Schalke 04:Fast so wild wie zu Magaths Zeiten

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Es ist ein reges Kommen und Gehen bei Schalke 04. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Schalke 04 baut gerade eine neue Bundesliga-Mannschaft auf - und tut sich schwer dabei.
  • Sportvorstand Jochen Schneider muss manch schmerzhaften Kompromiss eingehen.
  • Saisonziele zu benennen, hält Trainer David Wagner deshalb für "totalen Quatsch".

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Außer dem Mobiltelefon und einer Wasserflasche gegen die stets drohende Gefahr des Dehydrierens trug Benito Raman, 24, noch ein anderes essenzielles Utensil an sich, als er am Mittwoch über das Gelände am Ernst-Kuzorra-Weg 1 spazierte: das brandneue Trikot des FC Schalke 04 samt der dazu passenden Shorts. Wer noch daran zweifelte, dass der seit Wochen angekündigte Transfer des belgischen Angreifers aus Düsseldorf nach Gelsenkirchen tatsächlich gelingen würde, der erhielt durch Ramans keineswegs konspirative Gegenwart Gewissheit. Die Verantwortlichen der Fortuna hatten es ihren Kollegen nicht leicht gemacht, die Ablösegespräche ähnelten Tarifverhandlungen mit der Lokführer-Gewerkschaft.

Am Ende soll sich die Einigung beim Kaufpreis von 13 Millionen Euro eingependelt haben, davon wird dann die Leihgebühr für den nach Düsseldorf wechselnden Schalker Bernard Tekpetey abzuziehen sein. Den Stürmer, zuletzt nicht unerheblich an Paderborn Aufstieg in die erste Liga beteiligt, hatte Vereinslegende Gerald Asamoah einst beim Heimatbesuch in Ghana in einer Fußballschule entdeckt.

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Nun bezeugt Tekpetey durch seinen Werdegang die bisweilen seltsamen Vorgänge in der Schalker Geschäftsführung: Quasi gratis ins Land geholt, für einen kleinen sechsstelligen Betrag nach Paderborn verschickt, für 2,5 Millionen per Klausel Euro zurückgeholt, nun verliehen mit einer Kaufoption, die nach Angaben aus Fortuna-Kreisen zwei Millionen beträgt.

"Wir brauchen auch Glück", sagt Michael Reschke

Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider muss manch schmerzhaften Kompromiss eingehen, um die Sanierung des gestürzten Großklubs voranzutreiben. Kommentatoren brauchen keine Gegendarstellungen zu befürchten, wenn sie behaupten, die führenden Vertreter des FC Schalke hätten allenfalls eine vage Vorstellung davon, wie ihr Betrieb nach dem Umbau funktionieren wird.

Dies haben die neuen Koryphäen des Klubs bereits öffentlich eingestanden. Er habe "keine Ahnung", wie viel Zeit die Neuordnung der Elf beanspruchen werde, und schon gar nicht wisse er, was seine Spieler in der nächsten Saison leisten könnten, hat der Trainer David Wagner erklärt, weshalb er es für "totalen Quatsch" hält, Saisonziele zu benennen. Einziges Ziel, zu dem er sich bekennt: "Dass wir besser Fußball spielen wollen."

In Erinnerung an die Zumutungen der Vorsaison erscheint selbst dieser genügsame Vorsatz als ambitioniertes Unterfangen. Den Worten, die der neue Technische Direktor Michael Reschke, 61, bei seiner Vorstellung in der Vorwoche sprach, war Skepsis zu entnehmen. Er habe eine Aufgabe übernommen, "die viel Fleiß und viel Leidenschaft erfordert", sagte er, und das hörte sich so an, als hätte er zwar mit Schwierigkeiten gerechnet, aber nicht mit Schwierigkeiten dieses Ausmaßes. Was sich auch in Reschkes zweiter programmatischen Äußerung ausdrückte: "Wir brauchen auch eine gehörige Portion Glück."

Zumindest kann man den Schalkern nicht nachsagen, dass sie nicht fleißig an ihrem Glück arbeiten würden. Die Profiabteilung unter Schneiders Aufsicht gleicht derzeit einem Import- und Exportunternehmen in der Hochkonjunktur, es herrscht ein Kommen und Gehen fast wie zu Felix Magaths wildesten Zeiten. Im Prinzip trifft der Wandel beim Schalker Publikum auf großes Verständnis, Schneiders beiläufig verkündete Bekanntmachung, die Spieler Nabil Bentaleb, Hamza Mendyl und Jewhen Konoplyanka dürften sich "nach neuen Herausforderungen umschauen", hat keine Protestmärsche der Fans mobilisiert.

Die höfliche umschriebene Vertreibung ist auch eine höflich verabreichte Ohrfeige für Schneiders Vorgänger Christian Heidel, der die teuren Erwerbungen der drei Spieler verantwortet. Allein die Ablöse von Bentaleb, Konoplyanka und Mendyl hat Schalke um mindestens 40 Millionen Euro erleichtert. Jetzt wäre man bereits froh, wenn sie nicht mehr die Gehaltsliste belasteten.

Bleibt Alexander Nübel Schalke treu?

Dass Angreifer Breel Embolo für einen besseren Bruchteil seiner Anschaffungskosten in Höhe von mindestens 25 Millionen Euro nach Mönchengladbach gewechselt ist, hat manchen Schalker hingegen betrübt, wenngleich kaum aus sportlichen Gründen. Sein Verkauf zum Sonderangebotspreis bestätigt, dass der Klub die 50 Millionen Euro Erlös für Leroy Sané weitgehend in den Sand gesetzt hat.

Noch mehr Wehmut ruft daher die nächste Personal-Geschichte hervor, die am Mittwoch den Gerüchtestatus hinter sich ließ und Nachrichtencharakter bekam. Der langjährige Stammtorwart, Kapitän, Überzeugungs- und Vorzeigeschalker Ralf Fährmann, 30, sieht dem Wechsel in die englische Premier League entgegen und wird sich dem Aufsteiger Norwich City anschließen. Schneider spart somit etwas von dem Geld ein, mit dem er versuchen wird, den Torwart Alexander Nübel, 22, zum Bleiben zu überreden. Dessen Vertrag läuft im Sommer 2020 aus, nachdem Manager Heidel in Sachen Verlängerung so lange untätig blieb, bis Nübel feststellte, dass alle marktwirtschaftlichen und strategischen Vorteile alleine auf seiner Seite liegen.

Dass ihm sein junger Stellvertreter sportlich voraus ist, das hat Fährmann längst eingesehen, doch wenn er jetzt Schalke verlässt, ist es ein Abschied mit Wiedersehensgarantie: Erstens trägt Schalke im Frimostadion in Lotte bald ein Testspiel gegen Norwich City aus, zweitens ist das vorgesehene Engagement in England vorerst auf ein Jahr befristet. Vielleicht wird Fährmann ja Nübels Nachfolger.

© SZ vom 04.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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