SSV Jahn Regensburg:Kleine verkehrte Welt

Lesezeit: 4 min

"Die waren vor Jahren noch Stammgast in der Champions League, jetzt dürfen wir uns mit denen messen": Regensburgs Benedikt Gimber (links) freut sich auf das Heimspiel an diesem Samstag gegen den FC Schalke 04. (Foto: T. Sobczak/Beautiful Sports/imago)

Mit der verbesserten Infrastruktur präsentieren sich auch die Spieler in einer ungewohnten Hochform: Nach einem starken Saisonauftakt steht der SSV Jahn Regensburg erstmals in seiner Vereinsgeschichte an der Tabellenspitze der zweiten Liga.

Von Johannes Kirchmeier

Sie haben auch ein Bild von der alten Kabine in ihrem neuen, modernen Funktionsgebäude hängen, erzählt der Kapitän Benedikt Gimber. Die neuen Spieler sollen schon noch mitbekommen, wo der SSV Jahn Regensburg eigentlich herkommt. Dass beim Oberpfälzer Klub wegen Geldsorgen auch mal der Strom abgestellt wurde, dass auch erst in den vergangenen vier Jahren der Zugehörigkeit zur zweiten Fußball-Bundesliga die Infrastruktur richtig wachsen konnte: neue Plätze, neues Gebäude, neue Trainingsmöglichkeiten. Und dass so aus einem ganz kleinen Licht in der Riege der 36 Bundesligisten in dieser Zeit nun eines werden konnte, das auch mal mitreden darf am Kindertisch. "Bodenständigkeit" lautet einer der sogenannten Markenwerte des Klubs, diese Bodenständigkeit leben Obere wie Geschäftsführer Christian Keller oder Trainer Mersad Selimbegovic mit jahrelanger Vereinszugehörigkeit und nie allzu lauten Tönen vor. Und da der Jahn finanziell unter den 36 immer noch hinten angesiedelt ist, ist das natürlich auch aus Eigenvermarktungsgründen keine allzu schlechte Idee.

Die erwähnte alte Kabine am Trainingsgelände am Kaulbachweg befindet sich im Keller des Jahnwirts, einer rustikalen Gastwirtschaft. Und nach allem, was man hörte, konnte das Wasser in der kleinen Kabine - ganz nach dem Charme eines Kreisliga-Vereinsheims - unter Umständen auch mal kühler als im Profitum erwartet aus den Duschköpfen schießen. Für einen Charaktertest der Spieler eignete es sich wahrscheinlich ganz gut.

Kapitän Benedikt Gimber darf als Exempel für den Aufschwung herhalten

Seit einem Monat ist aber nun das weiß-grau-rote Funktionsgebäude eingeweiht - und, ob Zufall oder nicht, mit der verbesserten Infrastruktur präsentieren sich auch die Spieler in einer ungewohnten Hochform. Erstmals in ihrer Vereinsgeschichte sind die Regensburger Zweitliga-Tabellenführer. Als solcher empfangen sie den Bundesliga-Absteiger FC Schalke 04 an diesem Samstag (13.30 Uhr) - zumindest für ein paar Tage eine Anmutung von verkehrter Welt: "Die waren vor Jahren noch Stammgast in der Champions League, jetzt dürfen wir uns mit denen messen", sagt Gimber vorfreudig.

Als einzige der 18 Mannschaften haben seine überraschenden Überflieger bislang an allen drei Spieltagen gewonnen, noch nie sind so gut in diese Liga gestartet. Zudem steht ein Torverhältnis von 8:0 zu Buche. Gimber sagt, im Sinne der Bodenständigkeit, die Tabelle interessiere ihn, 31 Punkte hinter den angestrebten 40, herzlich wenig. "Aber klar genießen wir den Moment." Auch weil noch eine gute Nachricht hinzukam: Fürs Spiel gab es von der Stadt eine Ausnahmegenehmigung, es dürfen 5324 Zuschauer ins Stadion kommen, obwohl Regensburg zuletzt die 35er-Inzidenz riss.

Aber wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass der Jahn plötzlich so stark aufspielt? Wie so oft im unerwarteten Erfolg kommen auch in der Oberpfalz gerade mehrere glückliche Komponenten zusammen - und der Kapitän darf dabei als Exempel herhalten. Schließlich betont Gimber, dass er an einer Malaise arbeiten musste: "Ich war schon sehr torungefährlich, so ehrlich muss man schon sein." Erst ein Tor hatte der Sechser bis zum Saisonbeginn überhaupt in Liga zwei erzielt, sein Klub hatte in der Vorsaison die schlechteste Chancenverwertung (23,4 Prozent), gerade bei Weitschüssen und Standardsituationen klappte wenig. Nun hat allein Gimber ein Weitschusstor und einen Kopfballtreffer nach einer Ecke erzielt. Das 3:0 in Kiel, ein Eigentor, erzwang er zudem mit seinem Schuss zuvor. Die Bälle fallen endlich rein, "wir sind befreiter vorm Tor", beobachtet er.

In der Liga traf der Jahn noch nie auf Schalke 04, im Pokal einmal: 1954 verlor er 4:6

Die Standards, in der vergangenen Saison auch defensiv ein Makel, trainierte Selimbegovic in der Vorbereitung ausdauernd. In zwei Teams wurde abwechselnd verteidigt und angegriffen, das hat die Mannschaft offenbar so sehr geschult, dass auch hinten wenig passiert. Und wenn doch, dann ist in Alexander Meyer einer der stärksten Torhüter der Liga da - das hat sich nicht verändert. Genauso wie der Umstand, dass die Regensburger im Allgemeinen, und Gimber im Speziellen, wieder die meisten Zweikämpfe der Liga führen: "Mentalität schlägt oftmals Qualität", sagt der Vorkämpfer - aktuell kann man ihm schwer widersprechen. Doch auch die Qualität um ihn herum ist gestiegen: Der vom FC Bayern ausgeliehene Sarpreet Singh war, inklusive der erfolgreichen Pokalpartie, bislang an fünf Pflichtspieltoren beteiligt, der erfahrene Zweitliga-Verteidiger Steve Breitkreuz führt die Abwehrkette.

Vor ihm sortiert Gimber das Spiel. Es wirkt so, als wäre er schon ewig dabei in Regensburg, dabei kann er beim Blick auf sein Geburtsdatum erst 24 Jahre alt sein. 2014 hatte ihm der DFB die Fritz-Walter-Medaille für den erfolgreichsten U17-Nachwuchsspieler in Gold verliehen. Das sei durchaus eine Ehre, aber auch eine Bürde gewesen, erzählt Gimber, schließlich waren seine direkten Vorgänger Timo Werner, Leon Goretzka und Emre Can. Es hat etwas länger gedauert als bei den anderen, bis er dann bei den Profis ankam. Was er den dreien voraus hat: Er ist einer der jüngsten Spielführer im Profifußball. Und den SSV hat er, bis auf ein Jahr in Ingolstadt, tatsächlich durch sein gesamtes Zweitliga-Abenteuer seit 2017 begleitet - erst als Leihspieler aus Hoffenheim, später als feste Verpflichtung. Verein und Spieler haben sich in der Liga etabliert. Vielleicht führen die beiden daher ja gerade nicht total zufällig die Statistiken an.

In der Liga traf der Jahn noch nie auf Schalke, im Pokal einmal: 1954 zwangen die Regensburger die Königsblauen nach einem 1:1 ins Wiederholungsspiel, das sie 4:6 verloren. "Das ist ein Spiel, bei dem man als Trainer keine Motivationsrede braucht. Da muss man eher beruhigen", sagt Selimbegovic. Er gibt seinem Team durchaus Chancen gegen den großen Favoriten. Und dem Geschäftsführer Keller wäre es auch ganz genehm, wenn der Jahn weiter oben mitspielt, er hat schon weitere Pläne am Kaulbachweg. Das Bild der alten Kabine hängt übrigens in Schwarz-Weiß im modernen Neubau.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: