Süddeutsche Zeitung

2. Bundesliga:Wunschtrainer statt Beamter

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Beim Hamburger SV spürt der neue Trainer Dieter Hecking wieder die Anerkennung, die er zuletzt vermisst hatte.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

In der Familie Hecking gab es zuletzt unterschiedliche Sichtweisen. Ehefrau Kerstin träumte von einem Urlaub, in dem ihr Mann Dieter sein Handy zwischen acht und 22 Uhr ausschaltet. Sohn Aaron wiederum, der sich derzeit auf den Färoer Inseln aufhält, sagte, als er die Nachricht bekam: "Endlich hat es geklappt." Es war die Information, dass sein Vater am Mittwoch beim Fußball-Zweitligisten Hamburger SV einen Vertrag als Cheftrainer unterschrieb - der Vertrag gilt zunächst für ein Jahr; steigt der HSV 2020 auf, verlängert der Vertrag sich um ein Jahr, und falls der HSV dann nicht gleich wieder absteigt, noch einmal um ein weiteres. Aaron ist großer HSV-Fan. Und auch sein Papa verriet, dass er sich schon als Junge zu diesem Verein hingezogen fühlte und Anhänger des HSV-Idols Kevin Keegan war.

Während Kerstin Hecking die Einigung also mit gemischten Gefühlen aufnahm, weil jetzt Ferien ohne Mobiltelefon nicht mehr möglich sind und ihr Mann mit seiner "zweiten Ehefrau", Assistent Dirk Bremser, bald in Hamburg die Arbeit aufnehmen wird, musste sich Dieter Hecking branchenweit die Frage gefallen lassen, warum er sich mit diesem Zweitligaklub, der allein in den vergangenen fünf Jahren acht Trainer verschlissen hat, verbandelt habe. "Ich tue mir gar nichts an", konterte er, er möge "Herausforderungen und keine Beamtenaufgaben". Möglicherweise sei er "gerade am richtigen Ort". Es reize ihn, einen Klub von unten wieder nach oben zu bringen. Zuletzt hatte der HSV als Tabellenvierter die direkte Rückkehr in die erste Liga verpasst.

Oben hat Hecking lange genug gearbeitet. In 14 Jahren habe er "alle Platz- und Zeugwarte der ersten Liga kennengelernt", bilanzierte er. 2015 wurde er mit dem VfL Wolfsburg Bundesliga-Zweiter und DFB-Pokalsieger. Gegen Real Madrid gelang ihm mit diesem Team ein 2:0-Triumph in der Champions League, auch wenn der VfL nach einem 0:3 im Rückspiel noch ausschied. Borussia Mönchengladbach führte er vergangene Saison in die Europa League. Nur eines vermisste er bei seinem bisherigen Arbeitgeber: das Empfinden, der Wunschtrainer des Managers Max Eberl zu sein. Der verkündete dann auch im April, mit Hecking trotz eines im Herbst verlängerten Kontraktes nicht weitermachen zu wollen. Für den Coach war das zunächst ein großer Schock.

Erst nach dem fünften Spieltag werde der Kader fertig sein

Warum nun ausgerechnet der HSV ihm das Gefühl gab, der richtige Mann am richtigen Platz zu sein? Neben seiner Sympathie für den hanseatischen Verein, der immer noch mit seiner Tradition punkten kann, war es genau das: ein Wunschtrainer zu sein. Während der inzwischen entlassene HSV-Sportvorstand Ralf Becker, der anfangs die Gespräche führte, auch mit anderen Trainerkollegen verhandelte, hatte Hecking bei dessen Nachfolger Jonas Boldt einen besseren Eindruck. Mehr noch als Becker unterstrich Boldt, dass die Konstellation zwischen ihm als jungem Sportchef und dem erfahrenen Trainer bestens passe.

Der 54 Jahre alte Hecking sei der richtige Mann, weil er Ruhe und Kontinuität ausstrahle und auch mal "einen Sturm aushalten könne", sagte der 37-Jährige, der mit dieser Einigung nach wenigen Tagen im Job seinen ersten Erfolg verbuchen konnte. Auch Boss Bernd Hoffmann machte Hecking klar, sein Profil sei genau das, was der HSV jetzt brauche. Die Zielsetzung ist klar: "Wenn der HSV das Ziel hätte, ein guter Zweitligist zu sein, dann säße ich jetzt nicht hier", sagte Hecking.

Dass nach diversen Abgängen und etlichen unklaren Vertragssituationen noch gar keine Mannschaft bereit steht, mit der Hecking sich gegen die Konkurrenz aus Stuttgart, Hannover oder Nürnberg durchsetzen kann, stört ihn angeblich nicht. Es sei ja bis zum Ende des Transferfensters am 31. August Zeit, ließ er wissen. Das Team werde danach ein anderes sein als jenes an den ersten fünf Spieltagen. Entscheidend bei der Wahl der Profis sei, dass sie "Bock auf den HSV haben und dass sie standhaft genug sind, um den Druck, der hier zweifellos herrscht, auszuhalten".

Über den Kapitän Aaron Hunt, der unter ihm in Wolfsburg eine "schwierige Zeit" gehabt habe, sagte Hecking Versöhnliches. Er wisse, dass der Klub mehr Punkte geholt habe, wenn der oft verletzte Hunt dabei war. Entscheidend für die Zusammenarbeit sei nicht nur bei Hunt eine "gute Kommunikation". Dann könne man auch "in der hochinteressanten zweiten Liga" ganz oben mitspielen.

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SZ vom 31.05.2019
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