Curling bei Olympia:Die Verstoßenen wischen sich Gold herbei

Pyeongchang 2018 Winter Olympics

Mit Spaß und Lockerheit spielten sich die US-Curler Tyler George, John Shuster, John Landsteiner und Matt Hamilton (von links) zu Olympia-Gold.

(Foto: John Sibley/Reuters)
  • US-Curler John Shuster holt mit seinem Team Olympia-Gold nach einem 10:7-Sieg gegen Schweden.
  • 2014 in Sotschi beendeten die Amerikaner das olympische Turnier als Vorletzter vor den Deutschen. Der nationale Curlingverband wollte daraufhin einen Neustart.
  • Doch Shuster wollte nicht aufhören - und stellte sich ohne Unterstützung des Verbands eine neue Mannschaft zusammen.

Von Maximilian Länge

Diesmal "shusterte" John Shuster nicht. Er versagte nicht im entscheidenden Moment, so wie es das Online-Wörterbuch Urban Dictionary in einem Eintrag aus dem Februar 2010 definiert. Er enttäuschte nicht, als die Augen einer Curling-skeptischen Nation und die der US-Präsidententochter Ivanka Trump auf ihn gerichtet waren. Diesmal glitt sein Stein mit der gelben Oberfläche, der letzte des achten Durchgangs, perfekt zwischen drei roten Steinen hindurch und räumte zwei Steine der Schweden aus dem Haus. Dort lagen auf einmal nur noch fünf gelbe Steine - und so wurde aus einem 5:5 im Curling-Finale der Olympischen Spiele die 10:5-Führung der Vereinigten Staaten. Wenig später weinte John Shuster.

An diesem Samstag wurde im Gangneun Curling Center aus Shuster, 35, dem Gescheiterten, Shuster, der Olympiasieger. Aus "Team Reject", einer Mannschaft Verstoßener, wurde das erste US-Team, das im Curling eine Goldmedaille gewonnen hat. Nach Bronze 2006 in Turin wurden die USA 2010 Letzter und Shuster vom Trainer nach schwachen Auftritten vorübergehend ausgetauscht, die Wortneuschöpfung im Urban Dictionary entstand. 2014 in Sotschi beendeten die Amerikaner das olympische Turnier als Vorletzter vor den Deutschen. Der nationale Curlingverband wollte daraufhin einen Neustart. Shuster, seit 2003 sechsmal US-Meister, und sein damaliges Team waren nicht mehr eingeplant.

"An jedem einzelnen Tag seit Sotschi hatte ich diesen Weg im Kopf"

Weil aber Shuster nicht aufhören und nicht im Vollzeitjob Sportartikel verkaufen wollte, stellte er sich ohne Unterstützung des Verbands eine neue Mannschaft zusammen: Tyler George, ein 35 Jahre alter Spirituosen-Händler, der die Wettkämpfe in seinen geliebten löchrigen Turnschuhen bestreitet. Matt Hamilton, 29, Entwicklungstechniker, der wegen seines Schnurrbarts und der roten Mütze in den sozialen Medien gerne mit der Videospielfigur Super Mario verwechselt wird. Und der 27-jährige hauptberufliche Ingenieur John Landsteiner, der schon 2014 mit Shuster spielte.

Diese Vier und Ersatzmann Joe Polo (35, Projektmanager) aus den kalten US-Nordstaaten Minnesota und Wisconsin, begannen 2014 ihren Weg zurück an die Landesspitze. Durch Wettbewerbe in den USA und im Ausland, durch das nationale Olympia-Auswahlturnier, schließlich Richtung Pyeongchang. "An jedem einzelnen Tag seit Sotschi hatte ich diesen Weg im Kopf", sagte Shuster über die Rückkehr zu den Olympischen Spielen.

Das Erfolgsrezept der Mannschaft: Spaß und Lockerheit. Die US-Amerikaner lachten auf dem Eis, sprachen sich gegenseitig mit "Bro" an, wenn sie die nächsten Spielzüge diskutierten, also als gute Kumpels, als Brüder. Spaßvogel Hamilton warb über die sozialen Medien für seine Sportart, sein Bart wurde im Internet zum Running Gag. NFL-Quarterback Aaron Rodgers, ebenfalls Bartträger und dazu Quarterback bei den Green Bay Packers in Hamiltons Heimat Wisconsin, gratulierte dem Curler auf Twitter zu Bart und Leistung. Auch Shuster bekam von der Euphorie mit, obwohl er nach den Misserfolgen 2010 und 2014 und darauf folgenden Beschimpfungen in den sozialen Medien das Internet eigentlich meiden wollte.

Fast wäre das Team Shuster in der Vorrunde ausgeschieden

Eine Schutzmaßnahme, die zunächst sinnvoll erschien. Die gute Stimmung in der Mannschaft wurde früh auf die Probe gestellt. Nach nur zwei Siegen aus sechs Spielen in der Vorrunde - darunter eine 4:10-Niederlage gegen den späteren Finalgegner Schweden - waren die Amerikaner fast schon ausgeschieden. Aber: "Mit dem Rücken zur Wand haben wir am besten gespielt", sagte George. Team Shuster leitete per Überraschungssieg gegen die traditionell starken Kanadier eine Siegesserie ein, die sich im erneuten Aufeinandertreffen mit den Nordamerikanern im Halbfinale fortsetzte und auch im Finale nicht enden sollte.

Das Endspiel, das wussten sowohl John Shuster als auch der schwedische Skip Niklas Edin, war bereits vor Shusters Fünf-Punkte-Stein so gut wie entschieden. "Sie haben viel Spaß und Spirit. Sie spielen nicht immer gut, aber sie hatten nichts zu verlieren, wir alles", sagte Edin. Der Schwede hatte mit einem misslungenen Risiko-Schuss seinen Gegnern freie Bahn verschafft und die mussten nun nur noch punkten. "Ob zwei oder fünf Punkte, das hätte keinen Unterschied gemacht", befand Edin, der mit seinem Team nach Bronze in Sotschi nun die Silbermedaille gewann. Einen Unterschied machte es aber sehr wohl für Shuster, der endlich einmal für einen gelungenen Stein in Erinnerung bleiben wird, und das in einem großen Moment, präziser: dem wichtigsten in der Geschichte des US-Curlings.

So feierten die US-Medien nach dem 10:7-Sieg im Finale gegen die favorisierten Schweden ein "Miracurl on Ice", ein Wunder auf Eis, in Anspielung an den Sieg des amerikanischen Eishockeyteams gegen die Russen bei den Olympischen Spielen 1980 in Lake Placid. Und dem einst aussortierten John Shuster ("Ich kann gar nicht sagen, wie wenig nervös ich war. Ich habe meinen Jungs vertraut.") kamen die Tränen.

Auf der Tribüne ballte Ivanka Trump die Faust, die Fans schrien "USA, USA". Und unten neben den Eisflächen erhielten ein Sportartikelverkäufer, ein Ingenieur, ein Projektmanager, ein Techniker und ein Spirituosen-Händler ihre Goldmedaillen. Dann wurde gefeiert. Für die Sieger-Shirts wird John Shuster gesorgt haben, für die passenden Getränke Tyler George.

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