2. Bundesliga: Hooligans:"Irgendwann wird es den ersten Toten geben"

Zeit der "Rotspiele": In der kommenden Zweitligasaison gibt es eine nie gekannte Zusammenballung von Vereinen mit berüchtigter Gefolgschaft: Fanbetreuer und Polizisten wappnen sich gegen gewaltbereite Anhänger. Die Saison startet mit einem Derby zweier Ost-Mannschaften, deren Anhänger sich in Hass verbunden sind.

Joachim Käppner

Der Tag hatte ruhig begonnen. Der Streckenabschnitt galt als problemlos. Doch dann wurde die Hundertschaft kurzfristig verlegt und stand, wie die Polizisten nachher sagten, im Auge des Sturms. "Ich will mal so sagen", erinnert sich Matthias Krüger, "außer der Schusswaffe haben wir alles einsetzen müssen." Schlagstock, Hunde, Wasserwerfer. Gleich zu Beginn der Schlacht zog er einige junge Beamte heraus, die sichtbar überfordert waren. "Angstprügler" heißen solche Kollegen im Polizeijargon, solche also, die aus Angst drauflosknüppeln. Und Angst verspürten sie fast alle. Kollege Horst Adler sagt: "Dieses Ausmaß an Gewalt gegen die Polizei habe ich nie zuvor gesehen."

Es ging nicht um Fußballfans, sondern um Castor-Gegner. So sehr diese nach den jüngsten Atommülltransporten ins Wendland die Polizeigewalt beklagten, so schockiert waren die Polizisten auf der anderen Seite von der Hemmungslosigkeit einiger Demonstranten. Nachher sieht man auf YouTube knüppelnde Beamte, von ihren Gegnern mit Handy gefilmt und ins Netz gestellt. Umgekehrt ist das nicht erlaubt.

Man möchte mit Matthias Krüger eher keinen Ärger haben. Er ist über 1,90 Meter groß, ein Kraftpaket. Er kommt auch nicht allein, sondern ist Vorgesetzter in einer Einsatzhundertschaft der Bundespolizei. Im Einsatz trägt er Helm, Körperschutz und Schild, 20 Kilo hat er am Leib. Und dennoch: "Der Respekt vor der Polizei ist nicht gerade gewachsen", sagt Krüger (der ebenso wie Adler in Wirklichkeit anders heißt).

Und jetzt naht die Zeit der Rotspiele. Im Polizeijargon ist das ideale Fußballspiel ein Grünspiel. Dort ist, wenn man so will, alles im grünen Bereich: Fangruppen, die keine Rechnungen miteinander offen haben, wenige Hooligans, ein Verein, der sich um seine Fans kümmert, Gefahr von Ausschreitungen gering. Auf die in dieser Hinsicht supergrüne Frauen-WM folgt freilich am Wochenende der Zweite-Liga-Knaller Cottbus gegen Dresden, Alarmstufe Rot, höchste Sicherheitsstufe.

Und das ist nur der Anfang. In der zweiten Liga gibt es eine nie gekannte Zusammenballung von Vereinen mit teils berüchtigter Gefolgschaft - darunter jene Anhänger von Eintracht Frankfurt, die sich nach dem jähen Abstieg des Vereins im Mai allen Ernstes als "Deutscher Randalemeister" feierten.

Wenn Fußball-Funktionäre dann beginnen, von "gesellschaftlichen Problemen" zu sprechen, die eigentlich der Hintergrund der Gewalt seien, wie Eintracht-Vorstand Klaus Lötzbeier jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung - dann muss Krüger den Kopf schütteln: "Wer so spricht, bei dem ist das Problem nicht angekommen."

Angekommen ist es dafür bei Krüger. Deswegen sehen seine Wochenenden als Bereitschaftspolizist oft so aus wie jenes in der vergangenen Saison, als Braunschweig zu Besuch nach Rostock kam. Ein klassisches Rotspiel.

Die Hundertschaft steht am Rostocker Hauptbahnhof, die Braunschweiger werden erwartet. Im Zug gab es Randale, die Polizei bildet am Bahnsteig einen Kordon, um die Fans direkt zum Bus Richtung Stadion zu eskortieren. Aber 500 Meter vor dem Bahnhof kommt der Zug jäh zum Stehen: Jemand hat die Notbremse gezogen, Dutzende von jungen Männern springen heraus und laufen über die Gleise. Eine Herausforderung für die Einsatzführer der Polizei: Sie lassen den Bahnverkehr stoppen, damit kein Zug in die Fans reinrast. Die Hundertschaft setzt sich in Bewegung, unter der Schutzkleidung hetzen die Polizisten auf die Gleise, um die Braunschweiger einzufangen. Auf keinen Fall sollen sie unkontrolliert in die Stadt geraten.

Der harte Kern

Die auf den Gleisen antworten mit einem Steinhagel. Wurfmunition finden sie reichlich im Schotter. Die Polizisten treiben ihre Widersacher in den stehenden Zug zurück. Aus den Fenstern werden sie wieder mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen.

Karlsruher SC - Eintracht Frankfurt

Risiko am Rasenrand: Großeinsätze für Polizisten gegen gewaltbereite Fans sind fast schon Routine.

(Foto: dpa)

Glücklich am Bahnsteig angekommen, machen die aufgeheizten Fans weiter Ärger. Sie drängeln, schubsen, es gibt Stürze, weitere Verletzte. Sie randalieren noch im Bus, und Krüger hat bedauert, dass sie nach dem Vorfall auf den Gleisen überhaupt noch ins Stadion gelassen wurden: "Der harte Kern testet immer aus, wie weit er gehen kann. Die haben nur Respekt, wenn sie eine klare Ansage bekommen." Immerhin, der Zug wird durchsucht, Steine und Pyrotechnik finden sich, nachher werden die Personalien der gesamten Gruppe aufgenommen, 634 Personen, 33 Strafanzeigen.

Das alles macht den Dienst der Bundespolizisten sehr belastend, und es gibt ja nicht nur den Fußball. Sie werden auch eingesetzt bei Neonazi- und Antifa-Demos, Autonomenkrawallen oder eben den Castor-Transporten. Aber die Fußballspiele machen etwa zwei Drittel ihrer Einsatzzeit aus. 100 und mehr Überstunden während der Saison sind normal, und Beamte wie Horst Adler freuen sich schon, dass inzwischen jedes vierte Wochenende verlässlich frei ist - oder wenigstens frei sein soll.

Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), fordert mehr Sanktionen durch den Deutschen Fußballbund: "Die Strafen, die der DFB wegen Randale oder dem Abbrennen von Feuerwerkskörpern im Stadion verhängt, tun den Vereinen schon weh." Das Problem seien die weiten Reisewege, die durch mittlerweile drei bundesweite Ligen entstanden sind: "Jedes Wochenende begleiten wir Problemfans quer durch die Republik."

Für die Polizisten ist eines offensichtlich: Je mehr sich ein Verein gerade auch um die Problemklientel kümmert, desto geringer sind die Sorgen, die die Polizei nachher mit ihnen hat. Für "ein gutes Beispiel" hält Krüger den 1. FC Union Berlin, dessen Ruf einst mehr als verheerend war - und der heute sogar eine eigene Ordnertruppe hat.

Aber öfter, sagt Krüger, "läuft das so: Wenn wir den Fanbeauftragten fragen, wie die Problemgruppen anreisen wollen, weigert er sich, uns Informationen zu geben. Er wäre dann bei seinen Leuten verbrannt. Ich frage dann immer: Stehen wir eigentlich auf verschiedenen Seiten?"

In der vergangenen Saison gab es 940 Verletzte rund um Fußballspiele, davon 332 Polizisten. Adler und Krüger sind keine Alarmisten, und natürlich gibt es auch prügelnde Polizisten. Aber die sinkenden Hemmschwellen in der Fanszene bereiten ihnen Sorge. "Irgendwann", fürchtet Krüger, "wird es den ersten Toten geben, und alle werden fragen: Wie konnten wir es so weit kommen lassen?"

Für Adler sind auch die Schlägereien der untereinander verfeindeten Fangruppen beunruhigend: "Fairness gibt es da nicht mehr." Er beobachtet, wie gering das Unrechtsbewusstsein vieler Täter ist, mit denen sie Wochenende für Wochenende konfrontiert sind. Manchmal machen sie sogar um die schwer gerüsteten Bereitschaftspolizisten einen Bogen - und greifen Streifenbeamte oder Rettungspersonal an. Krüger sagt: "Es ist erstaunlich, dass noch keiner der attackierten Polizisten zur Schusswaffe gegriffen hat."

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