Süddeutsche Zeitung

Zweite Bundesliga:Ein Dopingfall schreckt den HSV auf

Lesezeit: 3 min

Der Hamburger SV besiegt Angstgegner Sandhausen, doch ruhig in die Winterpause geht der Klub natürlich nicht: Verteidiger Mario Vuskovic ist vorerst gesperrt, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Manchmal scheint der Hamburger SV sich selbst vergewissern zu wollen, dass er weiterhin ein Klub von bundesweiter Bedeutung ist. Denn immer, wenn die fußballinteressierte Öffentlichkeit kurz durchschnauft und sich erinnert, dass der HSV seit fünf Jahren in der zweiten Liga und damit im sportlichen Nirgendwo herumkrebst, kommt die alte Traditionsmarke mit schwer zu ignorierenden Geschichten um die Ecke.

So wie am Samstag: Der HSV hatte die Hinrunde gerade mit einem 4:2-Sieg über den Angstgegner SV Sandhausen zu einem versöhnlichen Ende gebracht, Trainer Tim Walter war vor Freude brüllend durch die Katakomben des Hamburger Volksparkstadions gelaufen, die Mannschaft hatte sich vor den Fans in der Nordkurve rührselig für die bedingungslose Unterstützung bedankt, der HSV wäre also beinahe schon mit einem positiven Grundgefühl aufs Weihnachtsfest zugesteuert - da machte auf einmal eine Meldung die Runde, die von den zuständigen Diensten im Eiltempo und in roter Signalfarbe versendet wurde. Sie lautete: "Doping-Schock: Ermittlungen gegen Vuskovic."

Mario Vuskovic, ein 20-jähriger Innenverteidiger und einer der talentiertesten Fußballer im nicht ganz talentfreien Hamburger Team, wurde bei einer Routinekontrolle positiv auf das Dopingmittel Epo getestet. Das bestätigten am Samstag der HSV und der Deutsche Fußball-Bund (DFB), der in der Sache ein Verfahren eingeleitet hat. Den Ernst der Lage dokumentierte überdies die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft unter der Woche eine Hausdurchsuchung bei Vuskovic durchgeführt hatte. Der Kroate hat die Öffnung einer B-Probe beantragt und wurde vorläufig aus dem Verkehr gezogen.

Vuskovic steht dafür, wie der HSV sein möchte: jung, dynamisch, robust

Bei einem Schuldspruch könnten Vuskovic laut DFB-Verfahrensordnung bis zu vier Jahre Sperre drohen. Aus HSV-Sicht erscheint aber wenigstens das zunächst befürchtete Worst-Case-Szenario aktuell unwahrscheinlich: Laut Statuten müsste dem HSV für einen Punktabzug entweder eine Mitschuld oder mindestens einem zweiten Spieler Doping nachgewiesen werden.

Am Samstag hatte der Verein noch "private Gründe" als offiziellen Grund für Vuskovic' Fehlen beim Heimspiel gegen Sandhausen genannt, doch den Vorwurf der arglistigen Täuschung müssen sich die Hamburger eher nicht gefallen lassen. Die HSV-Verantwortlichen wollten mit der verzögerten Bekanntgabe lediglich die kurzfristige Betriebssicherheit gewährleisten, ehe es in eine Winterpause geht, in der ein pickepackevoller Themenkatalog bearbeitet werden muss, der nun wegen eines möglichen Dopingfalls um ein Kapitel erweitert wird.

Beim HSV kommt gerade mal wieder so viel zusammen, dass das nur mit Murphy's Law einigermaßen seriös zu erklären wäre - also jener Lebensweisheit, nach der alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Denn Vuskovic ist beim HSV nicht nur einer der wichtigsten Akteure, er steht auch dafür, wie der HSV sein möchte: jung, dynamisch, entwicklungsfähig und robust genug, dass man in den wichtigen Momenten nicht einfach wie Herbstlaub weggeblasen wird. Das klappt mal besser und mal schlechter, weshalb sogar der sonst so selbstgewisse Trainer Walter auf der Pressekonferenz nach dem Sandhausen-Spiel kurz innehielt. Die vergangenen Monate, sagte er in andächtigem Ton, seien "intensiv" gewesen - und zwar nicht nur auf dem Rasen, sondern auch wegen "dem ganzen Drumherum".

Der HSV hat eine ordentliche Hinrunde gespielt - und steht trotz des teuersten Zweitliga-Kaders nur auf Platz zwei

Zur Exegese des Sportlichen taugte der Sieg am Samstag, da dort die Hinrunde in komprimierter Form zu besichtigen war. Der HSV, der unter Walter einen radikalen Ballbesitzfußball praktiziert, wirkte seinem Gegner mal wieder derart überlegen, dass das fast schon unanständig aussah. Das 4:2 gegen Sandhausen, bei dem es zwischenzeitlich 2:2 stand, hätte auch 5:0 oder 6:0 ausgehen können. Das Problem ist nur, dass der HSV in dieser Saison fahrlässigen Chancenwucher betreibt - und die Gegner sind ihrerseits nun mal unanständig genug, dass sie gerne Profit aus den Hamburger Defensivaussetzern ziehen. "Wir hätten auch 40, 50 Tore schießen können", sagte Walter und schaute so verdruckst, als habe er einen Blick auf die Zweitliga-Tabelle geworfen: Dort steht der HSV bei 29 geschossenen Treffern auf Platz zwei und damit im Sandwich zwischen den Kleinkalibern Darmstadt und Heidenheim, die zwar so ehrenwerte wie ehrliche Arbeit leisten, aber nur circa die Hälfte an Geld für ihre Mannschaft aufwenden.

Der Aufstieg ist oberste Dienstpflicht für Walter, er ist auch alternativlos für den HSV-Sportvorstand Jonas Boldt. Die beiden haben sich zu einer Art Schicksalsgemeinschaft verschworen, weshalb ihnen zum Saisonende wohl nur zwei Optionen bleiben: Entweder es geht gemeinsam nach oben, in die erste Liga. Oder sie müssen sich vorläufig als arbeitssuchend melden.

Womit man beim Drumherum wäre: Boldt und Walter haben beim HSV zusammen Krisen und interne Gegenspieler überstanden, wie zuletzt den für die Finanzen zuständigen Vorstand Thomas Wüstefeld, der sich dank einer stattlichen Sammlung an Skandalen selbst aus dem Klub manövrierte. Jedoch: Ihre Verträge laufen 2023 aus, weshalb die Aufstiegsmission von permanenten Personaldebatten begleitet wird - und über eine Verlängerung entscheidet ausgerechnet der Aufsichtsratschef und Wüstefeld-Intimus Marcell Jansen, der beiden nicht sonderlich gut gewogen ist. Fraglich ist aber, wie lange Jansen, der in den vergangenen Jahren immer wieder an Querelen beteiligt war, dafür noch die nötige Entscheidungsmacht besitzt. Der Milliardär und HSV-Investor Klaus-Michael Kühne forderte in einem Abendblatt-Interview unlängst "einen Neubeginn" ohne Jansen, weil dieser für das "personelle Hickhack" in der Hamburger Geschäftsstelle verantwortlich sei.

Ein Blick in die jüngere HSV-Geschichte beweist: Sobald Onkel Kühne den Daumen senkt, sind Personalfragen im Grunde schon erledigt.

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