ende findet nur ein Schuss von Mario Gomez den Weg ins Tor.
  • Thomas Müller scheitert unzählige Male.
  • Löws Experiment mit Joshua Kimmich gelingt - das Achtelfinale ist erreicht.

Von Claudio Catuogno, Paris

Gut zwanzig Minuten waren noch zu spielen im Prinzenpark von Paris, als Joachim Löw das erste Mal zutrat. Er machte ein paar Schritte, warf verärgert die Hände in die Luft - dann malträtierte er den Eisenbeschlag einer Treppenstufe mit seinem Lederschuh.

Ein mageres Tor hatte seine Mannschaft erzielt in diesem dritten Gruppenspiel gegen Nordirland, Mario Gomez in der 30. Minute, aber das war schon sehr lange her. In Marseille führte Polen 1:0 gegen die Ukraine. Die Deutschen sollten besser einen Treffer nachlegen, um im Fernduell um den Gruppensieg ihren Ein-Tore-Vorsprung nicht noch zu verspielen. Aber was Löw sah, machte ihn unzufrieden, er schlich jetzt unruhig durch seine Coaching-Zone wie einst Rainer Maria Rilkes Panther im Jardin des Plantes von Paris. Und hinter tausend Stäben keine Welt.

Es fiel kein Tor mehr. Auch nicht in Marseille. Zwei Siege, ein Unentschieden - damit schließt die deutsche Elf ihre Gruppe also als Spitzenreiter ab. Wer am kommenden Sonntag in Lille ihr Gegner sein wird, muss allerdings erst noch ermittelt werden. Wenn die Hochleistungsrechner, mit deren Hilfe die Uefa neuerdings auch Gruppendritte ihren neuen Achtelfinals zuordnet, sich nicht irren, spricht fast alles für die Slowakei. Und, nebenbei: Auch Nordirland ist wohl in der K.o.-Runde dabei.

Aber welche Lehren zieht Joachim Löw jetzt aus diesem Spiel, das so vielversprechend begann - und am Ende doch so viele Fragen offen ließ? Schön, dass sich seine Elf neuerdings Chancen wie am Fließband herausspielt. Nicht so schön, dass bei derart vielen Chancen umso mehr auffällt, wie fahrlässig die Elf mit ihnen umgeht.

Was vor allem gefehlt hatte zum Auftakt gegen die Ukraine (2:0) und Polen (0:0), waren ja die "offensiven Lösungen" gewesen. So hatten das alle Beteiligten formuliert. Nun trägt auch ein Weltmeistertrainer Lösungen nicht in seinem Taktikkoffer herum - was Löw aber immerhin mit nach Paris gebracht hatte, waren Maßnahmen. So ersetzte der Jung-Bayer Joshua Kimmich den Alt-Schalker Benedikt Höwedes als Rechtsverteidiger.

Und Mario Gomez, der einzige Mittelstürmer im Kader, rückte für Julian Draxler in die Mannschaft. Was wiederum zu mehr als zwei Rochaden auf dem Rasen führte: Mesut Özil wechselte sich jetzt mit Thomas Müller im Zentrum ab, was beiden und dem Spiel gut tat, Mario Götze besetzte den linken Flügel. Und schon nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass insbesondere Kimmich seine Rolle eher als Flügelstürmer interpretierte und weniger als Verteidiger. Haken, Dribblings, Doppelpässe, scharfe Hereingaben: All das, was Löw von Höwedes nicht erwarten kann, brachte Kimmich nun ein.

Es gab für Kimmich aber auch so gut wie nichts zu verteidigen. Deshalb blieb zunächst unklar, ob Löw die Rochaden als Dauerlösungen einplant oder als Speziallösungen vorsah. Für den Moment sah das aber alles sehr erfrischend aus: Schon in der 8. Minute spitzelte Özil den Ball zu Müller, der scheiterte am Torwart Michael McGovern. Dass jedem Zauber auch eine Gefahr innewohnt, lernten die Deutschen im Gegenzug, als Connor Washington über Kimmichs rechte Seite sehr alleine auf Manuel Neuer zustürmte; Mats Hummels konnte noch rechtzeitig einschreiten.

Plötzlich geht vorne richtig viel

Sehr viel mehr kam allerdings nicht mehr von den Nordiren. Dafür hatte Özil drei Minuten später schon die nächste Fast-Lösung auf dem Fuß - trat aber nach feinem Dribbling am Ball vorbei. Und so ging es weiter: Götze (von drei Nordiren bedrängt), Kimmich im Nachschuss (zu lässig) - Löws lösungsorientierte Elf verhalf der beliebten Fanfloskel "Den musser machen" zu unverhoffter Popularität.

Auch Gomez fand rasch in die Partie: Er ließ den Ball mit der Brust zu Müller prallen - der schoss knapp am langen Pfosten vorbei (23.). Müller setzte dann noch einen Flugkopfball knapp neben das Tor, bedient hatte ihn erneut Kimmich mit einer scharfen Hereingabe (27.). So langsam schien sich da aber bereits die Sorge breit zu machen, dass man allzu verschwenderisch mit den Torchancen umging.

Waren die Lösungen doch nur Scheinlösungen? Keineswegs! Gomez' 1:0 kurz darauf vereinte alles, was den Deutschen bisher gefehlt hatte: einen Steilpass von Özil, eine präzise Weiterleitung von Gomez, einen unkonventionellen Diagonallauf von Müller, der den Ball zurück auf Gomez legte - und auch das bisher vermisste Glück im Abschluss. Kurz darauf traf Müller dann aber schon wieder die Latte. Und neben der Erkenntnis, dass die DFB-Elf nun angekommen zu sein schien im Turnier, verfestigte sich auch die Gewissheit, dass sie auf einen derart limitierten Gegner nicht mehr treffen wird.

Der Trainer Michael O'Neill kann, wie er sagt, ja überhaupt nur aus "33 bis 40 Profis" auswählen für seine Green and White Army, weil es halt nicht mehr Profis gibt in dem 1,8-Millionen-Einwohner-Land. Nur zu kämpfen, zu laufen und auf seine Standard-Stärke zu bauen - gegen den Weltmeister war das deutlich zu wenig.

Die zweite Halbzeit war dann zunächst davon geprägt, dass Mario Götze sich mehrere sehenswerte Chancen erarbeitete, es begann nun Götzes stärkste Phase - was seine Rolle im Team aber nicht gefestigt hat. Weil auch er alle Chancen vergab. An der Seitenlinie wurde Löw entsprechend ungehalten und wechselte Götze gegen André Schürrle aus (55.), Bastian Schweinsteiger kam bald darauf für Khedira (69.). Die Torgefahr blieb erhalten: Müller per Kopf, Gomez knapp am Ball vorbei, Kimmich wurde immer besser, Özil scheiterte aus der Distanz. Und so weiter.

Löw trat gegen das Eisenblech.

Rilkes Panther-Gedicht ist vielleicht nicht die schlechteste Vorlage für diese Elf. "Wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht." Betonung, bisher, auf "betäubt".

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