Champions League:Gruß aus dem Seniorenheim

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Der als zu alt verspottete AC Mailand siegt dank großer Erfahrung in Madrid mit 3:2. Die Königlichen merken derweil, dass sie trotz Millioneninvestitionen nicht unbesiegbar sind.

Javier Cáceres

Auch alte Herren können sich noch wie Buben freuen, selten dürfte dies besser zu sehen gewesen sein als am Mittwochabend nach dem Schlusspfiff im Estadio Santiago Bernabéu. Ein Enthusiasmus erfüllte die Abordnung des AC Milan, die noch am Vorabend der Partie bei Real Madrid ob ihres immensen Durchschnittsalters verhöhnt worden war: Ob sie wohl ein Hotel beziehen? Oder doch eher ein Seniorenheim? So hatte Madrids Sportpresse gespottet. Doch als das Spiel vorüber war, blinkte auf den elektronischen Anzeigetafeln ein 3:2 für die Gäste auf, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrung die Dimension des Triumphs rasch eingeordnet hatten.

Es war im sechsten Anlauf der erste Sieg Milans in Madrid - der Triumph der Mailänder Gerontokratie trug historische Züge. "Wir haben Enormes geleistet", sagte Milans Trainer Leonardo, 40, und berichtete voller Rührung ("ich bin ein Romantiker"), dass sein Team allmählich zu ihrem Selbst finde: "Nicht der Sieg schafft Identität. Es ist die Identität, die Siege schafft." Womit er auch Einiges über Real Madrid gesagt hatte.

Die Geduld schwindet

Seit drei Monaten regiert dort der chilenische Trainer Manuel Pellegrini, und allmählich muss er damit zurecht kommen, dass die Geduld im Bernabéu schwindet, umschlägt in unzähmbare Nervosität. Bislang hat sich Real Madrids irrwitzig aufgerüstete Mannschaft zwei Gegnern von Rang gegenüber gesehen, beide Male setzte es Niederlagen: zu Monatsanfang beim FC Sevilla, nun gegen Milan. Wobei die Niederlage gegen die Italiener auch aufgrund des Spielverlaufs gänzlich unentschuldbar war, immerhin war Real Madrid in Führung gegangen. Auf kuriose Weise: Mailands Torwart Dida hatte in der 19. Minute versucht, den Ball aufprallen zu lassen und dabei ein paar Schritte zu gehen, das Kunstleder glitt ihm aber aus den Händen wie einer tattrigen Greisin. Reals Kapitän Raúl staubte ab und egalisierte so den europäischen Torrekord (66) von Gerd Müller.

Danach dimmten die Mailänder Veteranen den Rhythmus der Partie geschickt herunter und wogen Real in falscher Sicherheit. Wie alte Boxer, die wissen, dass ihre Kraft noch für ein, zwei, drei gute Treffer reicht, konzentrierten sie all ihre Macht und Kunst auf die entscheidenden Szenen der Partie. Erst überraschte Andrea Pirlo den indisponierten Real-Torwart Iker Casillas mit einem Gewaltschuss zum 1:1 (62.), dann legten Massimo Ambrosini (66.) und Clarence Seedorf (88.) dem 20-jährigen Nesthäkchen Pato die beiden weiteren Treffer der Mailänder auf.

Schuld ist immer der Trainer

"Es sind solche Spiele, in denen große Fußballer eingesegnet werden", sagte Leonardo mit Blick auf Patos Tore. Der Treffer von Reals Einwechselspieler Royston Drenthe zum zwischenzeitlichen 2:2 (76.) war damit ebenso wertlos wie der Versuch Pellegrinis, den Schmerz über die Niederlage mit der Wahrheit zu lindern.

"Wir sind eine Mannschaft, die noch im Aufbau begriffen ist", sagte er. Schon in vergangenen Wochen hatte er darauf hingewiesen, dass es Zeit kosten werde, Automatismen einzurichten, immerhin versuche er gerade, die Trägheiten der jüngeren Vergangenheit abzuschaffen. In den vergangenen Jahren hatte sich Real hauptsächlich auf seine Schlagkraft verlassen müssen - jetzt versucht Pellegrini behutsam, das Spiel ansehnlicher zu gestalten. Doch wenn die Hauptstadtmedien die Momente guten Fußballs zusammenzählen, kommen sie bloß auf wenige Minuten. Zudem legten sowohl Sevilla als auch Milan bloß, wo Madrid am verwundbarsten ist: auf den Außenbahnen. Selbst Ronaldinho konnte in der zweiten Hälfte mit ein paar Aktionen für Aufsehen sorgen, nachdem er in der ersten Halbzeit phasenweise wie ein Ahne seiner selbst gewirkt hatte.

Zuviel durch die Mitte

Umgekehrt haben die Angriffsbemühungen der Madrilenen nur ein eingeschränktes Panorama, zu viele Spieler drängen aus Instinkt zur Mitte. Oder wirken deplatziert, wenn sie wie Kaká an den Kalklinien entlang rennen. Der erneut enttäuschende Stürmer Karim Benzema zuckte mit den Achseln, als er nach den Ursachen gefragt wurde. "Im Training üben wir genau das, Bewegungen über die Außenpositionen, doch in den Spielen setzen wir das nicht um. Gegen Mailand haben wir zu sehr durch die Mitte gespielt." Wieder einmal.

Nach dem Geschmack des Präsidenten Florentino Pérez ist das nicht, er hat 250 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Was nicht heißt, dass Real einen ausgeglichenen Kader hätte: Auf der Ersatzbank saß kein Stürmer, weil sich neben Cristiano Ronaldo auch Gonzalo Higuaín verletzt hatte. Pérez dürfte das nicht scheren. Von welchen Gedanken der Präsident geleitet wird, konnte Pellegrini in der Zeitung As nachlesen: In einem aufsehenerregenden Interview gab Reals früherer Sportdirektor Arrigo Sacchi seiner Hoffnung Ausdruck, dass Pérez sich geändert habe. Während seines ersten Mandats (2000 - 2006) habe der Präsident die Autorität des Trainers stets untergraben. "Ob ein Flugzeug in Kolumbien abstürzte oder ein Fußballer besoffen zum Training kam, immer war es die Schuld des Trainers", sagte Sacchi. Es dürfte allmählich ungemütlich werden für Manuel Pellegrini.

© SZ vom 23.10.2009/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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