Deutsche Nationalmannschaft:Als Ballack und Frings noch das Sagen hatten

Ballack geht auf Löw zu

Einst mit gemeinsamer EM-Mission: Michael Ballack (rechts) und Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: dpa)
  • Der DFB-Tross ist zum Trainingslager nach Ascona gereist.
  • Schon einmal wohnte das Team hier - bei der EM 2008.
  • Damals war vieles anders, vor allem am Swimmingpool.

Von Philipp Selldorf, Ascona

In seiner Eigenschaft als Quartiermeister der Nationalmannschaft lässt sich über Oliver Bierhoff nicht genug Gutes sagen, seitdem er in einem stillen Dorf an der brasilianischen Atlantikküste als Schöpfer des sagenhaften Campo Bahia in Erscheinung trat, womit er maßgebend zur deutschen Weltmeisterwerdung beitrug.

Nun hat Bierhoff die DFB-Auswahl und ihr gewaltiges Heer von Begleitern zur Vorbereitung auf die Europameisterschaft ins schweizerische Tessin geführt, in Ascona am nördlichen Ende des Lago Maggiore bezogen die Gäste am Dienstagnachmittag ihre Zimmer im Hotel "Giardino", und bei manchem Mitglied der Delegation kam nach der Ankunft die aufwühlende Wirkung verschütteter Erinnerungen auf. Am selben Ort haben Bundestrainer Joachim Löw und seine Leute schon einmal gewohnt, mehr als vier Wochen verbrachten sie hier 2008 während der EM, die in Österreich und der Schweiz stattfand. Fällt Bierhoff etwa nichts Neues mehr ein?

Diese Frage wäre noch vertiefend zu klären, zunächst konnte man jedoch den Eindruck haben, als ob sich der DFB-Manager noch einmal selbst übertroffen hätte. Selbst das Wetter scheint ihm ja neuerdings zu gehorchen. Während das Städtchen am Montag von einem schweren Unwetteranfall heimgesucht worden war, leuchtete bei der Ankunft der deutschen Fußballer eine schöne, warme Sonne über dem glitzernden See.

Bierhoff sei Dank

Einige Gipfel der - selbstredend malerischen - Berge im Rücken der Kommune sind jetzt mit frischem Schnee verziert, mutmaßlich auf Bierhoffs Veranlassung hin. Und tiefere Verneigungen als jene, die der Gastgeber Philippe Frutiger vor ihnen machte, haben die Profis wahrscheinlich auch noch nicht erlebt. "Die Hotels auf der ganzen Welt wünschen sich den Weltmeister als Gast", sprach der Hoteldirektor und drückte seinen Stolz aus, dass er mit seinem Haus der Auserwählte sein darf. Bierhoff sei Dank.

Längst müssen die Deutschen keine Rechnung mehr begleichen, wenn sie sich irgendwo niederlassen. Die Gemeinde Ascona lässt sich den Aufenthalt der Sportler aus dem Nachbarland angeblich 90 000 Euro kosten, plus Nebenkosten für Umbauten, Absperrungen und Anderes. Man betrachtet diese Ausgaben als keineswegs teure Investition in den Fremdenverkehr.

Dass die Einheimischen ihre Gäste bis auf ein öffentliches Training für Kinder und Jugendliche nicht leibhaftig zu sehen bekommen, das wird bedauert, aber nicht beklagt. Im Jahr 2016 ist die Sicherheitsvorsorge ein unschlagbares Argument. Die Zufahrt zum Hotel und der Trainingsplatz im Ort werden doppelt und dreifach von Staatspolizei und Sicherheitsleuten bewacht.

Aber das war 2008 nicht anders. Seinerzeit waren die Deutschen mit einiger Wehmut aus Ascona abgereist, als sie zum Finaltag des Turniers nach Wien aufbrachen. Lukas Podolski, damals wie heute ein Mittelpunkt der Reisegruppe, würdigte Ort und Unterkunft als "superherrlich". Allerdings waren nicht alle Anwesenden gleichermaßen begeistert. Es wurden auch Vorfälle notiert, die aus heutiger Sicht rührende Gefühle hervorrufen. So gab es beispielsweise Unmut im Quartier, weil der junge Bastian Schweinsteiger ständig stundenlange Telefongespräche mit seiner Freundin führte und mit seinem Liebesgesäusel vor allem die älteren Kollegen irritierte.

So war es damals mit Ballack und Frings

Diese älteren Kollegen, namentlich der Kapitän Michael Ballack und sein stets brummiger Kompagnon Torsten Frings, fühlten sich auch dadurch gestört, dass am Tag nach den Spielen die Frauen und Freundinnen Zugang zum Mannschaftshotel erhielten, eine Sitte, die noch der Hausordnung von Löws Vorgänger Jürgen Klinsmann entsprach.

Ballack befürchtete, dass Paparazzi mittels Fluggeräten Bilder von Nationalspielern samt ihrer Frauen im Bikini am Swimmingpool schießen könnten, er hielt die familiären Zusammenkünfte für unprofessionell. Tatsächlich nahm der Boulevard nach dem 1:2 gegen Kroatien Anstoß an den entspannten Schwimmbadszenen mit den sich angeblich dort "rekelnden" Spielerfrauen.

Der wiedererstarkte Mittelstürmer Mario Gomez war damals auch schon dabei

Diese Misstöne vermochte die Mannschaftsleitung noch wegzulächeln, spätestens aber der in aller Öffentlichkeit vorgeführte Zusammenstoß zwischen Bierhoff und Ballack nach dem verlorenen Finalspiel gegen Spanien gab zu erkennen, dass das Zusammenleben in der Schweizer Sonnenstube - so wird das Tessin genannt, wenn einem sonst kein Synonym einfallen mag - gar nicht immer so sonnig war.

Aus der sportlichen Crew von damals sind nur noch drei Männer geblieben, das Gros der Generation 2008 hat sich bereits zur Ruhe gesetzt. Podolski und Schweinsteiger bilden jetzt das Veteranenduo, das seinerzeit Ballack und Frings verkörperten. Vergleiche der beiden Paare erübrigen sich mangels charakterlicher Verwandtschaft. Der wiedererstarkte Mittelstürmer Mario Gomez, der fürs Nationalteam schon verloren zu sein schien, ist der dritte im Bunde.

Ob Schweinsteiger, 31, auch der EM-Reisetruppe angehört, ist noch nicht geklärt. Nach zwei Innenbandverletzungen am rechten Knie muss sich der Kapitän erst wieder auf die Höhe seiner Mitspieler bringen. Bei seinem Klub Manchester United hat er den Betrieb Anfang Januar einstellen müssen, von einem zwanzigminütigen Intermezzo Mitte März abgesehen. Schweinsteiger darf damit rechnen, dass ihm Löw eine Menge Geduld gewährt.

Der Bundestrainer ist überzeugt, dass der seit dem WM-Finale in den Heldenstatus erhobene Schweinsteiger (ähnlich, wenn auch auf ganz andere Weise, wie Podolski) eine wichtige Rolle für das Binnenklima hat. Über seine Telefongespräche mit der Liebsten wird sich in der Spieler-Lounge heutzutage gewiss keiner mehr aufregen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: