2. Bundesliga:Auferstanden aus dem Müll

GER 2 FBL FC St Pauli vs Holstein Kiel 26 08 2019 GER 2 FBL FC St Pauli vs Holstein Kiel

Augen zu und drauf: St. Paulis James Lawrence setzt sich gegen den Kieler Jae-sung Lee (rechts) durch.

(Foto: nordphoto/imago)

Nach der heftigen Kritik durch Trainer Jos Luhukay zum Saisonstart sichert sich St. Pauli gegen Kiel endlich den ersten Saisonsieg.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Jos Luhukay ist nicht der größte Fan seiner neuen Mannschaft, mit der er ursprünglich mal wie einst mit Mönchengladbach, Hertha BSC und Augsburg in die erste Liga aufsteigen wollte. Dieses Vorhaben mit dem FC St. Pauli legte er schon vor Wochen auf Eis, was realistisch ist bei saisonübergreifend nur zwei Siegen in elf Spielen unter seiner Leitung. Schon vor dem ersten Saisonspiel hatte er gefordert, die Profis sollten endlich ihre "Bequemlichkeit und Komfortzone in den Müll werfen".

Vor dem Nordderby der 2. Bundesliga gegen Holstein Kiel legte er nach. Man dürfe sich nicht nach Niederlagen in den Armen liegen, selbst dann nicht, wenn diese fatal ausfallen wie in Stuttgart, als man in der 90. Minute das 1:2 kassierte. "Wissen Sie, was bei Bayern München los ist, wenn die ein Spiel verlieren?", fragte er provokant.

Die von Luhukay geforderte "Mentalitätsveränderung" ist am Montag offenbar ein kleines Stück vorangekommen. Nach dem hart erkämpften 2:1 gegen den Nachbarn aus dem Norden, dem ersten Sieg im vierten Punktspiel der Saison, habe das Team "die Hundert-Prozent-Grenze ausgelotet", sagte er erleichtert. Vier bis fünf Spieler seien in der Schlussphase von Krämpfen geplagt gewesen, aber keiner hätte ausgewechselt werden wollen, lobte Luhukay. Und auch er selbst hatte "volles Risiko" genommen, wie er hervorhob. Er hatte in der ersten Halbzeit mit einer Dreier-Abwehrkette gegen drei gefährliche Kieler Stürmer bestehen wollen. Das hätte "brutal abgestraft werden können", erwähnte er noch einmal - nachdem fast alles gut gegangen war.

Selten spielte ein Trainer derart mit seinem Job wie es Luhukay, 56, gerade tat. "Wende oder Krise?", titelte das Hamburger Abendblatt vor der Partie. Noch in Erinnerung ist, wie der Niederländer 2016 beim VfB Stuttgart nach kurzer Zeit ausstieg, weil ihm so einiges nicht passte. Doch nun sagte St. Paulis Präsident Oke Göttlich vor den Fernsehkameras: "Wir spielen aktiv Fußball. Das will der Trainer sehen, das wollen wir sehen."

Der optische Eindruck hatte durchaus - neben einem überragenden Schlussmann Robin Himmelmann - mit zwei Profis zu tun, die für den Offensivfußball luhukayscher Art prädestiniert sind. Den einen hatte er vor einigen Wochen in der U23-Auswahl von St. Pauli entdeckt: Außenstürmer Christian Conteh, 19, der gegen Holstein Kiel einen Konter nach Pass von Dimitios Diamantakos so cool zum 2:0 abschloss, als habe er die Erfahrung von 200 Zweitliga-Spielen. Der andere ist ein Waliser, ausgebildet im Johan-Cruyff-Institut von Ajax Amsterdam und jüngst erst ausgeliehen vom RSC Anderlecht. James Lawrence, 27, seit 2018 auch Nationalspieler, gab der Abwehr die nötige Ruhe und schlich sich in der 49. Minute in den Kieler Strafraum, um nach einem Freistoß per Kopf den Führungstreffer zu erzielen.

Es hatte lange gedauert, bis Sportchef Andreas Bornemann die von Luhukay geforderten Verstärkungen besorgte. Vor wenigen Tagen kamen dann gleich zwei Briten. Der andere war Matt Penney, 21, den Luhukay 2018 beim englischen Zweitligisten Sheffield Wednesday betreut hatte. Ihn hatte der Coach nach nur drei Trainingseinheiten als linken Außenbahnspieler in die Startelf beordert, obwohl Penney sein letztes Pflichtspiel im November gemacht hatte. Das sagt einiges aus über den Kader, der nach Meinung des Trainers offenbar nicht über genügend Profis verfügt, die seinen Anforderungen entsprechen. Penney aber war überfordert. Sein missglücktes Debüt wurde kurz vor Schluss auch noch mit einer gelb-roten Karte besiegelt.

Umso begeisterter war Lawrence, der als Brite durchaus enthusiastische Zuschauer kennt. Es sei fantastisch gewesen bei seiner St. Pauli-Premiere, schwärmte er. Nicht nur wegen des ihm vertrauten "Hells Bells", dem Einlaufsong von AC/DC. Die Fans hätten das ganze Spiel gesungen, in jeder Ecke des Stadions. Nun habe man einen "important first step" gemacht - einen wichtigen ersten Schritt aus der Krise.

Auch Luhukay stellte eine "Wechselwirkung" zwischen den geduldig anfeuernden St. Pauli-Fans und dem Sieg her. Denn die Kieler waren spielerisch besser, hatten aber neben Torwart Himmelmann auch den Innenpfosten gegen sich. Ein Schuss von Janni Serra (60. Minute) prallte eben nicht ins Tor, sondern zum "xten Mal" wieder zurück ins Feld, wie Holstein-Coach André Schubert beklagte.

Ob es wirklich die Wende war bei St. Pauli? Schon am Samstag muss der Klub bei Dynamo Dresden antreten. Nicht nur Luhukay sorgt sich, dass seine Spieler sich nach dem aufreibenden Montagsspiel nicht "gut genug" erholen könnten. Falls aber doch, wird vielleicht auch er noch ein Fan seines eigenen Teams.

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