Süddeutsche Zeitung

2. Liga: St. Pauli verliert:Noch keine Tottis

Im Spitzenspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern verliert der FC St. Pauli sein erstes Saisonspiel - und damit auch die Tabellenspitze. Die Hamburger sind zurück auf dem Boden der Tatsachen.

Jörg Marwedel

In der Vorwoche hatte der Trainer Holger Stanislawski die Profis des FC St. Pauli kreatives Jubeln üben lassen. Der Torschütze des 3:2-Siegtreffers beim FSV Frankfurt, Matthias Lehmann, führte eine Variante vor, als er ähnlich wie ein Luftgitarrenspieler mit einem vermeintlichen Gewehr abzog und die Mannschaftskameraden allesamt wie getroffen zu Boden sanken.

Schludrige Trainingsarbeit

Vergangenen Freitag wiederum hatte Stanislawski nach wenigen Minuten genug von der schludrigen Trainingsarbeit der zuletzt als Tabellenführer der zweiten Liga mit spielerisch großartigen Darbietungen aufgefallenen Mannschaft. Länger als eine Minute brüllte der "liebenswerte Diktator" (Selbstbeschreibung) seine Profis derart zusammen, dass wohl selbst die Fußgänger der nahen Kollaustraße noch hören konnten, was er auszusetzen hatte. "Toll. Prima. Viel Spaß", wünschte er seinen Schützlingen. "Alles, was ihr hier spielt, bekommt ihr am Sonntag doppelt und dreifach wieder."

Der Weckruf des phantasievollen und durchaus einfühlsamen Coaches wirkte indes nur bedingt. Im ersten Spitzenspiel der zweiten Liga dieser Saison zwischen dem stärksten Angriff der Liga (St. Pauli, 16 Tore) und der besten Abwehr (Kaiserslautern, drei Gegentore) gewann der 1. FC Kaiserslautern im mit 23 201 Zuschauern überfüllten Millerntor-Stadion hochverdient 2:1. Obwohl die Hamburger in der Anfangsphase so wirkten, als habe Stanislawski mal wieder das richtige Mittel gewählt. Dann aber übernahmen die Pfälzer zunehmend das Kommando. Kurz vorm Halbzeitpfiff hatte sich Kaiserslauterns Abwehrchef Martin Amedick nach einem Eckball von Alexander Bugera hochgeschraubt und den Ball per Kopf über die Linie gespitzelt. In der 70. Minute köpfte Adam Nemec eine Flanke des eingewechselten Daniel Pavlovic zum zweiten mal ins Tor.

Schon vorher aber hätte Kaiserslautern mindestens einen Treffer erzielen müssen. In der 20. Minute hielt St. Paulis Torwart Mathias Hain einen Elfmeter von Bastian Schulz. Später erlaubten die Hamburger den präsenten und gut konternden FCK-Profis weitere wunderbare Möglichkeiten. Hain hatte schon einmal gegen Nemec gerettet, auch Dragan Paljic verpasste gleich zweimal den ersten Treffer aus guter Schussposition. Erst, als in der 84. Minute durch einen umstrittenen Foulelfmeter - Marius Ebbers fiel über FCK-Schlussmann Tobias Sippel - das 1:2 durch Florian Bruns fiel, kam noch einmal so etwas wie Festtagsstimmung auf beim St. Pauli-Anhang, zumal Stanislawski längst mit den Einwechslungen der Offensivspieler Rouwen Hennings, Max Kruse und Morike Sako alles nach vorn geworfen hatte.

Am Schluss aber streichelte Kaiserslauterns Trainer Marco Kurz seinem Kollegen Stanislawski mitfühlend über den kahlen Schädel. Womöglich hatte er selbst nach den jüngsten Gala-Auftritten St. Paulis nicht damit gerechnet, drei Punkte am Millerntor mitzunehmen. Denn ähnlich wie die Hamburger, bei denen das Ziel Erstliga-Aufstieg offiziell nur ein mittelfristiges ist (Boss Corny Littmann: "Vielleicht in drei Jahren"), sieht es auch FCK-Chef Stefan Kuntz. Man könne "nicht mit dieser Absicht in die Saison gehen", sagte er vor dem Duell. Dafür bräuchte man noch mehr Stabilität in der Mannschaft.

Jetzt aber hat die junge Mannschaft erstmals ein Stück dieser Beständigkeit gezeigt. Wobei neben dem coolen 21-jährigen Torwart Sippel weniger der gerühmte, nur wenig ältere Mittelfeldspieler Ivo Ilicevic den Rhythmus bestimmte.

Kuntz' Gespür für talentierte Spieler

Diesmal hat eher der vor kurzem vom belgischen Erstligisten RKC Genk geholte Slowake Nemec dem Spiel den Stempel aufgedrückt. Auch der ist erst 23 Jahre alt und ein weiterer Beweis für Kuntz' Gespür für talentierte Spieler. Vielleicht können genau deshalb die mittelfristigen Ziele schon bald kurzfristige werden.

Das gilt auch weiterhin für den FC St.Pauli, selbst wenn Stanislawski seine jüngste Äußerung, er "genieße schon während des Spiels", was sein Team für einen Fußball zeige, diesmal nicht aufrecht erhalten konnte, weil es gegen die abwehrstarken Pfälzer viel weniger Raum hatte als bei den überwältigenden Auswärtsspielen in Aachen (5:0), Karlsruhe (4:0) und Frankfurt.

Und womöglich wird Sportchef Helmut Schulte vorerst auch jene scherzhaften Vergleiche mit den italienischen Weltmeistern unterlassen. Lehmann, so hatte er fabuliert, sei wie der Spielmacher Pirlo, Fabian Boll ein defensivstarker Zerstörer wie Gattuso, und weiter vorn spiele Charles Takyi die Rolle von Totti. So weit ist es, bei allem Witz, dann doch noch nicht.

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SZ vom 21.09.2009/thi
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