Argentinien vor dem DFB-Testspiel:Lionel Messis geschickter Dompteur

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Wo früher das Chaos herrschte, soll im Test gegen Deutschland das Kollektiv glänzen: Unter Coach Alejandro Sabella gibt es verblüffende Neuigkeiten vom argentinischen Nationalteam - Lionel Messi überragt plötzlich wie beim FC Barcelona.

Peter Burghardt, Buenos Aires

Der Spion aus Buenos Aires wird nicht besonders aufgefallen sein in der Münchner Arena, jenseits seiner Heimat kennt kaum jemand sein Gesicht. Alejandro Sabella ist nicht halb so berühmt wie Diego Maradona, er war nicht mal Weltmeister wie Sergio Batista, von dem er den Job geerbt hat. Verantwortlich hatte Sabella vorher bloß den argentinischen Erstligisten Estudiantes de La Plata betreut und 2009 zur Copa Libertadores geführt, der südamerikanischen Champions League.

Mit ihm als Trainer spielt sogar Messi gut im Nationalteam: Argentiniens Coach Alejandro Sabella (links im Bild). (Foto: dpa)

Ansonsten war er bloß Dauerassistent von Daniel Passarella gewesen, eine Weile auch im Nationalteam. So sah Argentiniens Auswahltrainer dem Sieg des FC Bayern im Supercup gegen Dortmund unauffällig zu. Aber noch besitzt der stille Sabella einen Vorteil: Ihn verfolgt als Chefcoach bisher kein größeres Trauma. Ihn plagen nicht mal Komplexe mit den Deutschen.

Seine drei Vorgänger sind an den Ansprüchen gescheitert, zwei davon gegen Alemania. José Pekerman hätte 2006 in Deutschland den WM-Titel erobern können, doch er schied wegen zweier Wechselfehler sowie dem Spickzettel von Jens Lehmann beim Elfmeterschießen im Viertelfinale aus. Maradona verdankte der DFB-Elf dann im Sommer 2010 das Ende seiner kurzen Karriere als oberster Stratege.

Junge Männer mit unaussprechlichen Namen wie Schweinsteiger spielten auf wie einst Maradona selbst und fertigten seine Chaostruppe 4:0 ab, wieder in einem WM-Viertelfinale. Amateurtaktiker Diego weinte an der Schulter seines Schwiegersohns Sergio Agüero, doch es half nichts.

Danach wurde Maradona vom ewigen Verbandspaten und Fifa-Vize Julio Grondona gefeuert, es folgte die Notlösung namens Sergio Batista. Bis dessen Ensemble 2011 daheim am Rio de la Plata gegen Uruguay aus der Copa América flog, worauf auch Batista gegen musste.

Seit einem Jahr versucht nun also Alejandro Sabella, aus all den Egos eine Mannschaft zu machen. Das ist ja seit Menschengedenken das Problem der stets selbstbewussten Argentinier: Sie haben ein Sammelsurium an Spitzenprofis, darunter den besten Spieler der Welt, Lionel Messi. Das Kollektiv indes hat bei einem Turnier zuletzt vor sechs Jahren unter Pekerman funktioniert, ehe der Unfall von Berlin passierte. Sabella wurde bei Estudiantes zum Magier ernannt, nachdem er Messis Barcelona im Weltpokalfinale in die Verlängerung gezwungen hatte.

Groß umgebaut hat der Zauberer bisher nicht. Aus der heimischen Liga stehen nur zwei Spieler im Aufgebot, der Rest verdient seine Millionen wie gehabt bei Europas Eliteklubs oder im ebenfalls beliebten Exilland Brasilien. Die Europäer haben es deutlich näher nach Frankfurt als die Fernreisenden aus dem Winter des Südens, 12.000 Kilometer und zwei Jahreszeiten entfernt.

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Im Angriff stehen lauter europäische Spitzenstürmer und Torjäger, Sabella kriegt sie gar nicht alle unter. Messi aus Barcelona, Agüero von Manchester City, von Real Madrid Gonzálo Higuaín und Ángel di María, außerdem Ezequiel Lavezzi von Paris Saint Germain und Eduardo Salvio aus Lissabon. Andere Sektoren sind weniger grandios besetzt, ein Regisseur wie seinerzeit Maradona oder später der beleidigte Juan Román Riquelme fehlen. Neben defensiven Mittelfeldrecken wie Javier Mascherano und Fernando Gago wurde der ehemalige Bayern-Profi José Sosa wieder entdeckt.

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El Principito, den kleinen Prinz, hat es nach Charkow in die Ukraine verschlagen. Die Abwehr erschreckt ihre Gegner mangels einschüchternder Manndecker auch nur selten. Als Entdeckung gilt Federico Fernández aus Neapel, wo sich Argentinier traditionell wohl fühlen. Und das Tor hütet noch immer Sergio Romero, inzwischen Sampdoria Genua, oder Mariano Andújar aus Catania.

Im Grunde hängt auch unter Sabella fast alles an Lionel Messi, dem Kapitän, der Nummer 10, Maradonas Wiederkehrer. Doch zuletzt gab es da verblüffende Neuigkeiten: Messi stand im weißblauen Trikot plötzlich nicht mehr im Ruf des Vaterlandsverräters aus Katalonien - er war auf einmal so gut wie beim FC Barcelona.

Beim 3:1 in der Schweiz und beim 4:3 gegen Brasilien in New Jersey schoss der kleine Anführer je drei Tore, beim dritten Treffer gegen die verblüfften Brasilianer trat er den Ball nach einem Alleingang von der Mittellinie aus 20 Metern ins linke obere Eck. In den letzten drei Länderspielen traf er sieben Mal. "Ich weiß nicht, was sich verändert hat", sprach Messi kryptisch, "die Dinge haben sich verändert, die selección gewinnt und findet langsam ihr Spiel."

Ihr Spiel ist sein Spiel, in der Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien hat Messis Argentinien nach Peinlichkeiten wie dem 1:1 gegen Bolivien und der 0:1-Niederlage in Venezuela zuletzt 2:1 in Kolumbien gewonnen und 4:0 gegen Ecuador. In der Tabelle ist die Albiceleste hinter Chile und Uruguay Dritter. Das Spiel in Frankfurt taugt als Test. Und Sabella will den Argentiniern zeigen, dass die Konsonantenschrecken aus Deutschland gar nicht so furchterregend sind.

© SZ vom 14.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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