Zweitligist Kaiserslautern:Riesenkrawatte in der Pfalz

Zweitligist Kaiserslautern: Dirk Schuster ist Mitglied der legendären KSC-Mannschaft von 1993, mittlerweile aber längst beim Rivalen FCK angekommen.

Dirk Schuster ist Mitglied der legendären KSC-Mannschaft von 1993, mittlerweile aber längst beim Rivalen FCK angekommen.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Die Erwartungshaltung steigt: Aufsteiger FCK liegt in der zweiten Liga nur knapp hinter dem Relegationsrang - Trainer Schuster ist vor dem Duell mit seinem ehemaligen Klub Karlsruher SC trotzdem unzufrieden.

Von Christoph Ruf, Kaiserslautern

Der aus Kaiserslautern stammende Schriftsteller Christian Baron hat jüngst bei einer Lesung in seiner Heimatstadt beschrieben, wie sich in ihm das Gefühl des Nachhausekommens aufbaut, wenn er von seinem Wohnort Berlin in den äußeren Südwesten der Republik fährt. Die S-Bahn-Linie 2, die den ICE-Halt Mannheim mit "Lautre" verbindet, sorgt für einen allmählichen, schonenden Transit von den Hauptverkehrsadern des Schienennetzes in die Peripherie. Spätestens, wenn in Neustadt an der Weinstraße die Rebhänge grüßen und die letzten Pendler aus Ludwigshafen aussteigen, klingt der Dialekt für Baron immer heimatlicher.

Kurz darauf versinkt die rote Bahn im Pfälzer Wald. Und kommt nach einem Vollbad im Grünen (und im tiefen, tiefen Funkloch) in Lautern heraus, wo nicht nur Barons erster Blick aus dem Fenster gleich nach links oben geht: dorthin, wo das eigentliche Zentrum der Stadt steht: das Stadion am Betzenberg.

Anhänger des KSC, die von Karlsruhe kommend auf halber Strecke zusteigen müssen, tun am Dienstagabend gut daran, sich allenfalls leise zu unterhalten. Denn deren Idiom klingt für Berliner Ohren vielleicht ähnlich wie Pfälzisch, ist aber für Einheimische sofort als das des Gegners zu erkennen. Da ist bei einem Hochsicherheitsspiel und dem für beide Seiten brisantesten Spiel der Saison Diskretion angesagt.

Spieler wie Boyd und Wunderlich, die keinen Ball verloren geben, werden in der Westkurve vergöttert

Wobei sich Schmähgesänge aus Karlsruher Kehlen auch in sportlicher Hinsicht verbieten: Während der KSC seine vergangenen fünf Pflichtspiele verloren hat und nur noch zwei Zähler vom Relegationsplatz 16 entfernt liegt, gewann Lautern am Samstagabend 3:2 in Bielefeld, hat nun 23 Punkte nach 15 Spielen und ist nur noch vier Punkte von Relegationsrang drei entfernt. Dass Trainer Dirk Schuster ("Ich hatte eine Riesenkrawatte") nach dem Sieg dennoch äußerst streng mit seinem Team ins Gericht ging und diesem einen überheblichen Auftritt vorwarf, zeigt, wie hoch die Ansprüche beim Aufsteiger mittlerweile sind.

Schuster, Mitglied der KSC-Mannschaft, die 1993 Valencia 7:0 besiegte, löste im Sommer vor den beiden Relegationsspielen gegen Dynamo Dresden den bei den Fans beliebten Marco Antwerpen ab und ist in der Pfalz längst akzeptiert. Seine bodenständige, durchaus charismatische Art kommt bei Spielern und Zuschauern an. Zudem fand Schuster für einige Spieler die optimale Position, die ihnen zuvor verweigert worden war. Philipp Klement fühlt sich jedenfalls auf der Acht erkennbar wohl, Marlon Ritter blühte in der Position dahinter auf. Zudem - und das dürfte den meisten Fans noch wichtiger sein - hat der FCK wieder eine Mannschaft beisammen, in der einige regional verwurzelte Spieler wie Jean Zimmer und Hendrik Zuck stehen, die bereits als Kind Fan des FCK waren. Spieler wie Mike Wunderlich und Terrence Boyd, die keinen Ball vor dem Schlusspfiff verloren geben, wären in jeder Fankurve beliebt. In der Westkurve werden sie vergöttert.

Doch so gerne man über Trainerleistungen, Atmosphärisches und Systemfragen spricht, wenn man den Erfolg einer Mannschaft begründen will: Beim FCK sieht man Woche für Woche, wie wichtig die individuelle Qualität auf Schlüsselpositionen ist. Angefangen beim Torwart, wo in Andreas Luthe ein Keeper steht, der vergangene Saison noch erstklassig spielte. Bis zu dem Spieler, dessen Namen St. Paulis Trainer Timo Schultz schon am dritten Spieltag nannte, als er gefragt wurde, warum sein Team 2:1 am Betzenberg verloren hatte: "Sie haben vorne Terrence Boyd."

Auch die vorherige Leihgabe Zimmer blieb im Sommer fest beim FCK, hinzu kamen erstligaerfahrene Spieler wie Philipp Klement und Ex-Nationalspieler Erik Durm. Zudem ist der Kader auch in der Breite gut besetzt, was überraschen mag, wenn man sich daran erinnert, dass der fidele Aufsteiger vor gar nicht allzu langer Zeit vor dem finanziellen Exitus stand - mal wieder.

Die "Planinsolvenz" während der Pandemie war ein Glücksfall für den FCK

Noch im Juni 2020 beliefen sich die Schulden und Verbindlichkeiten auf mehr als 20 Millionen Euro, sämtliche Einigungsversuche mit den Gläubigern waren gescheitert. Und wie schon häufig in der Vergangenheit kam in letzter Sekunde die Rettung. Diesmal allerdings nicht in Gestalt von mehr oder weniger gut bemäntelten Zuwendungen von Land und Kommune - sondern durch die Corona-Pandemie. Um deren Folgen abzumildern, hatte der DFB für diejenigen Klubs, die eine "Planinsolvenz" anmelden, den Neun-Punkte-Abzug ausgesetzt.

Das war ein Glücksfall für den FCK, der ansonsten mit einem völlig überdimensionierten WM-Stadion von 2006 in der Regionalliga Südwest bei Gegnern wie Astoria Walldorf und Steinbach-Haiger gelandet wäre. Nicht nur Michael Köllner, Trainer beim TSV 1860 München, sprach damals von Wettbewerbsverzerrung und nannte die Regelung "ein Unding". Tatsache ist jedenfalls, dass der FCK seit dem Gnadenakt aus eigener Kraft potente Sponsoren gewonnen hat. So erwarb eine regionale Unternehmensgruppe für elf Millionen Euro 33 Prozent der Anteile an der 1. FC Kaiserslautern GmbH & Co. KGaA.

Eine andere Zahl ist allerdings noch beeindruckender: 38 000 Zuschauer kamen bislang im Schnitt zu den Heimspielen am Betzenberg. Am Dienstagabend dürften es noch mal 10 000 mehr werden.

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