Champions League: Schalke 04:Aussteigen ausgeschlossen

Schalke 04 ist der wundervollste Klub der Welt, eine gigantische Reise mit einer Achterbahn, mit unzähligen Auf und Abs - egal, ob der Verein gegen den großen Favoriten aus Manchester besteht oder nicht.

Johannes Kuhn

Fußballfans nehmen stets für sich in Anspruch, Anhänger des wundervollsten Vereins der Welt zu sein. Der Unterschied zwischen Königsblau und dem Rest der Fußballwelt: Bei Schalke stimmt das.

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"Schaaalke, Schaaalke" - das Produkt einer gewachsenen Liebesbeziehung.

(Foto: AFP)

Bei Bayern München mag der Erfolg das verbindende Element sein, bei Borussia Mönchengladbach die Tradition, beim 1. FC Köln die Stadt: Der FC Schalke 04 wurde zum Mythos, weil er seine Anhänger in einen Strudel der Emotionen reißt, sie einen ständigen Wechsel von Leiden und Auferstehung erleben lässt. Kein Tag passt deshalb besser für ein Schalker Halbfinale in der Champions League als der Tag nach dem Osterwochenende: ein Osterdienstag nur für Königsblau, quasi.

Auf und Abs erlebt jeder Fußballverein - in Gelsenkirchen ging es von Anfang an um mehr: 1930 stürzte sich der damalige Schalker Schatzmeister in den Rhein-Herne-Kanal, zu seiner Beerdigung sollen Tausende gekommen sein: Er hatte den damaligen Größen wie Fritz Szepan, Ernst Kuzorra verbotenerweise zwanzig statt der erlaubten fünf Mark Handgeld gezahlt. Vier Jahre später holten Kuzorra und Co. die erste von sieben Meisterschaften nach Gelsenkirchen.

Als sich in den Siebzigern eine junge Mannschaft um Rolf Rüssmann und Klaus Fichtel anschickte, dem leicht verblassten blau-weißen Mythos wieder Farbe zu geben, war es die größte aller Sportsünden, die zur bislang größten Leidenszeit des Vereins führte: Teile des Teams stellten sich als bestechlich heraus und wurden gesperrt, mit dem Bundesligaskandal begann der Abstieg, ein Gang ins Fegefeuer, der den Verein bis an den Rand der dritten Liga führte.

Wer Ende der achtziger Jahre dabei war in Münster, Meppen, Schweinfurt oder Solingen*, erzählt heute noch stolz davon - denn auch das gehört zum Mythos Schalke: Immer zu wissen, dass der Abgrund nicht weit entfernt lauert und deshalb die Gegenwart lautstark gefeiert werden muss.

Nun also bringt die Gegenwart nicht nur das Pokalfinale, sondern auch ein Halbfinale in der Königsklasse. Jeder Schalker weiß, dass wir als früherer "Popelverein" (O-Ton Rudi Assauer) eigentlich nicht dorthin gehören - und genau das macht uns so unberechenbar.

Das jetzige Team mag eines der teuersten der Bundesliga sein und mit den Eurofightern, die 1997 den Uefa-Cup holten, kaum etwas gemein haben. Doch beide Mannschaften verbindet, dass sie uns Schalkern wieder ein Underdog-Gefühl zurückgegeben haben und zumindest auf internationaler Ebene die Ruhrpott-Philosophie verwirklichen, dass gemeinsame harte Arbeit großartiger Kunst vorzuziehen ist.

"Schaaalke, Schaaalke“

Eine Wiedererweckung wie der Uefa-Cup-Sieg 1997 ist diese Saison dennoch nicht - dafür sind Verein und Erwartungshaltung bereits zu groß. Mit dem Blick auf den Schuldenstand und die künftig bescheidenere Zielsetzung könnte es sogar ein letzter Moment vor dem Beginn einer weiteren Leidenszeit sein.

Aber Traum und Trauma haben uns Schalker immer zusammengeschweißt: In Berichten über die verpasste Meisterschaft im Jahre 2001 werden häufig die weinenden Schalke-Anhänger gezeigt, wie sie nach dem Ausgleich der Münchner in Hamburg auf dem Rasen des Parkstadions zusammensacken.

Mir ist vor allem in Erinnerung geblieben, wie nach 15 Sekunden gespenstischer Stille aus 70.000 Kehlen und Herzen das langgezogene "Schaaalke, Schaaalke", ertönt.

Ich kenne Schalker, die montags bis freitags nach Feierabend schwarz malochen, um Wochenende für Wochenende mit dem Verein auf die Reise gehen zu können; die ihren Sohn "Ebbe" nennen, weil sie immer noch von den Toren des dänischen Stürmers Ebbe Sand träumen; die sich das Vereinswappen nur deshalb auf die Brust tätowieren lassen, weil Tätowierungen auf das Herz medizinisch nicht möglich sind.

Wenn die elf Profifußballer im blauen Trikot am Dienstagabend den Rasen betreten, mag es ein Höhepunkt ihrer Karriere sein. Für uns ist es ein Abend für das Vereinsgeschichtsbuch, von dem wir hoffentlich einmal unseren Enkeln erzählen können. Ein weiterer Looping in der Achterbahn, die sich Schalke 04 nennt. Aussteigen ausgeschlossen.

Mehr zur Schalker Fankultur in diesen Blogs:

Blogundweiss.de

Kämpfen &Siegen

Schalkefan.de

Königsblog.net

Web04.de

*Korrektur nach zahlreichen Schalker Hinweisen: Schalke hatte offenbar nie ein Pflichtspiel in Gütersloh und wurde vom Autor mit Solingen verwechselt.

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