Süddeutsche Zeitung

SSV Jahn Regensburg:Zum Abschied Flugsekunden

Spieler und Fans des SSV Jahn Regensburg feiern nach dem ungefährdeten 3:0 im Donau-Duell mit dem FC Ingolstadt ihren scheidenden Geschäftsführer Christian Keller. Unter ihm hat sich die Nachbarschaftsrangfolge zementiert.

Von Johannes Kirchmeier

Am Ende erinnerten die Szenen fast schon an eine Titelfeier. Der Regensburger Torwart Alexander Meyer schnappte sich den Geschäftsführer Christian Keller vor der Fantribüne. Dann gab er seinen Mitspielern eine kurze Anweisung. Und schwupps, flog Keller auch schon durch die Ingolstädter Luft, er lachte. Nur zur Erinnerung: So feierte der FC Bayern unter anderem seinen Trainer Hansi Flick beim Champions-League-Sieg in Lissabon. Beim Fußball-Zweitligisten SSV Jahn Regensburg hatten die unerwarteten Flugsekunden am erst zwölften Spieltag selbstredend einen anderen, aber für den Klub selbst vielleicht nicht unbedingt unwichtigeren Grund: Sie waren eine Abschiedsgeste für den Geschäftsführer. Der Spieltag am Sonntag war Kellers letzter offizieller Arbeitstag. Mit einem 3:0 (1:0) im Donau-Duell beim Tabellenletzten FC Ingolstadt 04 endete seine achteinhalbjährige Tätigkeit beim SSV Jahn.

Am Anfang war Keller umstritten, er brauchte sogar Polizeischutz im Stadion

"Zum Schluss hat es ja funktioniert", sagte Keller in einer ruhigen Minute im Kabinentrakt. Es sollte das Fazit einer aufreibenden Zeit in Regensburg sein, achteinhalb Dienstjahre mit einem selbst bestimmten Ende, das sei nur noch einmal unterstrichen, sind im deutschen Profifußball ja äußerst selten. Was über dem oberbayerischen Rasen am Sonntag in so harmonische Flugsekunden mündete, glich anfangs aber schon auch mal einem turbulenten Atlantikflug, in dem das Flugzeug zeitweise dem Wasser bedrohlich nahe kam: mit dem Abstieg von der zweiten Fußball-Bundesliga, über die dritte Liga bis in die Regionalliga Bayern. Keller, zuvor Wirtschaftsprofessor und kein Profifußballer, war umstritten, brauchte damals sogar Polizeischutz im Stadion.

Doch der Klub hielt an ihm und den nachhaltigen Ideen fest - und direkt im Anschluss an den bitteren Niedergang gelang im neuen Jahnstadion die in der Vereinshistorie beispiellose Beschleunigung nach oben: Nach dem Durchmarsch zurück in Liga zwei durch zwei Relegationssiege gegen den VfL Wolfsburg II 2016 und gegen den TSV 1860 München 2017 spielt der Jahn mittlerweile in der fünften Saison in der zweiten Liga. Aktuell steht er finanziell, aber auch sportlich so gut da wie noch nie: auf Rang zwei, nur einen Punkt hinter dem FC St. Pauli. Und Keller, immer wieder kritisiert für sein Credo "Steine statt Beine", stellte - den Einnahmen der vergangenen Jahre sei Dank - kurz vor seinem Abschied noch ein modernes Funktionsgebäude ans Trainingsgelände, das nun im Sinne des nachhaltigen Erfolgs auch neue Fußballerbeine anzieht. In den nächsten zwei Wochen will Keller, nun ehrenamtlich, noch seine Nachfolger einarbeiten - und sein Büro ausräumen.

Das Spiel am Sonntag war nur der Beweis dafür, dass die vor achteinhalb Jahren wenig vorstellbare Rangfolge unter den Nachbarn mittlerweile zementiert zu sein scheint. In Kellers Amtszeit gewann der SSV alle Pflichtspiele gegen Ingolstadt, nun demütigte der Jahn den FCI gar mit und ohne Ball. Meist schaffte der es im Mittelfeld nur, drei, vier Pässe aneinanderzureihen, ehe die wuchtig pressenden Oberpfälzer sich die Kugel zurückeroberten. Die hatten zwar weniger Torschüsse (7:12), aber bestachen durch ihre hinzugewonnene Effektivität: Der Mittelstürmer David Otto traf zur frühen Führung (9.), die Max Besuschkow, der mit fünf Treffern torgefährlichste Mittelfeldspieler der Liga, per Foulelfmeter (Marc Stendera an Benedikt Gimber, 63.) und Kaan Caliskaner nach einer Ecke per Kopf erhöhten (73.). Letzterer ist bereits der 13. Torschütze nach zwölf Spieltagen. "Regensburg zeichnet sich dadurch aus, dass das Kollektiv funktioniert, das sollte man sich auch bewahren", sagte Keller. "Wir sagen der Mannschaft immer: Wer zusammenhält, der ist nicht kaputt zu kriegen."

Selimbegovic steigt unter Keller vom Co-Trainer der zweiten Mannschaft nach und nach auf

Bezeichnend war dafür der Umstand, dass auf beiden Seiten der beste Torjäger der Vorsaison ausfiel: Jahn-Angreifer Andreas Albers (Schulterprobleme) und FCI-Kapitän Stefan Kutschke (krank) konnten nicht mitwirken, der umtriebige Otto war letztlich der entscheidende Mann. Der erneut harmlose Aufsteiger Ingolstadt schleppt sich dagegen mit einigen Verletzten durch die Spielzeit und verliert mit fünf Punkten am Tabellenende den Anschluss an den Rest. Selbst Kiel auf dem Relegationsplatz hat sechs Zähler mehr. "Wir sind wahnsinnig enttäuscht", sagte der Trainer André Schubert.

Ganz anders sah es bei den Regensburgern aus, bei denen Keller seine emotionalsten Minuten nach dem Abpfiff erlebte. Vor der Trainerbank umarmte der 42-Jährige noch einmal alle Oberpfälzer, besonders lange und innig den Trainer Mersad Selimbegovic, 39: "Da musste ich mich echt zusammenreißen, dass ich nicht heule." Von Kellers erstem Tag beim Jahn an arbeiteten die beiden zusammen, Selimbegovic war damals noch Co-Trainer der zweiten Mannschaft, nach und nach stieg er unter Keller bei seinem Herzensverein auf.

Kurz nach der Umarmung mit dem Coach holte Gimber Keller vor die Gästetribüne. "Das habe ich ihm schon gesagt, dass er das zurückbekommt. Da kommt er nicht so einfach raus", sagte Keller. Ganz angenehm war ihm die große Zeremonie nicht: "Vor der Tribüne, das ist ein Ort für die Mannschaft, nicht für die Verantwortlichen." Dieses eine Mal stimmte der Satz aber augenscheinlich nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5453427
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/lein/lib
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.