Chelseas Krise in der Premier League:Schlimmer Kater nach dem Kater

Kein Brite will nach Truthahn und Alkoholgenuss verkatert in die Kälte - auch die Spieler des FC Chelsea nicht: Das magere 1:1 am "Boxing Day" gegen Fulham wirft den Spitzenklub in der Premier League weiter zurück. Die Meisterschaft dürfte in dieser Saison weiter nördlich in Manchester entschieden werden.

Raphael Honigstein, London

Die Entscheidung, dass es dieses Jahr in London ein weniger frohes Fest sein würde, fiel am 20. Dezember: die Associated Society of Locomotive Steam Enginemen and Firemen (Gewerkschaft der Zug- und U-Bahnfahrer) beschloss, am zweiten Weihnachtstag zu streiken. Der Arbeitskampf am Boxing Day, dem Tag, an dem früher Essenspakete (boxes) an Arme verteilt wurden, sorgte für Empörung. Er wurde als Angriff auf jene zwei traditionellen Lieblingsbeschäftigungen interpretiert, die das Land auch in dieser schweren Krise zusammenhalten: Einkaufen und Fußball.

Chelsea's Terry loses control of the ball against Fulham during their English Premier League soccer match against Fulham in London

Wenig elegant: John Terry vom FC Chelsea.

(Foto: REUTERS)

Tausende mussten daher am Montag auf anderen Wegen zur Schnäppchenjagd in die Städte und zu den Spielen in den Stadien finden. "Der Zeitpunkt dieses Streiks ist widerlich und zeugt von Eigensinn", erregte sich der Fan-Sprecher des FC Chelsea, Darren Mantle, vor dem 1:1 im Derby gegen den FC Fulham an der Stamford Bridge.

Insgeheim hat die ASLEF dem englischen Fußball jedoch einen Dienst erwiesen. Ohne die öffentlichen Verkehrsmittel wurde die Anreise länger, beschwerlicher, was dem an sich schon mühsamen Unterfangen einen zusätzlich heroischen Anstrich verlieh.

Nichts ist aus Sicht der Briten ja schöner, als sich selbst und dem Rest der noch erschöpft im Bett liegenden Welt am 26. Dezember die eigene Leidensfähigkeit zu beweisen. Niemand will nach Truthahn und Alkoholgenuss verkatert in die Kälte. Deswegen muss es sein. "Sie ist grundsätzlicher Bestandteil des Nationalcharakters, diese triefäugige, feierliche Wanderung", schrieb der Guardian über den weihnachtlichen Besuch im Fußballstadion, "die Wesenseigenschaft eines umherziehenden, fröstelnden Volks, das es zu feuchten, unergiebigen Wallfahrten zieht."

Der Termin mag äußerst kurios erscheinen, entspricht aber historischer Logik. Der Fußball konnte nur zum Lieblingsport der viktorianischen Arbeiterklasse werden, weil die Partien an Feiertagen ausgetragen wurden. Schon die mittelalterlichen Vorläufer des Sports - an uralte, heidnische Riten erinnernde Dorfkämpfe - fanden an den gleichen Daten statt. Religion und Ball blieben seitdem eng verbunden. Viele große Fußballmannschaften begannen als Kirchenteams - wie der FC Fulham, der 1879 als Fulham St Andrew's Church Sunday School F.C. gegründet wurde.

Unter dem niederländischen Coach Martin Jol sind die Weißen dem Himmel derzeit aber denkbar fern. Der vom ägyptischen Millionär Mohamed Al-Fayed kontrollierte Klub ging als Tabellendreizehnter und mit einer miserablen Derby-Bilanz in das Match bei Chelsea: Der letzte Sieg in einem Auswärtsspiel bei einem Londoner Lokalrivalen lag sieben Jahre zurück.

Die blauen Nachbarn standen ebenfalls unter Druck. Trainer André Villas-Boas hatte es vorige Woche als "Ehre und Privileg" bezeichnet, Chelsea "auf so einem hohen Niveau spielen zu sehen". Eine interessante Wahrnehmung war das nach zwei 1:1-Unentschieden hintereinander (gegen Wigan und Tottenham), die den Abramowitsch-Verein im Titelrennen zurückgeworfen hatten.

Torres von Beginn an

Verteidiger John Terry, der sich demnächst wegen Rassismus-Vorwürfen vor Gericht verantworten muss, war in der Startelf, und Villas-Boas hatte auch ein Herz für ein anderes Sorgenkind. Stürmer Fernando Torres, ewig außer Form, durfte sein erstes Ligaspiel seit acht Wochen von Anfang an bestreiten. Der Spanier kam in der ersten Viertelstunde zwei Mal zum Abschluss, vergab aber mit der typischen Mischung aus Glück- und Mutlosigkeit. Für die Gäste setzte Orlando Sa einen Kopfball über das Tor.

Die Blues bemühten sich um Tempo, aber Fulham verschleppte geschickt. Die Stimmung blieb ungewohnt besinnlich. Bei sehr milden 13 Grad hielt sich das Bedürfnis nach Bewegung auf und neben dem Platz in Grenzen, mit zunehmender Spieldauer näherte sich der Spannungsgehalt der Vorführung dem des weihnachtlichen Kinderfernsehprogramms an.

In der Pause mag sich gar der eine oder andere eingeschläferte Besucher ins 16. Jahrhundert zurückgesehnt haben, "Fußball ist nicht mehr als bestialische Wut und extreme Gewalt", schrieb der Historiker Sir Thomas Elyot damals.

Doch dann erwachte das Match aus seinem Schlummer. Torres hielt den Ball und legte an der Strafraumgrenze für Juan Mata auf, der exakt ins Eck traf (1:0/47.). Der Vorsprung währte aber nur kurz, Clint Dempsey drückte den Ball nach Vorarbeit von Bryan Ruiz zum 1:1 (56.) für Fulham ins Netz, auf der Gegenseite verhinderte Keeper David Stockdale mit viel Glück einen neuerlichen Rückstand (Malouda, 66.).

Der Rest war weitgehend uninspiriertes Anrennen von Chelsea mit einigen Zufallschancen, und so tat sich nach dem 1:1 trotz des Streiks überraschend doch noch was auf dem britischen Streckennetz: der Meisterschaftszug fuhr ein Stück weiter in Richtung Manchester davon.

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