2. Bundesliga:Ein 0:0 wie ein Sieg

13.02.2021 - Fussball - Saison 2020 2021 - 2. Fussball - Bundesliga - 21. Spieltag: Hamburger SV HSV Hamburg - SpVgg Gr

Held in gelb: Die Fürther bejubeln das 0:0 in Hamburg - und ihren Torwart Sascha Burchert.

(Foto: Wolfgang Zink/Imago)

Die SpVgg Greuther Fürth erkämpft sich in Unterzahl ein Remis im Spitzenspiel beim Hamburger SV - und bleibt damit weiter im Aufstiegsrennen.

Von Thomas Hürner, Hamburg

In der Hamburger Lokalpresse wurde in der vergangenen Woche mit erstaunlicher Vehemenz an einen Auftritt von Stefan Leitl erinnert. Von einer "Wutrede" und einem "verbalen Foul" war zu lesen gewesen, gar "despektierlich" soll sich der Trainer der SpVgg Greuther Fürth damals geäußert haben. Was Leitl konkret gesagt hatte: "Das war ein mehr als glücklicher und total unverdienter Sieg, die schwächere Mannschaft hat gewonnen." Und: "Die wissen wahrscheinlich nicht wieso, aber sie fahren mit drei Punkten nach Hause. Mich würde das als Offiziellen des HSV nicht befriedigen, so hier abzureisen." Mitte Oktober war das, die Fürther hatten unmittelbar vor diesen Ausführungen mit 0:1 gegen den HSV verloren.

Am Samstag nun, ein paar Monate und ein Rückrundenspiel später, sprach Leitl selbst von einem "glücklichen" Punkt für seine Mannschaft - und wenn es bei diesem 0:0 in Hamburg Verhaltensauffälligkeiten zu vermelden gab, dann tat sich dahingehend eher ein anderer Fürther hervor: der Sportdirektor Rachid Azzouzi. Eine Schimpftirade nach der anderen feuerte er durchs fast menschenleere Volksparkstadion, er schäumte, der Körper zittrig vor Wut. "Sei mal ruhig, Kollege!", blaffte er etwa einmal dem HSV-Präsidenten Marcell Jansen entgegen, der nur leise vor sich hin gemurmelt hatte und das Spektakel auch sonst eher entspannt zur Kenntnis nahm.

Der Platzverweis für Fürths Sebastian Ernst war fragwürdig

In Azzouzis Fokus gerieten noch einige weitere Personen, manchmal schien er selbst den Überblick zu verlieren, wer als Nächstes dran sein könnte. Aber dann war da ja noch der Schiedsrichter, der ihm offenbar als verlässliche Orientierungshilfe für die Kanalisierung seines Unmuts diente. Oder präziser, wie Azzouzi einmal unter seltener Beachtung der Etikette von der Tribüne brüllte: der "Herr Stegemann".

Nein, der Herr Sascha Stegemann hatte wirklich nicht seinen besten Tag. In eine Vielzahl kleiner Fehlentscheidungen schlich sich auch eine etwas größere, jene, die Azzouzi erst so richtig aufwiegelte. In der 57. Minute wurde der Fürther Mittelfeldmann Sebastian Ernst mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen, beide Karten waren fragwürdiger Natur. In der ersten Situation touchierte Ernst eher sachte den HSV-Spieler Moritz Heyer, wenig später traf er im Duell mit Aaron Hunt wohl erst den Ball und dann den Fuß des Gegners. Die strikte Ahndung dieser eher geringfügigen Vergehen provozierte dann nicht nur bei Azzouzi Tobsuchtsanfälle, sondern auch beim Rest der Fürther Reisegemeinschaft - und weil Spielmacher Paul Seguin seine Beschwerden am lautesten vortrug, sah auch er Gelb, zum fünften Mal in der Saison, weshalb beim nächsten Zweitliga-Gipfel gegen Kiel gleich zwei gestandene Mittelfeldakteure fehlen werden.

Der Fürther Trainer Stefan Leitl vergibt das "Prädikat Spitzenspiel"

Leitl kommentierte die Leistung des Schiedsrichters vorsichtig als "unglücklich". Für ihn stand jedoch im Vordergrund, dass er bis zum Platzverweis eine "sehr packende, sehr gute Zweitliga-Partie" gesehen hatte; der Fürther Coach vergab sogar das "Prädikat Spitzenspiel". Ein 0:0 der besseren Sorte war es allemal. Zwar gab es in der ersten Hälfte kaum nennenswerte Chancen zu sehen, aber in taktischer Hinsicht war es ein interessanter Schlagabtausch zwischen Leitl und HSV-Trainer Daniel Thioune. Wenn eines der Teams auch nur eine Nuance im System veränderte, setzte das geometrische Kettenreaktionen in Gang; aus Rauten im Mittelfeld wurden Linien und dann wieder Rauten, ehe dieses pulsierende Wechselspiel von vorn begann. Zwei Mannschaften auf "ähnlichem Niveau" seien aufeinander getroffen, fand auch Thioune.

Wie nah die Spitzenmannschaften in der zweiten Liga beieinander liegen, lässt sich also nicht nur an der Tabelle ablesen, aber schon auch: Der nun schon seit elf Spielen ungeschlagene HSV hat wie der VfL Bochum und Holstein Kiel nur drei Punkte Vorsprung auf Fürth, den Vierten im Klassement. Ähnlich gut standen die Franken auch zum selben Zeitpunkt in der Vorsaison da, allerdings mit sieben Zählern weniger auf dem Konto.

Wer in dieser Saison ernsthafte Aufstiegsambitionen hegt, benötigt also Ausdauer, Konzentration und Willen - und all das bewiesen die Fürther, als sie in der zweiten Hälfte in Unterzahl das torlose Remis und damit einen wichtigen Punkt über die Zeit retteten. In einen echten "Überlebenskampf" habe sich seine Mannschaft begeben, sagte Leitl, doch auch an Fortune hat es keineswegs gemangelt. Der HSV trieb den Fürther Torwart Sascha Burchert mit einer Masse an gefährlichen Abschlüssen zu Höchstleistungen an, einmal musste Verteidiger Maximilian Bauer den Ball von der Linie kratzen, ein Hamburger Tor wurde nach Konsultierung des Kölner Videokellers wegen einer knappen Abseitsstellung aberkannt.

Im Vierkampf um die Erstklassigkeit könnte am Ende die Psychologie entscheidend sein. Und daher auch ein Unentschieden, das sich für die einen wie ein Sieg anfühlt und für die anderen wie eine Niederlage. Die Fürther jedenfalls jubelten beinahe ekstatisch, als der Punktgewinn mit dem Schlusspfiff besiegelt war, auf dem Rasen wie auf der Tribüne - und am lautesten jubelte der Sportdirektor Azzouzi.

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